Wahr gewordene Vision: Interview über Queer*Welten

Kennt ihr schon Queer*Welten? Das Magazin für queere Autor:innen sowie queere und queerfeministische Figuren ist neu in der Literaturlandschaft. Die erste Ausgabe hat mich umgehauen und ich freue mich riesig, mit zwei der drei Herausgeber:innen, Lena Richter, Kathrin Dodenhoeft und Judith Vogt, über ihr Magazin und queere Welten im Interview gesprochen zu haben. Das Magazin könnt ihr im Buchhandel online wie offline bekommen oder ihr besorgt euch direkt das praktische Abo.

Queer*Welten will eine Lücke füllen (mit freundlicher Genehmigung)

Wie die Vision Wirklichkeit wurde

Schreibtrieb: Ihr habt gerade die erste QueerWelten herausgebracht, eine Zeitschrift, in deren Fokus Literatur von queeren Autor:innen bzw. queere und queerfeministische literarische Figuren und Themen stehen. In der ersten Ausgabe gab es unter anderem Sexismus gegenüber einer Kriegerin, Amazonen, die nicht dem typischen Bild entsprechen, Lyrik und den ersten Teil eines faszinierenden Essays über den Rassismus in der Darstellung der Orks in der Phantastik. Wisst ihr schon, auf was wir uns in der zweiten Ausgabe freuen dürfen?

Lena: Ja, die zweite Ausgabe steht quasi schon in den Startlöchern und wird am 20.08.2020 erscheinen. Darin gibt es zum einen den zweiten Teil des Ork-Essays, und zum anderen drei Kurzgeschichten, die sich diesmal auf Fantasy, Science-Fiction und zeitgenössische Erzählung verteilen. Als Autor:innen dabei sind diesmal Rafaela Creydt, Elena L. Knödler und Aşkın-Hayat Doğan. Natürlich ist auch wieder der Queertalsbericht enthalten, in dem wir Bücher (und hoffentlich bald auch Veranstaltungen) empfehlen.

Schreibtrieb: Wie lange habt ihr von der Idee für die Zeitschrift und der Umsetzung gebraucht? Könnt ihr die Entstehungsgeschichte von Queer*Welten kurz zusammenfassen?

Lena: Tatsächlich hat es ziemlich genau ein Jahr gedauert, bis Ausgabe 1 in den Druck gehen konnte. Angefangen hatte alles eigentlich mit der Idee, im Wicked Queen-Imprint des Feder und Schwert-Verlags ein jährlich erscheinendes Magazin mit feministischen Kurzgeschichten zu veröffentlichen – leider kam da die Insolvenz des Verlags dazwischen. Doch kurz danach kam Judith mit Stephan Urbach in Kontakt, der mit seinem Ach Je-Verlag eine ganz ähnliche Idee hatte, sodass wir unsere Vision von deutschsprachiger, queerfeministischer Phantastik tatsächlich angehen konnten. Auf die Ankündigung hin gab es positive Resonanz und Unterstützung und bereits vor Erscheinen von Ausgabe 1 haben wir uns online betätigt, wie beispielsweise mit der Teilnahme an der Spendenaktion „Hoffnung Spenden“, und natürlich immer wieder um Einsendung von Texten gebeten. Im Winter 2019/2020 kamen dann erst Krankheit und dann die Pandemie dazwischen, sodass sich Ausgabe 1 etwas verzögert hat. Aber jetzt ist die erste Queer*Welten endlich erschienen und an der zweiten arbeiten wir gerade fleißig.

Queer und feministisch

Das Cover der ersten Ausgabe von Queer*Welten (mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber:innen)

Schreibtrieb: Vielleicht für alle, die mit dem Wort queer selbst nicht so viel anfangen können: Was bedeutet es eigentlich?

