Mit feministischer Tendenz – Frauen schreiben auch im Interview

Katha und Vivi habe ich über ihren Podcast „Frauen schreiben auch“ entdeckt. Dort besprechen die beiden Bücher von Autorinnen und reden über die strukturelle Benachteiligung die schreibende Frauen schon immer ausgebremst haben und auch heute noch den Alltag des Literaturlebens betreffen. Dabei schauen die beiden nicht nur auf den Buchmarkt, sondern auch auf die Literaturwissenschaft, was mir als LitWiPunk ganz besonders gefällt. Heute darf ich die beiden im Interview im Rahmen von #WirlesenFrauen begrüßen.

Diskriminierung bekämpfen

Schreibtrieb: Liebe Katha, liebe Vivi, ihr betreibt den Podcast „Frauen schreiben auch“, in dem ihr, wie ich mit #wirlesenFrauen, auf die Diskriminierung von Autorinnen aufmerksam macht. Wann habt ihr gemerkt, dass Autorinnen mehr Aufmerksamkeit brauchen?

Katha und Vivi: Da wir beide in Branchen tätig sind, in denen geschrieben wird, war es mit der Zeit unmöglich, das Ungleichgewicht nicht zu bemerken. Da Vivi neben Literaturwissenschaft auch Informationsmanagement studiert hat, ist sie in ihrem Studium auch auf viele Zahlen aus der Bibliotheks-, Verlags- und Literaturbranche aufmerksam geworden. Diskriminierung kann nur bekämpft werden, indem man sie laut kommuniziert. Dass Autorinnen mehr Aufmerksamkeit brauchen, ist uns allerdings bereits in der Schule aufgefallen, als wir im Abitur auf der Pflichtlektüre-Listen (wir haben in zwei unterschiedlichen Bundesländern unser Abitur gemacht) beide keine einzige Autorin vorfanden. Stattdessen aber reichlich Männer, die über Frauen schreiben, wie der Klassiker Effi Briest von Theodor Fontane. Deshalb haben wir uns am Anfang des Podcasts auch den Frauen gewidmet, die es zehn Jahre nach unserem Abitur endlich auf die Listen geschafft haben.

Das Logo von Frauen schreiben auch.
Frauen schreiben auch ist der Podcast von Katha und Vivi rund um Autorinnen

Schreibtrieb: Welche Reaktionen habt ihr auf euren Podcast erhalten? Gab es auch Kritiker:innen?

Katha und Vivi: Die Reaktionen waren und sind überwiegend positiv. Anfangs wurden teilweise noch Kleinigkeiten kritisiert, aber weniger zum Podcast als zum Instagram-content. Wir nehmen Kritik immer an und antworten auch immer darauf, da uns der Dialog wichtig ist und wir mit dem Podcast nicht nur Wissen teilen, sondern auch selbst lernen möchten. 

Frauen schreiben auch – und zwar gut

Schreibtrieb: Ich höre oft, dass ich durch meinen Fokus auf Autorinnen den Faktor Qualität vernachlässige und Geschlecht über Inhalt stelle. Dabei empfinde ich es so, dass ich vielmehr ein Gegengewicht kreiere, damit das Geschlecht irgendwann eben keine Rolle mehr spielt. In eurer Weihnachtsfolge habt ihr über J.K. Rowling und ihre Transfeindlichkeit geredet. Warum habt ihr euch trotz der Kritik entschieden, Rowling zu besprechen?

Katha und Vivi: Die These, dass der Faktor Qualität vernachlässigt würde, setzt voraus, dass Frauen in der Regel weniger gut schreiben als Männer. Das finde ich ziemlich unwissenschaftlich und wertend. Es lässt außerdem die strukturelle Diskriminierung von Frauen außer Acht. Literatur ist ein großer, prägender Teil der Kultur, deshalb geht es neben dem Inhalt oder der „Qualität“ ja bei diesem Thema auch um Zahlen. Die Qualität von Literatur anhand der Auszeichnung von Preisen beispielsweise wurde auch die längste Zeit überwiegend von Männern beurteilt. Erst in den letzten Jahren wurden die Juries diverser, ausgeglichener. Diversität und Intersektionalität über Literatur zu transportieren ist wichtig, sowohl für die Betroffenen als auch für die Leser:innen. Hier spielen also auch andere Parameter von Qualität eine Rolle als ausschließlich sprachliche oder literaturwissenschaftliche.

Werk ohne Autorin?

Wir wollten in der Weihnachtsfolge über J.K. Rowling sprechen, weil es sich hierbei um einen komplizierten Fall handelt. Harry Potter hat unsere Kindheit und Jugend geprägt und uns viele Werte vermittelt, die uns zu den Frauen gemacht haben, die wir heute sind, unter anderem feministische. Diese Grundlagen, die wir aus den Büchern entnommen haben, haben wir eigenständig im Laufe der Zeit weiterentwickelt, sie reflektiert und unsere Privilegien gecheckt und hinterfragt und wiederholen das regelmäßig und sind bereit, uns immer weiter fortzubilden. Leider hat J.K. Rowling diesen Schritt nicht gemacht und sieht scheinbar die Notwendigkeit, reaktionäre Denkweisen zu reproduzieren, die längst auch wissenschaftlich als überholt gelten.

