Der zweite Monat #WirlesenFrauen 2020 startet mit social distracting dank Corona. Homeschooling und Home Office stellen den Rhythmus vieler Menschen auf den Kopf. Andere finden gerade jetzt mehr Zeit fürs Lesen und unterstützen lokale Buchhandlungen mit #Bücherhamstern. Schon vor Corona habe ich Emilia von Senger, die im Herbst She said, einen Buchladen nur mit Büchern von Autorinnen, in Kreuzkölln eröffnen will, interviewt. Darum findet ihr heute keine Frage zur aktuellen Lage, sondern allerlei zu Emilias neuem Laden. Ich drücke ihr fest die Daumen, dass sich alles weiterhin nach Plan verwirklichen lässt, denn Emilia ist eine beeindruckende Frau mit einem großartigen Projekt.
vergessene Autorinnen
Schreibtrieb: Liebe Emilia, du eröffnest einen Buchladen nur mit Literatur von Autorinnen in Berlin. In England gibt es so einen Laden auch seit einiger Zeit. Warst du schon einmal dort?
Emilia: Es gibt sogar mehrere! Mit verschiedenen Konzepten allerdings. Ich bin im vergangenen Herbst extra nach London gefahren, um mir Buchhandlungen anzuschauen und Inspiration zu sammeln. Meine erste Station, noch mit Rollkoffer direkt vom Flughafen, war Persephone Books. Die gibt es mittlerweile schon seit über 20 Jahren und sind Verlag und Buchhandlung zugleich. Sie veröffentlichen quasi ausschließlich vergessene Autorinnen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Als ich in den kleinen wahnsinnig hübschen Laden trat, war ich gleichzeitig schockiert und begeistert davon, dass ich fast keine der Autorinnen kannte. Es gibt noch so viel zu entdecken.
Außerdem gibt es noch The Second Shelf, eine kleine feine Buchhandlung mitten in Soho, die erst vor etwa einem Jahr eröffnet hat. Die Gründerin Alison N. Devers hat festgestellt, dass antiquarische Bücher von Frauen für weit weniger verkauft werden, als die von Männern. Der Pay Gap setzt sich also auch bei Büchern fort. Das will sie ändern und hat kurzerhand eine kleine Buchhandlung für Erstausgaben und besondere antiquarische Bücher eröffnet. Das teuerste Buch kostet 12 000 Pfund und ist eine Erstausgabe von Virginia Woolfs Debüt, die ihrer Schwester gehörte.
Raum für Autorinnen und queere Autor:innen
Schreibtrieb: Was möchtest du mit deinem Laden erreichen?
Emilia: Ich möchte einen Raum schaffen, indem Autorinnen und queere Autor*innen sichtbarer werden. Ich möchte, dass jeder, egal ob Mann, Frau oder non-binary, bei She said eine Autorin oder queere Autor*in entdeckt. Ich möchte einen Raum der Begegnung schaffen, indem Austausch stattfindet, über Literatur aber auch über die Gegenwart und ihre Herausforderungen. She said soll ein Ort sein, an dem man verweilen möchte. Wunderbar wäre es, wenn Autorinnen und queere Autor*innen durch She said mehr ins Gespräch kommen, über den Laden hinaus.
Schreibtrieb: Wann hast du gemerkt, dass Autorinnen systematisch benachteiligt werden?
Emilia: Ganz ehrlich, zunächst an meiner eigenen Lesebiographie. Als ich mit Mitte 20 festgestellt habe, dass ich weit mehr Männer als Frauen gelesen hatte, ohne es bis dahin überhaupt zu bemerken, dachte ich: da kann doch etwas nicht stimmen. Mittlerweile kenne ich Zahlen, die meine damaligen Vermutungen bestätigen und weiß, auch durch den Austausch im Internet, dass meine Lesebiographie kein Einzelfall ist. Uns wird immer noch, in Schule und Universität aber auch in Familie und Medien, vermittelt, dass Literatur von Männern „wertiger“ ist. Es gibt zum Beispiel Zahlen, die bestätigen, dass Frauen in ihren Doktorarbeiten wesentlich häufiger über Autoren schreiben. Die Anerkennung dafür scheint größer. Das muss sich ändern.
Autorinnen kennenlernen
Schreibtrieb: Wie sind die Reaktionen, wenn du erzählst, einen Laden nur für Werke von Autorinnen zu eröffnen?
Emilia: Meistens sehr positiv. Ein paar Mal wurde mir entgegnet: „Autorinnen, das ist ja schon eine ganz schöne Nische!“. Das ist natürlich bezeichnend und bestärkt mich eher in dem, was ich vorhabe.