Lena: Queer ist ein Oberbegriff für ganz unterschiedliche Identitäten, die auch oft unter dem Akronym LGBTIAQ* zusammengefasst werden – also beispielsweise homo-, bi- und pansexuelle Menschen, trans und nicht-binäre Menschen, aromantische und asexuelle Menschen und viele weitere Abstufungen und Schattierungen dieses Spektrums. Bei dem genannten Akronym ist es oft schwer, wirklich alle Personen mitzumeinen und mit anzusprechen, deswegen benutzen wir den Begriff queer.

Judith: Allerdings ist unser Magazin nicht nur queer, sondern queerfeministisch, deswegen dazu auch noch eine kurze Erklärung: Queerfeminismus meint eine Strömung des Feminismus, die gleichermaßen Frauen unterstützen und empowern will, aber auch gegen das immer noch allgegenwärtige binär-geschlechtliche Denken („es gibt nur Männer und Frauen“) angeht und Platz für alle Geschlechtsidentitäten bieten möchte. Queerfeminismus ist intersektional und denkt zudem weitere Unterdrückungsformen und Marginalisierungen mit, wie Rassismus und Ableismus.

Schreibtrieb: Ich fand die erste Ausgabe sehr inspirierend und gut zusammengestellt. Welche Kriterien muss ein Text und ein:e Autor:in erfüllen, um es in die Queer*Welten zu schaffen?

Lena: Voraussetzung ist zunächst natürlich, dass die Geschichten den Vorgaben in unserer Ausschreibung entsprechen, was z. B. Länge und Thematik angeht. Wir suchen phantastische Geschichte, also Fantasy, Science-Fiction und alle möglichen Unterkategorien davon. Und natürlich sollte der Text uns stilistisch überzeugen und thematisch etwas mitbringen, was zu unserer queerfeministischen Ausrichtung passt. Beispielweise ist nicht jede Geschichte passend für uns, nur weil queere Protagonist:innen oder viele weibliche Figuren vorkommen, wenn das dann in der Geschichte selbst keine Rolle spielt oder beispielsweise Stereotype und Klischees reproduziert werden. Gleichzeitig kann eine Geschichte auch mal total gut zu Queer*Welten passen, wenn sie keine queeren oder feministischen Inhalte hat, indem sie z. B. andere marginalisierte Figuren in den Mittelpunkt rückt und Dinge wie rassistische Diskriminierung, Armut, Krankheit, Neurodiversität oder ähnliches thematisiert. Wir haben auf unserer Website auch eine Seite, in der wir einige Ideen und Themen aufzeigen, die wir interessant finden, und ich möchte wirklich alle, die überlegen, etwas einzureichen, ermutigen, das zu tun. Wenn wir einen Text thematisch gut und passend finden, arbeiten wir auch sehr gern zusammen mit den Autor:innen daran, ihn sprachlich und erzählerisch abzurunden. Wir sind auch offen für andere Erzählformen wie Gedichte, Comics, usw.

Sichtbarkeit und Repräsentation

Schreibtrieb: Ich höre oft, dass viele queere Themen forciert werden und es gar nicht so viele Menschen gäbe, auf die das zutrifft. Nun bin ich selbst bi, lebe aber in einer heterosexuellen Ehe. Ich komme mit dem Label „Frau“ klar und auch mit der Beschreibung „cis“, obwohl ich mich nicht zu 100% als Frau verstehe und darum im Grunde auch genderqueer bin. Ist „queer“ denn nicht längst Alltag, bzw. war es schon immer, und wird jetzt einfach nur sichtbar gemacht?

