Historische Diskriminierung – Katharina Herrmann im Interview

Schon haben wir Mai, angeblicher Wonnemonat, dieses Jahr aber vor allem der Monat, in dem Lockerungen angesichts von Corona ausprobiert werden. Ich habe im ganzen Wirrwarr mit vier Kindern zu Hause tatsächlich das Manuskript meiner Dissertation fertig bekommen und jetzt wieder etwas mehr Zeit zum Lesen. Auf meine SuB liegt auch Dichterinnen und Denkerinnen, das neue Buch von Katharina Herrmann zu historischen Autorinnen, die oft vergessen werden. Dazu und passend zu #WirlesenFrauen habe ich Katharina ein paar Fragen stellen können und freue mich jetzt umso mehr aufs Lesen.

Corona trifft Autor:innen hart

Schreibtrieb: Liebe Katharina, der Reclam Verlag hat im Frühjahr dein Buch Dichterinnen und Denkerinnen veröffentlicht, in dem du über vergessene Autorinnen schreibst. Es gab dazu eine tolle Instagram-Aktion, in der einige vorgestellt wurden und ich selbst bin ganz gespannt auf das Buch. Aber die Buchläden waren lange geschlossen. Trifft dich als Autorin die Corona-Krise sehr?
Katharina: Nicht so schlimm wie andere, weil ich ja hauptberuflich nicht Autorin bin, sondern Lehrerin. Meine ökonomische Existenz hängt also nicht an diesem Buch, da bin ich in einer privilegierten Situation. Schade ist es aber natürlich trotzdem, dass es jetzt, wie alle Neuerscheinungen aus dem Frühjahr, doch etwas untergegangen ist – vor allem für die Autorinnen, denen ich zu einer Aufmerksamkeit verhelfen wollte, die sie jetzt nicht so richtig bekommen haben. Aber im Moment gibt es sicher existentiellere Probleme.

Schreibtrieb: Mit welcher Autorin hat deine Recherche für „Dichterinnen und Denkerinnen“ begonnen? War sie etwas Besonderes für dich oder hast du dir das Beste für den Schluss aufgehoben?
Katharina: Für das Buch bin ich einfach chronologisch vorgegangen, also habe ich die Autorinnen in der Reihenfolge erarbeitet, in der sie jetzt auch im Buch stehen – weil es mir ja auch darum ging, eine historische Linie nachzeichnen zu können. Mit welcher Autorin ich damals überhaupt angefangen habe, als ich begonnen habe, mich nach Autorinnen umzusehen, weiß ich gar nicht mehr so genau. Ich glaube aber, es war auch Luise Adelgunde Gottsched, weil ich über die schon ein bisschen was wusste. Und dann habe ich mich da so durchgewühlt.

Katharina Hermann, Autorin von Dichterinnen und Denkerinnen
Katharina Herrmann gibt vergessenen Autorinnen eine Stimme

Besser spät als nie

Schreibtrieb: Autorinnen wurden lange verschwiegen. Immer wieder heißt es, es hätte eben keine (guten) Autorinnen gegeben, deswegen wären sie für die Rezeption und die Literaturwissenschaft unwichtig. Lektürematerial für die Schule, Prüfungslisten und Einführungskurse kennen scheinbar nur Autoren. Wann bist du darauf aufmerksam geworden?
Katharina: Wirklich bewusst gemerkt habe ich das, als ich das erste Mal selbst einen Oberstufenkurs in Deutsch unterrichtet habe und gesehen habe, wie wenig Texte von Frauen da vorkommen. Ich habe da also ein bisschen länger gebraucht, andere bemerken das ja schon in ihrer Schul- oder Studienzeit. Obwohl ich mir des Problems jetzt schon länger bewusst bin, ist es übrigens immer noch schwer, Autorinnen in den Deutschunterricht einzubeziehen, zumindest in den Jahren, in denen man wirklich Literaturgeschichte unterrichtet, bei Jugendbüchern davor geht das ja eher. Einfach deswegen, weil es kaum günstige Ausgaben gibt, die man verwenden kann. Ich versuche, wenigstens die Lyrikerinnen immer irgendwie ein bisschen unterzubringen.

