Meine Hyperemesis – vier Schwangerschaften, vier Fälle

Heute sind wir an der Stelle, an der ich euch meine Erfahrungen mit Hyperemesis offenlege. Ich versuche nichts zu dramatisieren, nichts zu beschönigen. Was mir wichtig ist: Hyperemesis kann sich auf unterschiedliche Art äußern, unterschiedlich stark sein und die bereits erwähnten Kriterien müssen nicht alle zutreffen, sondern im Grund reicht eines.

Was ich schon wusste:

Aus den Unterhaltungen mit meiner Mutter und Großmutter wusste ich, dass Schwangerschaftsübelkeit das eine, unablässiges Erbrechen aber etwas ganz anderes ist. Meine Großmutter hat fünf Kinder geboren und wurde lediglich in ihrer letzten Schwangerschaft im Krankenhaus behandelt. Damals ging es ihr so schlecht, dass sie durchweg abnahm und nach der Geburt weniger wog, als davor. Mein Opa fasste die extreme Situation als das auf, was sie war: lebensbedrohlich. „Schluss jetzt“, soll er gesagt haben und damit war jede Diskussion über weitere Kinder vom Tisch.

Natürlich gab es auch da kuriose Gerüchte, gepaart mit Zufällen. „Die Kinder mit den braunen Augen waren schlimmer“, meinte meine Oma, selbst blauäugig. Auch meine Mutter hatte bei ihrer zweiten Schwangerschaft stärkere Übelkeit und danach ein braunäugiges Baby. Meine Kinder haben bisher alle blauen Augen, die Wahrscheinlichkeit, dass mein viertes Baby eine Ausnahme bildet ist verschwindend gering. Solche Ammenmärchen in Bezug auf Übelkeit und Hyperemesis gibt es aber immer wieder zu hören.

Keule

Meine erste Schwangerschaft wurde mir klar, ehe ich den Test machen konnte. Denn mir war schlecht. Das Erbrechen kam erst danach, dafür beständig und ohne Erbarmen. Während mein Mann schon damals sehr fürsorglich war und ohne Probleme Dinge aus unserem Alltag strich, die mir Probleme machten, war es mein Umfeld gar nicht. „Probier doch erst mal“ oder „aber irgendwas musst du essen“ bis hin zu meiner Oma, die mir Leberknödel vorsetzte und sich wunderte, dass ich ohne einen Bissen zu nehmen (im Grunde, sobald ich das Haus betrat) aufs Klo rannte.

Keule ist heute zehn und unterstützt mich sehr. Er kümmert sich um Katzenklo und Spülmaschine, trägt mir die Wäsche hin und her und kümmert sich mit um seine Geschwister

Meine Ärztin reagierte erst, als ich Blut spuckte, weil meine Speiseröhre zu angegriffen war. Ich bekam ein pflanzliches Mittel, dass zumindest soweit half, dass mir nur noch permanent schlecht war, ich mich aber nur in Extremsituationen übergeben musste. Im fünften Monat wurde es besser, gegen Ende der Schwangerschaft, als der Magen weniger Platz hatte, wieder etwas schlimmer, aber im Großen und Ganzen kam ich gut durch die Schwangerschaft.

Nudel

Da Keule per Notkaiserschnitt auf die Welt kam und ich ein richtiges Trauma zu verarbeiten hatte – und da mein Mann und ich noch im Studium steckten – dauerte es bis zu Kind 2. Als ich mit der Nudel schwanger war, war Keule schon über vier, wir hatten geheiratet, mein Mann war in die Arbeitswelt getreten und ich hatte den ersten Studienabschluss. Ich verzichtete auf den Schwangerschaftstest, weil ich das Klo für etwas ganz anderes brauchte. Diesmal drängte ich auf mehr Unterstützung in der Arztpraxis – und bekam Vitamin B, ein Mittel gegen Reisekrankheit und Akkupressurbänder. Die Wirkung war lächerlich, ich nahm ab, konnte im Sommer kaum etwas trinken.