Lena: Komisch, dass diese Vorwürfe immer nur bei queeren Inhalten kommen, es aber niemand seltsam findet, wie sehr Heteronormativität immer und immer wieder reproduziert wird, schädlichste Tropes und Klischees eingeschlossen, nicht wahr? Natürlich gab es queere Menschen schon immer und oft wurden und werden sie unsichtbar gemacht. Und nicht nur das: Gewalt, Hass und Diskriminierung gegen queere Menschen nehmen seit Jahren zu. Wir erleben in vielen Staaten einen Backlash gegen bereits erkämpfte Gleichstellung und ein von rechtskonservativen und rechtsextremen Parteien gesteuertes Vorgehen gegen die Rechte und Freiheiten queerer Personen. Gerade deshalb braucht es in der Fiktion vermehrte Repräsentation, die einerseits queere Kämpfe aufzeigt und andererseits Gesellschaftsentwürfe vorstellt, auf die wir zustreben können.

Judith: Es hat natürlich auch etwas mit Gewohnheiten zu tun. Uns sind unser ganzes Leben lang Geschichten von weißen, heterosexuellen, männlichen Helden erzählt worden. Dass es uns an etwas mangelt, ist uns dabei oft gar nicht bewusst. Und nun gibt es in z.B. in jeder Netflix-Serie queere Figuren – viele merken jetzt, dass sie das dringend gebraucht haben. Andere hingegen hoffen, dass es schnell wieder vorbei geht. Aber diese Geschichten sind hier, um zu bleiben und immer mehr zu werden. Ich glaube, dass Fiktion mit daran arbeitet, wer auch in der Realität sichtbar ist. Und wenn Marginalisierte auch in der Fiktion die Ausnahme sind, ist das die Basis dafür, ihnen ihre Existenz und ihr Existenzrecht und ihre Vielfalt weiterhin abzusprechen.

Schreibtrieb: Bei #WirlesenFrauen gibt es dieses Jahr die Aufgabe, das Buch einer queeren Autorin zu lesen. Das zu erfüllen ist gar nicht so einfach, denn nicht alle queeren Autor:innen machen das öffentlich. Als Betroffene könnt ihr vielleicht erklären, wie ein „Outing“ zu Benachteiligungen führt.

Lena: Leider ist das Outing als queere Person noch immer mit der Gefahr verbunden, dafür angefeindet und diskriminiert zu werden. Außerdem ist es jeder Person selbst überlassen, wem gegenüber sie sich wann und wie – und ob überhaupt – outen möchte. Deswegen steht in unserer Ausschreibung auch, dass wir zwar sehr gerne Texte von Own Voices (also von Personen, die ihre eigene Identität in ihren Texten thematisieren) möchten, dass wir aber niemanden zu irgendwelchen Outings zwingen. Autor:innen können selbst entscheiden, was in ihrer Kurzbiographie steht und was nicht, und sie können selbstverständlich unter Pseudonym veröffentlichen. Für die Suche nach queeren Autor:innen kann ich aber empfehlen, entweder in unserem Queertalsbericht in Ausgabe 1 oder in unserem jüngst erschienen Artikel mit Tipps zu trans und nicht-binären Büchern nachzuschauen.

Judith: Letztlich ist da das Internet gleichzeitig Segen und Fluch: Outing im Internet kann negative Folgen haben, aber es ist auch einfach wie nie, sich über Autor:innen zu informieren. Ich glaube, dass das gezielte Lesen von marginalisierten Autor:innen auf kurz oder lang die Romanlandschaft verändern wird, aber dazu ist es nötig, Lesen als politischen und informierten Akt zu begreifen. Ja, ich weiß, das klingt so lästig. Aber seit ich auf diese Weise lese, hat sich mir eine wahre Goldgrube an phänomenalen Science-Fiction- und Fantasy-Romanen und -Geschichten aufgetan!

Bitte nichts draupappen

Das Cover zur zweiten Ausgabe von Queer*Welten steht schon fest (mit freundlicher Genehmigung)

Schreibtrieb: Unsere westliche Gesellschaft baut sich auf ein patriarchales System, in dem alles, was nicht cis männlich ist, als Abnormität und minderwertig betrachtet wird. Wurde auch Queer*Welten schon auf die ein oder andere Art angegriffen?

