Der #WirlesenFrauen-Neujahrskalender präsentiert euch vom 1.12.2019 bis zum 6.1.2020 63 Autorinnen und ihre Werke. Lernt neue Schriftstellerinnen kennen und findet großartigen Lesestoff! Heute bei mir: Lyrikerin Karin Jacob.
Typisch!?
Schreibtrieb: Liebe Karin, willkommen beim #WirlesenFrauen Neujahrskalender Glaubst du, Frauen schreiben anders als Männer und andere?
Karin Jacob: Nein. Ich glaube, das kann man nicht in dieser Form geschlechterspezifisch festmachen. Vielmehr hat doch jeder Mensch männlich und weiblich interpretierte Eigenschaften. Und je nachdem, welche davon in der aktuellen Stimmung überwiegen, wird der Text. Der Hauptunterschied ist vermutlich eher die Wahrnehmung des Lesers – Gedanken wie: „typisch Frau“ oder „das kann ja nur ein Mann geschrieben haben“. Ich glaube, wenn man mit einem Pseudonym des anderen Geschlechts veröffentlicht, bekäme man ganz andere Reaktionen.
Schreibtrieb: Wie reagierst du, wenn jemand sagt, dein Schreiben sei ja nur „Hobby“?
Karin Jacob: Ja, stimmt. Aber nicht, weil ich eine Frau bin und eine Beschäftigung brauche, sondern weil ich mich so entschieden habe und mir persönlich meine Karriere im Brotberuf sowie andere Hobbies auch wichtig sind.
Wahrnehmung entscheidet!
Schreibtrieb: Was muss sich ändern, damit Frauen im Literaturbetrieb gleichberechtigt behandelt werden?
Karin Jacob: Das gleiche, was sich in allen anderen Bereichen auch ändern muss: die Wahrnehmung. Ob das nun Frauen im Literaturbetrieb betrifft, Männer als Erzieher, ausländisch klingende Nachnamen – im Grunde kommt es doch auf dasselbe raus: mensch wird aufgrund von fest verankerten Vorurteilen abgestempelt und diskriminiert. Dass diese Vorurteile noch nie Gültigkeit hatten (man siehe nur die Frauen, die schon vor Jahrhunderten unter männlichen Pseudonymen erfolgreich veröffentlicht haben), wird dabei nach wie vor außer Acht gelassen. Aber ich glaube, in winzig kleinen Schritten ändert sich hier was. Jeder, der ein wenig anders denkt, der sich selbst auf eigene Vorurteile aufmerksam macht und versucht, sich zu ändern, trägt dazu bei.
Schreibtrieb: An der Wahrnehmung für Autorinnen arbeitet ja auch #WirlesenFrauen. Wie sieht deine Schreibstimmung aus?
Karin Jacob: Das ist eine Mischung aus Entspannung und Anspannung. Entspannung, weil ich mich grade um nichts anderes kümmern muss, alles Wichtige erledigt ist. Und Anspannung, weil es schon in den Fingern und den Gehirnwindungen kribbelt, die Gedanken sich mit einer Idee beschäftigen, sie umkreisen, daran herumspielen. Und dann brauch ich nur noch einen Zettel und einen Stift und los geht’s.
Schreibtrieb: Es ist kalt und ungemütlich draußen. Was inspiriert dich im Winter?
Karin Jacob: Sehr vieles. Die Form einer Schneeflocke, wie sie in der Luft tanzt. Der Raureif an den Ästen, gefrostete rote Beeren. Eine Atemwolke. Eine einzelne Spur im frischen Schnee. Es gibt so viele tolle Bilder gerade im Winter, die in mir Worte auslösen. Der Winter ist lyrisch.
Neues
Schreibtrieb: Dann musst du jetzt ja regelrecht aufblühen. Woran schreibst du gerade?
Karin Jacob: Aktuell arbeite ich an mehreren Projekten. Zum einen wollen da Kurzgeschichten für die Blutgruppe H und eine weitere Autorengruppe geschrieben werden. Außerdem hoffe ich immer noch, meinen Erstlings-Roman irgendwann fertig zu überarbeiten.
Schreibtrieb: Dann können wir ja gespannt sein, bald Neues von dir zu lesen. Wie wichtig ist dir Vielfalt in deinen Geschichten?