Die Nudel lernt gerade, ihrem kleinen Bruder beim Anziehen zu helfen und mehr Sachen selbst zu übernehmen

Schließlich bekam ich eine Infusion und die Stärkung half mir tatsächlich. Es gab gute Tage und fürchterliche. Irgendwie war ich voller Energie und gleichzeitig konnte ich kaum eine Mahlzeit bei mir behalten. Zusätzlich hatte ich während der Schwangerschaft mehrere Brustentzündungen – ich leide an Psoriasis und die Haut um die Brustwarzen wurde so rissig, dass ich etwa ab dem fünften Monat alle drei bis vier Wochen fällig war. Die Infektion förderte die Übelkeit, ich konnte nur sehr wenig essen, was sich gegen Ende der Schwangerschaft wieder verschlimmerte. Die Geburt startete mit einem Blasensprung – ausgelöst, weil ich das Abendessen nicht bei mir behalten konnte und der Druck zu viel war.

Knopf

Ziemlich exakt zu Nudelchens erstem Geburtstag war mir wieder schlecht. Ich hatte durch die lange Stillzeit nur unregelmäßig meine Periode und somit war die Übelkeit wirklich das Zeichen, das mich veranlasste, einen Test zu machen. Das Stillen und die Schwangerschaft hatten mich bereits ausgelaugt, ich wusste nicht, wie ich eine erneute Zwangsdiät überstehen sollte. Ich habe versucht, die Nudel noch weiter zu stillen, aber da zu wenig reinkam, wurde die Milch immer weniger. Wenn ich mit ihr dasaß und sie trank, wurde mir schlecht. Ich konnte die Kleine kaum ins Bett bringen. Das Abstillen war unvermeidbar und ich rechne es bis heute meinem Mann hoch an, dass er gerannt kam, um das Kind zu übernehmen, wenn ich aufs Klo rennen musste – also jeden Abend. Wieder brauchte ich Infusion und bekam Vitamin B. Im fünften Monat war mir nur noch übel, aber ich musste mich nicht mehr täglich übergeben.

In dieser Schwangerschaft habe ich mich selbst zum ersten Mal ausführlich mit Hyperemesis beschäftigt, da ich wieder stark dehydriert war und Gewicht verlor. Meine Ärztin zögerte sehr. Eine HCG-Unverträglichkeit, die ich ansprach, wurde mit „da müsste es ja immer schlimmer werden“ abgetan. Ich stellte die Diagnose also quasi ohne Bestätigung der Ärztin und versuchte, mir selbst zu helfen. Ich lotete genau aus, was ich essen konnte, welche Gerüche mir guttaten. „Ach deswegen ist der Mama so schlecht“, sagte Keule, als er hörte, was los war und damit war die Sache für ihn klar.

Dem Knopf fällt es schwer, dass ich weniger machen kann, als sonst. Aber er freut sich sehr auf sein Geschwisterchen

An manchen Tagen stürmte ich aus dem Supermarkt, weil irgendwer stunden vorher eine Flasche Wein ausgeschüttet hatte und ich den Geruch nicht ertragen konnte, während mein Mann ihn nicht einmal wahrnahm. Auch diesmal wurde es gegen Ende schwieriger. Zwei Zwieback am Tag waren die Menge, mit der ich ohne Probleme klarkam. Ich aß quasi immer, aber immer nur Kleinigkeiten. Eine Mandel, die ich über Stunden lutschte und ganz langsam kaute, einen Schluck Saft, einen Apfelschnitz, ein halbes Brot.

Und diesmal?

Obwohl ich schon immer Hyperemesis in der Schwangerschaft hatte, ist es diesmal anders. Bei Nudel und Knopf konnte ich einen Krankenhausaufenthalt gerade so verhindern, diesmal war er meine letzte Rettung. Dass zumindest die Übelkeit auch nach der oft genannten zwölften Woche nicht verschwindet, kannte ich vorher auch, aber dass der Brechreiz noch so stark ist, ist auch für mich neu.

