Ein stressiger Monat, schöne Erfahrungen und ein mieses Buch zu Hyperemesis

Gerade zieht irgendwie alles vorbei. Ich stecke mittendrin in den Vorbereitungen zu meiner Märchenadaption, die am 13.07. erscheint, das Wetter haut mir regelrecht auf den Magen und die nächsten Wochenenden sind so vollgestopft, dass ich mich regelrecht auf die Montage freue. Auch der Stapel an zu rezensierenden Büchern wächst. Wenn ich ab Mitte nächster Woche am Schreibtisch wieder etwas mehr Luft habe, werde ich hoffentlich endlich wieder da ans Abarbeiten gehen können.

Das Thema Hyperemesis

Auch ein paar Beiträge zu Hyperemesis bin ich euch noch schuldig. Ich bin ja überwältigt wie viele Leute sich bei mir gemeldet haben. Betroffene, die mir für meine Artikel gedankt haben. Neugierige, die das Thema zum ersten Mal auf dem Tisch hatten. „Wenn es dich nicht betrifft, beschäftigst du dich mit so was ja nicht“, meinte eine Freundin. Natürlich hat sie damit recht und natürlich steckt hier auch das Problem. Denn das ist doch der Grundgedanke jeder Diskriminierung. Es betrifft mich ja nicht.

Mein Bruder dagegen amüsierte sich über meine #sagsnichtzuhyperemesis Sprüche und mutmaßte, ich hätte sie mir ausgedacht. Leider nicht. Solche Sätze habe ich schon oft gehört. Ich unterstelle nicht, dass sie böse gemeint sind oder waren, vor allem eher unbedacht. Noch so ein Faktor der Diskriminierung. Das nicht darüber nachdenken, ob man gerade jemandem, der am Boden liegt, noch schön in den Magen tritt.

Danke LitCampHD

Dass meine Intention, zu sensibilisieren, bereits wirkt, freut mich ungemein. Nicht nur bei denen, die sich von mir verstanden fühlen und mit mir darüber reden, wie es ihnen geht. Das tut uns allen gut und ich freue mich über jede Nachricht. Auch von anderer Seite. Die großartige Orga vom Literaturcamp Heidelberg hat mich beispielsweise angeschrieben, wie sie mir helfen können, die zwei Tage übernächstes Wochenende auch genießen zu können. Ich habe gestrahlt übers ganze Gesicht, als ich die Nachricht bekommen habe, denn damit habe ich wirklich nicht gerechnet.

Hyperemesis Gravidarum – Anna Hubrich und Christiane Braun

Ich denke auch immer mehr daran, ein Buch zu Hyperemesis zu schreiben. Es gibt ein deutschsprachiges Buch, ein einziges, das ich dazu gefunden habe. Hyperemesis Gravidarum von Anna Hubrich und Christiane Braun, erschienen bei fidibus. Wer schon einmal nach Hyperemesis gegoogelt hat, wird zweitere eventuell kennen. Sie betreibt eine Internetseite zum Thema, wo Betroffene Erfahrungsberichten einstellen können. Ich war sehr gespannt und wenn mich das Buch absolut überzeugt hätte, wäre meine Idee, selbst eines dazu zu schreiben, schon längst wieder abgelegt worden.

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Zumindest der Anfang war vielversprechend. Die ersten sechs Seiten befassen sich mit Auslösern und Krankheitsbild. In dem Umfang wirklich nur rudimentär, aber durchaus so, dass es sinnig und gut nachzuvollziehen ist. Es folgt ein Interview mit einem Arzt und eines mit einer Hebamme, so dass hier unterschiedliche Blickwinkel und Empfehlungen abgegeben werden. Bis S. 24 war ich also wirklich begeistert und hoffte, noch viel mitnehmen zu können.

Nach dem Anfang gings bergab

Dann kamen die Empfehlungen, wie mit Hyperemesis umzugehen ist, und ich kam ins Straucheln. Der Teil fängt mit Getränken an, von denen ich beispielsweise 90% nicht zu mir nehmen kann. Dass gerade dieses Buch hier wenig auf „schau, was dir gut tut“ setzt, sondern fast schon Ernährungsberatend daherkommt, sehe es kritisch. Es sticht sich auch mit den Berichten, die im hinteren Teil kommen. Fast schon schlimm fand ich den Teil, der sich mit fester Nahrung befasst.