Während ihr Werk also für viele Menschen unserer und wohl auch kommender Generationen eine besondere Bedeutung haben, können wir mit ihr nicht übereinstimmen. Würde ich die Harry Potter-Reihe jetzt wieder lesen, hätte sie einen bitteren Beigeschmack. Die Trennung von Werk und Autor wird in der Literaturwissenschaft größtenteils vorausgesetzt, im Kontext ihres Wertes für die Gesellschaft finde ich das aber nicht richtig.

Mehr Platz für Unbekannte(s)

Schreibtrieb: Viele Bücher, die ihr besprecht, gelten als sogenannte hohe Literatur. Wäre es nicht auch wichtig, Literatur zu betrachten, die bisher aus dem Raster gefallen ist, weil sie von Frauen stammen, aber ebenso dicht und wichtig wie die Bücher von Männern sind?

Katha und Vivi: Die Bücher, die wir bis jetzt besprochen haben, haben wir quasi als Einstieg gewählt. Mir ist in Gesprächen immer wieder aufgefallen, dass viele Menschen von hoher Literatur genervt sind. Das finde ich persönlich schade, da gerade ältere Werke uns viel über den Wandel der Gesellschaft verraten und darüber, wie Frauen früher in ihr wahrgenommen wurden. In Schule und Universität werden nach wie vor überwiegend Werke von Männern besprochen, dabei gibt es ja offensichtlich auch Frauen, die hohe Literatur verfasst haben. Ich finde es wichtig zu zeigen, dass hohe Literatur einen hohen Stellenwert hat und abseits von der Übersättigung an Analyse, die sie in der Schule verwässert, für jeden etwas bereit hält.

Natürlich wollten wir durch Namen, die man vielleicht schon kennt, auch ein breiteres Publikum ansprechen, da wir ja möglichst viele Menschen für das Thema und den Podcast begeistern wollen. In Zukunft stehen allerdings auch unbekanntere Autorinnen auf dem Plan, vor allem wollen wir jüngere Autorinnen mit ihren Debüts aufnehmen marginalisierte Autorinnen im Zeichen der Intersektionalität noch mehr unterstützen.

Stört der Feminismus?

Schreibtrieb: In euren Podcasts geht ihr auch immer wieder auf feministische Themen ein. Als ihr Christa Wolfs Medea besprochen habt beispielsweise, ging es auch um die Darstellung der Frauenfiguren und die gesellschaftliche Bedeutung. Ist euch die feministische Tendenz allgemein wichtig?

Katha und Vivi: Die feministische Tendenz ist für uns der Ausgangspunkt für das Projekt gewesen. Da wir beide für unseren Beruf und unser Studium brennen und uns dort verwirklichen wollen, wollten wir das mit unseren feministischen Grundsätzen vereinen. Jede Frau hat schon einmal eine Diskriminierungserfahrung gemacht. Die Zahlen aus unseren Branchen sprechen Bände.

In der Literaturwissenschaft stört es mich wie bereits angesprochen, dass die Werk-Autor-Trennung so stark gemacht wird und dass die Genderwissenschaft so marginalisiert wird. Ich habe beispielsweise zuletzt erst eine Hausarbeit über Liebe als Aporie bei Ingeborg Bachmann und Paul Celan geschrieben und in der Forschungsliteratur wurde oft der Punkt stark gemacht, dass Bachmann durch Celan geformt wurde oder ihr Werk sekundär zu dem Celans stand. Diese Forschungslandschaft ist wie in den meisten anderen Bereichen auch männlich geprägt. Liest man aber den Briefwechsel und hört Bachmann zu, so lässt sich durchaus herausstellen, dass sie sich emanzipiert. Das hat mich sehr geärgert. Ich habe auch oft das Gefühl, dass in literaturwissenschaftlichen Kontexten die feministische Tendenz als störend empfunden wird. 

Das Patriarchat bekämpfen!

Schreibtrieb: Genres, die tendenziell Frauen zugeordnet werden, wie Romanzen und Kinderbücher, werden gerade in der Literaturwissenschaft gerne müde belächelt. Zurecht?

Katha und Vivi: Absolut nicht. Gerade Kinderbücher sind für die Sozialisierung von Kindern so maßgeblich! Wer Kinderbücher belächelt, hat sehr viele Zusammenhänge wahrscheinlich immer noch nicht begriffen oder die eigene Kindheit nicht reflektiert. Viele Eltern greifen auf Bücher zurück, um Kindern komplexe gesellschaftliche Themen altersgerecht zu vermitteln, sei es Flucht, Rassismus, Feminismus oder Diversität im Allgemeinen. Kinderbücher zu schreiben stelle ich mir unheimlich schwierig vor, da man sich der prägenden Wirkung bewusst sein muss und die Themen so aufbereiten muss, dass die von der Zielgruppe verstanden werden. Wer Kindern die Welt erklären kann, hat sie wohl verstanden.