Ohne mein Medikament kann ich an den meisten Tagen nicht bei mir behalten. Dass ich zuvor lediglich pflanzliche, homöopathische und Vitamintabletten bekommen habe, finde ich regelrecht fahrlässig. Hyperemesis saugt den Körper leer, es zieht das Calcium aus den Knochen, sorgt für Herz-Kreislauf-Probleme, lässt Muskeln degenerieren und kann bei Mutter und Kind bleibende Schäden zurücklassen. Dass niemand in der Schwangerschaft direkt mit der Chemie-Keule kommen will, verstehe ich, aber dass so viele Betroffene leiden und regelrecht flehen müssen, ist unverantwortlich.

Noch immer zählt jeder Bissen, der drin bleibt

Ich bin im siebten Monat und nehme täglich eine halbe bis zu einer Tablette eines Medikaments, das sonst nach Chemotherapien verabreicht wird. Das ist mit Sicherheit nicht ideal, aber die Alternativ ist für alle Beteiligten schlimmer. Wieder muss ich neu ausloten, was und wieviel ich essen kann. Dass ich Probleme mit Milch(produkten) habe, ist beispielsweise neu, dass ich kein Eis essen kann, nicht. Ich probiere immer noch viel aus und manchmal weiß ich auch nicht, ob ich einfach einen Löffel zu viel gegessen habe oder irgendein Nahrungsmittel meinem Magen den letzten Schubs gegeben hat. Zwei Drittel der Schwangerschaft liegen hinter mir und ich stehe noch. Der Sommer macht mir Angst, schon jetzt zeigen mir die warmen Tage, dass mit ihnen nicht zu Spaßen ist. Ich bin um jeden Tag unter 20 Grad froh.

Was ich anders machen würde

Im Nachhinein würde ich früher ins Krankenhaus gehen. Nicht nur in dieser Schwangerschaft, sondern bereits in denen davor. Um mich und meine Kinder besser zu schützen, aber auch um mir und meiner Umgebung stärker klar zu machen, dass dieses Erbrechen eben nicht „normal“ ist, sondern ernst zu nehmen.

Wenn von 0,5 aller Schwangerschaften weltweit als Hyperemesis-Fälle die Rede ist, denke ich immer, das liegt auch daran, dass Frauen, die nur einmal oder zweimal schwanger sind vielleicht nie bis zur Diagnose kommen. Von Fehldiagnosen abgesehen, denn starke Übelkeit in der Spätschwangerschaft kann auch mit Gestose (Schwangerschaftsvergiftung) oder Schwangerschaftsdiabetis erklärt werden. Da fehlt vielerorts die Sensibilisierung nachzuforschen, woher die Symptome wirklich kommen. Gleichzeitig bedeutet die eine Erkrankung nicht, dass die andere ausgeschlossen werden kann.

Meine Hyperemesis – immer wieder neu

Eines der größten Probleme ist die Verkitschung von Schwangerschaft zu einer wundervollen Phase. Vielen Frauen geht es aus unterschiedlichen Gründen nicht gut. Ich kenne Schwangeren, die große Probleme mit Wassereinlagerungen hatten oder tiefsitzende Plazenten, die mit Bluthochdruck oder Entzündungen zu kämpfen haben. Ich spüre sehr gerne die Bewegungen des Ungeborenen und ich liebe meine Kinder. Ein Kinderspiel war es aber nie, mit ihnen Schwanger zu sein.

Kuriose Gelüste oder Gefühlsschwankungen, die gerne als stereotypische Begleiterscheinungen dargereicht werden, sind dagegen genauso stark oder weniger stark verbreitet. Dieses Bild müssen wir dringend überdenken. Es greift in Debatten um Elternschaft, Arbeitsrecht und Abtreibung, um nur einige zu nennen. Schließende Geburtenstationen und Hebammenmangel verstärken das Problem und auch das Bild der glücklichen Schwangeren, der am Anfang etwas übel ist, die dann nicht mehr aufhören kann zu essen und irgendwann mit etwas Hecheln ein Kind auf die Welt presst.

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