Schreibtrieb: Durch meine Aktion #WirlesenFrauen habe ich viele Ausreden gegen die Förderung von Autorinnen gehört. „Ich lese nicht nach Geschlecht“, „Frauen haben es im Literaturbetrieb doch leichter“ oder auch „Frauen schreiben eben nicht so qualitativ“. Was erwiderst du, wenn Leute dir solche kurzgedachten oder auch sexistischen Sätze um die Ohren hauen?
Emilia: Auch mir wurde schon öfter gesagt, dass nicht das Geschlecht, sondern nur die Qualität der Literatur ausschlaggebend für die Wahl der Lektüre sein sollte. Diesen Menschen versuche ich zu erklären, dass es strukturelle Benachteiligung auf allen Ebenen (Verlag, Kritik) gibt und wir deswegen oft nur scheinbar eine Wahl haben. Ohne Kenntnis der Autorinnen kann man sie auch nicht wählen. Außerdem versuche ich verständlich zu machen, dass Qualität nicht objektiv ist, sondern zu einem großen Teil von der herrschenden Mehrheit geprägt wird. Und das waren im Literaturbetrieb lange Zeit die sogenannten alten weißen Männer. Stoffe, die beispielsweise von Häuslichkeit sprechen, wurden nicht ernstgenommen. Jetzt gibt es allerdings eine Wiederentdeckung vieler britischer Autorinnen (Jane Gardam, Ann Tyler), die auch von der Kritik sehr gelobt werden. Unser Blick und das, was wir für gut befinden, hat sich zum Glück verändert.
„Die interessanten Stimmen der Gegenwart sind oft weiblich“
Schreibtrieb: Nicole Seiffert und Berit Glanz haben gemeinsam mit anderen auf Twitter eine Aktion gestartet, in der die Frühjahrsprogramme der literarischen Verlage nach der Anzahl der Autorinnen durchgezählt wurden. Sie haben festgestellt, dass besonders prestigeträchtige Verlage mehr Autoren verlegen. Hast du Probleme, deinen Laden mit Büchern zu füllen?
Emilia: Haha, überhaupt nicht! Es gibt wirklich genug Autorinnen und gerade bei der Backlist, also den älteren Veröffentlichungen, noch wahnsinnig viel zu entdecken. Bei der Aktion #vorschauenzählen kam auch heraus, dass junge Verlage, wie Hanser Berlin oder Kein & Aber, wesentlich mehr Autorinnen als Autoren verlegen. Die interessanten Stimmen der Gegenwart sind oft weiblich.
Schreibtrieb: Auch in Indie-Verlagen und im Selfpub-Bereich gibt es großartige Autorinnen zu entdecken. Wird es bei dir auch solche Nischen zu kaufen geben?
Emilia: Indie-Verlage auf jede Fall! Ich bin ein großer Fan von vielen Indie-Verlagen (Nord-Verlag, Korbinian, Verbrecher, Avant, Spector Books, Matthes & Seitz und und und) und halte ihre Arbeit für wahnsinnig wichtig. Es gibt sogar einige Indie Verlage, die sich auf Autorinnen spezialisieren, Aviva und Edition 5 zum Beispiel. Ich werde auch Self-Publisher einkaufen, aber da ziemlich stark nach einerseits dem regionalen Bezug und andererseits meinem Geschmack gehen. Was ich gut finde, kommt in den Laden.
Diversität unter Autorinnen
Schreibtrieb: Welche Autorin darf in deinem Laden auf keinen Fall fehlen und auf welche Neuerscheinung freust du dich besonders?
Emilia: In den nächsten Woche werde ich folgende Neuerscheinungen lesen: Zeig Ihnen, wie man Spaß hat von Nicole Flattery, Sprache und Sein von Kübra Gümüşay, Meine Schwester, die Serienmörderin von Oyinkan Braithwaite und den Kurzgeschichtenband Heimweh nach einer anderen Welt von Ottessa Moshfegh. Außerdem warten diese beiden englischen Neuerscheinungen darauf von mir gelesen zu werden: In the Dream House von Carmen Maria Machado und Cleanness von Garth Greenwell.
Meine absolute Lieblingsautorin ist glaube ich Annie Ernaux, ihre Bücher wird es auf Französisch, Deutsch und Englisch bei mir geben. Abgesehen davon, ist es mir wichtig, dass die Autor:innen in meinem Laden die Diversität in der Gesellschaft widerspiegeln.
Schreibtrieb: Liebe Emilia, vielen Danke für deine Zeit und ganz viel Erfolg mit She said. Wenn ich das nächste Mal in Berlin bin, komme ich auf jeden Fall vorbei.
Oh spannend, wenn es mich mal nach Berlin verschlägt, wird She said ein Anlaufpunkt.
Dank #WirLesenFrauen achte ich mehr darauf Autorinnen zu lesen.
Ich freue mich auch schon darauf queere Autor:innen zu entdecken.