Bei Romanzen ist das Problem wohl die strukturell verankerte Angst, seine eigene Männlichkeit aufs Spiel zu setzen, indem Gefühle anerkannt werden. Ich muss gestehen, dass ich auch kein besonders großer Fan von Romanzen bin, weil häufig heteronormative Klischees reproduziert werden. Generell finde ich eine geschlechterorientierte Zuordnung in der Literatur problematisch, da sie patriarchale Strukturen nährt, die wir aktiv bekämpfen sollten.

Schreibtrieb: Welche Autorin(nen) verdienen eurer Meinung nach viel mehr Aufmerksamkeit, was ist euer Geheimtipp?

Katha und Vivi: Da gibt es natürlich einige. Die meisten Autorinnen erfahren nicht das Maß an Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Ich mochte Dunkelgrün fast schwarz und Auf Touren von Mareike Fallwickl sehr gern und hoffe, dass sie mal wieder etwas publiziert. Im Bereich Sachbuch liebe ich Julia Korbiks Werke zum Feminismus, Stand Up und Oh Simone sind meiner Meinung nach perfekte Werke für Einsteiger:innen und generell für Menschen, die sich mit feministischen Themen beschäftigen. Twitter-Königin Jasmina Kuhnke schreibt auch gerade ein Buch, darauf freue ich mich sehr! 

Problem mit Strukur

Schreibtrieb: Frauenzählen hat schon vor einigen Jahren auf die Diskrepanz in der Berichterstattung über Autorinnen und Autoren aufmerksam gemacht. Auch bei der Verteilung von Preisen sieht man die Benachteiligung deutlich. Immer wieder gibt es Aktionen und das Thema taucht immer mal wieder im Feuilleton auf. Warum ändert sich kaum etwas?

Katha und Vivi: Weil es ein strukturelles Problem ist. Auf Social Media ist es häufig die Bubble, in der man sich befindet, die den falschen Eindruck vermittelt, dass es doch mittlerweile mal alle begriffen haben müssen. Dort schafft man sich ein Umfeld, in dem man sich gern aufhalten möchte und findet sich umgeben von Menschen, die genauso oder ähnlich denken wie man selbst und kann den Rest ausblenden, wenn man das denn möchte. Im Arbeitsumfeld merkt man dann meistens schon, dass es diese Menschen aber doch gibt und nicht nur das, meistens befinden sie sich auch noch in höheren Positionen oder haben im Umfeld generell „mehr zu sagen“.

Du hast es ja selbst schon angesprochen, es werden immer wieder Whataboutismen gefunden, um ein diskriminierendes Denken zu rechtfertigen, „was ist mit der Qualität“, als wäre der Punkt eben nicht diese tief verankerte strukturelle Benachteiligung. Für viele schreiben Frauen eben nur Liebesromane und Kinderbücher, weil das die Genres sind, in denen weibliche Autorinnen einigermaßen Aufmerksamkeit bekommen. Man muss hinter die Kulissen schauen: Wer kuratiert für Listen und Schuber, wer sitzt in Juries? Und man muss nachfragen: Wieso sitzen denn die anderen nicht da? Was disqualifiziert sie für diese Posten? Sexistische bis hin zu misogynen Strukturen können nur bekämpft werden, wenn sie jeden Tag und selbstverständlich kommuniziert und angeprangert werden und eben nicht nur „immer mal wieder“, damit das Gewissen beruhigt ist. Das gilt übrigens für alle Formen der Diskriminierung.

Frauen schreiben auch weiterhin

Schreibtrieb: Welche Überraschungen hält euer Podcast dieses Jahr noch für die Hörer:innen bereit?

Katha und Vivi: Wir haben uns noch ein paar Dinge überlegt, zum Beispiel möchten wir auf der Website eine Plattform für Gastbeiträge bieten, um von Expertinnen lernen zu können und sexistische Strukturen in Branchen, in denen Frauen schreiben, aufzudecken. Im Podcast möchten wir noch eine Kategorie eröffnen, in der wir in einem kürzeren Format keine spezifischen Werke, sondern generelle Probleme ansprechen und diskutieren und wer weiß, vielleicht holen wir uns auch dort mal eine Gästin rein!

Schreibtrieb: Oh, das wäre schön und kann gerade bei bestimmten Themen tolle Einblicke gewähren. Ich freue mich schon drauf, reinzuhören. Danke für eure Zeit und die Antworten. Viel Erfolg mit eurem Podcast und euren Projekten auch weiterhin!

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