Ein Anfang vor Jahrtausenden

Schreibtrieb: Wenn uns Autorinnen in der Literaturgeschichte begegnen, dann oft nur in der Peripherie. Wir kennen die Briefwechsel von Goethe mit Sophie de la Roche und Bettina Brentano, die Werke der Autorinnen selbst werden aber kaum fokussiert. Goethe hat, um beim Beispiel zu bleiben, seiner eigenen Schwester geraten, das Schreiben zu lassen und lieber Mutter zu werden, wie es sich für eine Frau gehört. Sie ist dann bei der Geburt ihres ersten Kindes gestorben. Wo hat das Ganze eigentlichen angefangen und viel Wichtiger: Glaubst du, es gibt einen Weg aus der systematischen Benachteiligung von Autorinnen?

Katharina: Angefangen hat das ganze damit, dass man die Frau aufgrund ihres Geschlechts dem Mann untergeordnet hat, also wohl eher vor Jahrtausenden als vor Jahrhunderten. Denn die Effekte, die dafür sorgen, dass Dinge, die Frauen tun, weniger wert sind als die, die Männer tun, sind ja strukturell und schlagen sich in praktisch allen Bereichen nieder. Der Zeitpunkt, ab dem wirklich dezidiert zwischen der Literatur von Frauen für Frauen und zwischen Literatur an sich unterschieden worden ist, lässt sich aber recht gut benennen: Das hat begonnen mit Wielands Vorwort zu Sophie von La Roches „Geschichte des Fräuleins von Sternheim“. Wieland hat hier die aus seiner Sicht minderwertige Kunst einer Autorin vor zukünftigen Kritikern in Schutz genommen, indem er auf deren moralischen Nutzen für andere Frauen verwiesen hat. Das war wegweisend für die sog. „Frauenliteratur“, die dann entstanden ist: Sie wurde nicht über Ästhetik gerechtfertigt wie die Werke von Männern, sondern über ihren moralischen Nutzen für Frauen. Man muss aber auch dazusagen: Ohne dieses Vorwort wäre es vielleicht ganz unmöglich gewesen, dass dieser erste wichtige und berühmte Roman einer Autorin erscheint, und Wieland war für seine Zeit damit schon fortschrittlich. Immerhin hat er Literatur von einer Autorin nicht per se abgelehnt, das war ja durchaus damals die verbreitete Sichtweise. Und wie man am Beispiel von Autorinnen, die vor Sophie von La Roche geschrieben haben, sehen kann: Die Unterordnung von Literatur von Frauen hat natürlich schon davor existiert. Sie wurde dann nur eben in dieser Form festgeschrieben, weil sich ab der Zeit um 1800 der Buchmarkt, wie wir ihn heute kennen, entwickelt hat, und dafür hat insbesondere auch das Vorwort von Wieland und Sophie von La Roches Roman wichtige Weichen gestellt. Und das wirkt bis heute nach. Es ändert sich schon langsam was, hoffe ich, aber diese Strukturen lassen sich nicht nur wandeln, indem man auf den gegenwärtigen Buchmarkt und die Neuerscheinungen schaut. Man muss auch schon in Schulen und Universitäten Literaturgeschichte anders vermitteln, und dazu braucht es auch günstige Klassikereditionen und den entsprechenden Willen der Schulbuchverlage und Kultusministerien.

dran bleiben!

