Alle Zeit – Teresa Bücker und wieso zum Lesen manchmal die Zeit fehlt

In den letzten Monaten konnte ich kaum am feministischen Lesekreis von Mareike von Crow and Kraken teilnehmen. Die Schwangerschaft mit Hyperemesis hat sowohl meine Lesezeit als auch die fürs Bloggen und soziale Interaktionen stark beschnitten. Als Patriarchat Kielholen sich aber Teresa Bückers Sachbuch Alles Zeit vorgenommen hat, war ich Feuer und Flamme. Langsamer als der Rest des Lesekreises, aber kontinuierlich, wenn mein Zustand es mir erlaubt hat, habe ich gelesen. Danke an den Ullstein Verlag für mein Rezensionsexemplar und die Geduld.

Auf einem schwarzen Untergrund liegt Teresa Bückers "Alle Zeit - Eine Frage von Macht und Freiheit". Das Cover ist cremefarben mit roten Buchstaben. Auf dem Buch liegt eine Armbanduhr und rechts ragt eine Karte mit der Schrift "Das Leben ist jetzt" heraus".
Ein Buch für jede*n: Terese Bückers Alle Zeit

Zeit ist Alles

Teresa Bücker ist Journalistin und Feministin. Lange Zeit war sie Chefredakteuerin von EDITION F. In Alle Zeit geht es passenderweise um Zeit. Schon Virginia Woolf erklärte, eine schreibende Frau braucht ein Zimmer für sich allein, Geld und Zeit. „Zeit ist Geld“, den Spruch kennen viele nur zu gut und wer seine Zeit verplempert, kann es auch gleich ganz sein lassen. Zeitmanagement steht hoch im Kurs, Me-Time und Quality-Time werden von Freizeit unterschieden. Alle wollen mehr Zeit, niemand hat genug. Das Zeit relativ ist, mag für unser Gefühl gelten, aber um auch das messbar zu machen, hat der Mensch Zeit in Sekunden, Minuten und Stunden verpackt, die er auf Lochkarten abstempeln kann.

Ressource oder Leitmedium

In Alle Zeit wird Zeit darum zurecht als „zentrale Ressource unserer Gesellschaft“ (Klappentext) beschrieben. Sie ist überall, unsichtbar und gleichzeitig tickt sie laut vor sich hin. Zeit gilt für alle, aber nicht für alle gleichermaßen. Wer wieviel Zeit hat und für was sie genutzt werden kann, ist abhängig von Alter, Geschlecht, sozialer Stellung, etc. Angefangen bei Care-Arbeit, die in der „Freizeit“ zu erledigen ist über Kosten für Hobbies oder Urlaube, mit denen freie Zeit genutzt werden könnte, bis hin zu Arbeitszeiten, ihrer unterschiedlichen Wertigkeit (Wie kann eine Stunde einer Arbeitskraft in der Pflege oder im Kindergarten weniger Wert sein als eine Stunde einer Person im Management?), dem Anspruch von Verfügbarkeit, etc.

Zeit bedingt alles

Das wird schnell klar. Und Zeit beeinflusst alle. Teresa Bücker zeigt, wie wir alle von Zeit abhängig sein, angefangen bei Säuglingen und ihren Schlafens- oder Stillzeiten. Dass seit Jahrzehnten bekannt ist, dass Teenager einen anderen Biorhythmus als Kinder und Erwachsene haben und ein Schulstart um 8:00 regelrecht gesundheitsschädlich sein kann, aber nichts unternommen wird, zum Beispiel. Ganz davon abgesehen, dass auch Erwachsene unterschiedliche Biorhythmen haben und ein „9 to 5 job“ eben nicht für alle perfekt ist. Auf viele Details und Erkenntnisse geht Teresa Bücker ein, ohne zu belehren. Vielmehr zeigt sie auf. Sie fügt Puzzleteile nahtlos zusammen und beim Lesen frage ich mich, war diese offensichtliche Verbindung so wenig Beachtung im öffentlichen Diskurs verdient.

Alle Zeit ist für alle

Zeit zu haben, ehrenamtlich tätig zu sein, heißt nicht, sie sich zu nehmen. Es heißt, Dinge verschieben zu können, finanzielle Sicherheit zu einem gewissen Grad zu haben, eine bestimmte Bildung (je nach Ehrenamt), zu einer bestimmten Gruppe zu gehören (mit der Zeit verbracht wird), … Zeit kommt nie allein, aber ohne sie wären all die anderen Faktoren zwecklos. Stattdessen bedingt Zeit bereits, ob und wie die anderen Faktoren zutreffen. Zeit ist, das wird beim Lesen klar, das versteckte Leitmedium unserer Welt und die Annahme, alle hätten gleich viel Zeit am Tag oder in ihrem Leben zur Verfügung ist schlichtweg falsch. Der Gedanke fügt sich in den intersektionalen Feminismus und ist doch so viel mehr, weil er wirklich alle betrifft. Wir müssen uns nur die Zeit nehmen (können), ihn zu denken.

Ein großartiges Buch für jede*n.

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