Karin Jacob: Mir ist Vielfalt durchaus ein Anliegen. Deshalb achte ich darauf, möglichst diverse Figuren einzubauen und auch auf typische männlich/weiblich bzw. rosa/hellblau Klischees zu verzichten. Das alles natürlich, sofern der Text das zulässt. Allerdings bin ich in vielen diversity-Bereichen sehr unerfahren, daher bin ich damit eher vorsichtig.
Insbesondere schreibe ich gern „starke“ Frauenfiguren, die sich eben nicht den an sie gestellten Anforderungen beugen wollen, sondern ihr eigenes Ding machen wollen.
Schreibtrieb: Was ist das tollste Kompliment, das du je zu deinen Büchern bekommen hast?
Karin Jacob: Eine Künstlerin hat zu einem meiner Gedichte ein Bild gemalt. Das durfte ich dann gegen ein Exemplar meiner Gerupften Engel eintauschen. Das Bild hängt jetzt in meinem Büro/Schreibzimmer.
Schreibtrieb: Liebe Karin, wir sind schon am Ende angelangt. Danke, dass du da warst. Ich schließe immer mit ein paar Assoziationsfragen.
Sofa oder Sessel: Sofa
Stern oder Mond: Stern
Heizung oder Kamin: Kamin
Löwe oder Wolf: Wolf
Decke oder Kissen: Decke
Gerupfte Engel
Als eine Autorin, die selbst auch immer wieder gerne Gedichte schreibt, freut es mich um so mehr, dass Karin Jacob heute ihren Gedichtband Gerupfte Engel mitgebracht hat. Gewinnen könnt ihr bis 24.12.19, wenn ihr mir verratet, welches der unten stehenden Gedichte euch am besten gefällt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Klappentext:
Was – bitteschön – sind »Gerupfte Engel«? Es sind (meist innere) Wesen, die im Kampf des täglichen Lebens auf vielfältige Weise Federn lassen müssen. Die in ihrer Freiheit beschnitten werden, sich flügellos fühlen, obwohl sie doch eigentlich fliegen wollen. Bilder, die man aus Träumen kennt, werden hier in Worte gefasst. Lassen Sie sich entführen von ausgewählten Gedichten der Autorin Karin Jacob, fotografisch interpretiert durch Bilder von Simone Edelberg.
Leseproben:
Scheißegal
Halt doch endlich deinen Mund
und lass mich in Ruhe
ich kann dein Gelaber
nicht länger ertragen
es ist mir ehrlich scheißegal
ob du denkst, ich sei gut oder schlecht
das Einzige, das wirklich zählt
bei allem, was ich tu, ist
bin ich dabei ich?
Ich stampfe so lang mit den Füßen
bis das Podest endlich zerspringt
auf das du mich so gerne stellst
siehst du mich jetzt?
es ist mir ehrlich scheißegal
ob dir gefällt, was du jetzt siehst
hau ab und mach die Türe zu
wenn dir was nicht passt!
Sieh mich an und schau genau
ich bin nicht so, wie du mich träumst
will nicht dein Engel sein
sondern ein Mensch genau wie du
es ist mir gar nicht scheißegal
dass du nie meine Fehler siehst
ich hab sie und bin stolz darauf
denn ohne sie
wär ich nicht ich.
Wintersonne
Kalte Wintersonne
Glanz
am eisesblauen Himmel
keine Kraft zu wärmen
dennoch schön
Träumer
Die Welt im Traumstaub
Surreal
Farben wirken falsch
Geräusche – Töne wie durch Watte
dringen sie an das Ohr des Träumers
Blicke sehen die Dinge
Hinter den Dingen
Traum? Wahrheit?
Schein? Sein?
Wir wissen
Nichts
In leeren Träumen
Sehen wir Dinge
Mit wachen Augen
Verzerrt – verschwommen
Sind wir wach?
Für euch
Reiße meine Flügel aus
kratze die Reste
aus meinen Schultern
Jetzt bin ich so
wie ihr mich wollt
bin ich das?
Ich krieche euch in den Arsch
und trete euch
in die Eingeweide
Sperr mich ein
leg mich in Ketten
und kann euch trotzdem
nicht ertragen
will euch schlagen
will euch beißen
kriege euch nicht
und beiße mich