Lena: Bisher glücklicherweise nicht. Wir sind uns aber bewusst, dass das jederzeit passieren kann. Aber das kann uns nicht davon abhalten, für unsere Überzeugungen einzustehen.

Judith: Lena und ich sind durch die antifeministischen Reaktionen auf unseren Podcast auch schon ein bisschen was gewöhnt, aber wir hoffen, dass Queer*Welten sich noch länger unter dem Radar der rechten Trolle bewegt.

Schreibtrieb: Repräsentation ist ein elementarer Bestanteil des Antidiskriminierungsbestrebens in der Literatur. Aber einfach nur queere Figuren zu erfinden reicht nicht, sie müssen auch realistisch sein. Wie löst ihr das?

Lena: Repräsentation kann ohnehin nur ein Anfang sein, denn es reicht nicht, wenn wir dieselben alten Geschichten erzählen und dieselben alten Welten bauen und dann nur einige queere Protagonist:innen einbauen. Die eigentliche Herausforderung liegt für mich darin, auch die Erzählstrukturen und die fiktiven Gesellschaften, die wir entwerfen, immer wieder zu hinterfragen und neu zu denken.

Judith: Zum Realismus queerer Figuren – es reicht halt nicht, um es mit der Rollenspieldesignerin Avery Alder zu sagen, „einen Schwulen draufzupappen“, das macht eine Geschichte nicht queer. Wie Lena schon sagt, geht es auch darum, Erzählstruktur und Weltenbau zu „queeren“. Queere Menschen bilden, wie die meisten Marginalisierten, empowernde Gemeinschaften, allein schon aus Selbstschutz. Das darzustellen ist für Leute, die sich selbst nicht in Subkulturen bewegen (müssen), eine Herausforderung. Ich habe schon so oft von Kolleg:innen gehört: „Ich traue mich nicht an queere Figuren ran, ich kann das nicht nachempfinden.“ Oder: „Für die Geschichte ist halt nicht so wichtig, ob queere Figuren vorkommen.“ Ich glaube, da ist nach wie vor internalisierte Queerfeindlichkeit am Werk, denn bei anderen Themen haben Autor:innen nicht so viele Hemmungen, sich auf für sie Neues einzulassen. Wenn man selbst nicht betroffen ist, hilft Zuhören, Sich-Weiterbilden, Bücher und Texte von queeren Menschen lesen – und natürlich: Sensitivity Reading.

„…die meinen das ernst.“

Schreibtrieb: Ich jedenfalls bin von Queer*Welten sehr begeistert und hoffe, selbst auch die ein oder andere Geschichte einreichen zu können. Was war das schönste Lob, das ihr bisher erhalten habt?

Judith: Ich war echt überrascht, dass tatsächlich auch mainstreamigere Journalist:innen und feministische Magazine Interesse gezeigt haben. Und dass im Deutschlandfunk beim Thema Wut als transformierende Kraft so großartig die Brücke zwischen Lenas Geschichte „Feuer“ und aktuellen aktivistischen Bewegungen geschlagen wurde. So was wünsche ich mir.

Lena: Es hat mich sehr gefreut, dass Ausgabe 1 so viel Aufmerksamkeit bekommen hat und schon so oft besprochen, rezensiert und kommentiert wurde. Natürlich freue ich mich auch, dass meine enthaltene Geschichte den Leser:innen offenbar gefällt, aber noch wichtiger ist für mich, dass wir nicht völlig falsch lagen mit der Annahme, dass es Interesse an den Texten gibt, die wir drucken wollen. Für mich war das schönste Kompliment das von Nora Bendzko auf Twitter, die sagte: „Die reden nicht nur, die meinen das ernst.“

Schreibtrieb: Vielen Dank für eure Zeit und das Interview. Ich hoffe, dass euer Magazin eine Lücke füllt und es hilft Repräsentation und Vielfalt von queeren Welten zu zeigen.

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