Schreibtrieb: Heute gibt es viele Autorinnen, seien wir ehrlich. Sie werden allerdings gerne auf sogenannte Frauengenres verbannt, die als wenig literarisch und nicht anspruchsvoll gelten. Die Ironie, dass Genres wie Liebesroman und Kinderbücher von Männern begründet und lange Zeit von ihnen dominiert wurden, wird gerne übergangen. Dass Liebesromane und Kinderbücher außerdem keinesfalls per se anspruchslos sind, geht auch schnell unter. Warum Negativieren wir, was in unserer Vorstellung weiblich ist, so sehr?
Katharina: Weil das historische seit Jahrtausenden existierende Denk- und Handlungsmuster sind, die alle Bereiche betreffen. Es betrifft ja nicht nur Literatur, wir finden diese Struktur ja auch im Arbeitsleben sowie im privaten Zusammenleben von Familien. Ich bin aber schon optimistisch, dass sich das mit der Zeit ändern lässt, wenn wir dran bleiben.

Dichterinnen und Denkerinnen von Katharina Hermann
Dichterinnen und Denkerinnen von Katharina Herrmann

Schreibtrieb: Seit Jahren reden wir uns den Mund fusselig und machen auf die Ungleichbehandlung von Autorinnen und Autoren aufmerksam. Welche Aktionen kennst du noch? Hast du an ihnen schon einmal teilgenommen?
Katharina: Es gibt ja zahlreiche Hashtags wie #frauenlesen, #dichterdran, #frauenzählen oder #vorschauzählen. Als ich beruflich mehr Zeit hatte, habe ich beim Frauen zählen mitgewirkt, ich versuche, soweit ich dazu komme, auch den Hashtag #frauenlesen zu bespielen. Wir haben natürlich das Problem, dass solche Dinge in der Regel nur wahrgenommen werden von denen, die sie wahrnehmen wollen und schon ein Bewusstsein für die Problematik haben. Um breiter etwas zu verändern bräuchte es vor allem ernst gemeintes Engagement von Verlagen und noch viel wichtiger: ein Bewusstsein für das Thema in der Bildungspolitik.

historische Linien nicht vergessen

Schreibtrieb: #WirlesenFrauen versucht ein möglichst großes Spektrum an Autorinnengruppen abzudecken. Wo siehst du den größten Bedarf an Aufmerksamkeit für Autorinnen?

Katharina:Ich denke, dass es eben wichtig ist, nicht nur auf Autorinnen in der Gegenwart aufmerksam zu machen, sondern auch die historischen Linien wieder stärker sichtbar zu machen und zu vermitteln. Wenn wir nicht auch die Geschichte von Frauen und feministischen Diskursen sichtbar machen und sichtbar halten, also wenn wir keine eigenen Traditionen aufbauen, fängt jede Altersgruppe ihre Diskussionen wieder bei Null an und entdeckt jede Altersgruppe für sich Autorinnen neu. Alles, was ich jetzt gemacht habe und was andere Autor*innen, die auf Autorinnen aufmerksam machen, gerade machen, ist ja in den 1970er- und 1980er-Jahren schon einmal passiert, auf die Untersuchungen zu schreibenden Frauen aus dieser Zeit habe ich bei den Recherchen für mein Buch maßgeblich zurückgegriffen. Leider sind diese Linien, die in den 1970ern und 1980ern begonnen wurden, dann wieder untergegangen. Und so haben wir genau diesen Effekt: Natürlich können wir jetzt auf diese Untersuchungen und Literaturgeschichten zurückgreifen, aber hätte sich eine kontinuierliche Tradition gebildet, hätten Verlage ihre Reihen mit Büchern von Autorinnen, die es damals zahlreich gab, weitergepflegt, hätte die Bildungspolitik sich des Themas wenigstens etwas angenommen, könnten wir heute schon weiter sein.

Schreibtrieb: Danke Katharina, für deine Zeit und dein Buch. Ich glaube, du kannst damit nicht nur auf viele großartige Autorinnen aufmerksam machen, sondern auch Leserinnen zeigen, dass die Standardausreden gegen eine historische und literaturwissenschaftliche Betrachtung quasi aus der Luft gegriffen sind.
Katharina:Das wäre sehr schön! Vielen Dank!

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