Hier kommen die üblichen Empfehlungen zur Schwangerschaftsübelkeit, die bei Hyperemesis einfach sehr oft gar nichts bringen. Bereits im Bett etwas essen, Obst und andere gesunde Nahrungsmittel zu bevorzugen etc. Hier hatte ich das Gefühl, dass das Buch die gleichen Schuldgefühle erzeugt, wie die Umwelt, wenn die Schwangere sich mit „ungesunden“ Nahrungsmittel behelfen muss, um überhaupt etwas bei sich behalten zu können. Auch hier konnte ich für mich so gar nichts abgreifen, denn der Rat auf Suppen umzusteigen funktioniert nicht, wenn jeder Schluck Wasser mich aufs Klo rennen lässt.

Probier’s mal mit

Dann kam bei mir das große Augenrollen. Heilpraktiker und Akupressur werden bei Schwangerschaftsübelkeit gerne genannt – mir ist keine Hyperemesis-Patientin bekannt, bei der die Sea-Bands (eigentlich gegen Reiseübelkeit, daher der Name) Linderung verschafft hätten. Auch Aromaöle können bei geruchsempfindlichen Betroffenen schnell nach hinten losgehen. Meine Mutter hatte zuletzt ein Lavendeltuch dabei, als sie uns bei der Steuer geholfen hat, und ich habe mein Esszimmer erst mal gemieden. Auch die angepriesene Minze habe ich erst mal aus unserem Haushalt verbannt. Natürlich gilt: jede reagiert hier anders. Konkrete Empfehlungen sind schwierig, aber hier wird mit fast schon stereotypischen Methoden gegen Schwangerschaftsübelkeit auch gegen Hyperemesis angegangen. Das funktioniert meistens nicht, weil Ursachen und Ausprägung einfach zu unterschiedlich sind. Zum Punkt „Homöopathie“ sag ich lieber nichts^^.

So wichtig ich es finde, dass das Buch psychosomatische Ansätze mit vertritt und beispielsweise mögliche Depressionen, die durch Hyperemesis ausgelöst werden aufgreift, so kritisch sehe ich es, dass die Psyche auch hier als Mitursache relativ groß herausgearbeitet wird. Steht in der Herleitung noch, dass genau diese Ansicht eher überholt ist, wird später auf mögliche psychische Ursachen eingegangen. Auch hier aber bleibt das Buch oberflächlich. Vielleicht mein größter Kritikpunkt beim theoretischen Teil, er nicht ganz die Hälfte der 163 Seiten ausmacht. Vieles wird nur genannt, angesprochen oder angedeutet. Wirkliche Informationen fehlen und es erfolgt kein kritischer Blick auf aktuelle Empfehlungen.

Mögliche Behandlung

Interessant fand ich dafür einen Beispielsbehandlungsplan – auch wenn ich mal wieder nicht ohne Kritik auskomme. In fünf Stufen soll der Plan die Heftigkeit der Hyperemesis und die damit verbundenen Behandlungsschritte aufzeigen. Die ersten vier Schritte sind aus meiner Sicht eher der Versuch, aus Hyperemesis doch nur eine starke Übelkeit zu machen. Psychische Faktoren erkennen und angehen, Lebensgewohnheiten ändern, Akupressur und schließlich Vitamin B. Nur ganz kurz dazu: Hyperemesis erzeugt psychische Faktoren, ändert Lebensgewohnheiten und bei einem angegriffenen Magen ist die Vitamin B Aufnahme stark vermindert bis nicht mehr existent.

Ich für meinen Teil habe die vier Stufen innerhalb der ersten vier Schwangerschaftswochen hinter mir gelassen. Wenn Hyperemesis einsetzt (bei manchen auch erst um die achte Woche oder irgendwo dazwischen), dann haut es dich um, der Alltag ist nicht mehr machbar und es braucht schnelle, konkrete Hilfe. Wer den Tag über der Kloschüssel hängend verbringt, kann sich so viele Akupressurbänder anziehen, wie sie lustig ist und vielleicht zwischen dem Würgen noch überlegen, ob sie psychische Probleme hat. Oder eher nicht.

Stufe fünf dann nennt konkrete Arzneimittel, die helfen sollen. Fünf Stück werden aufgezählt, von Antihistaminikum über Schlafmittel bis zum Sedativ ist alles dabei. Mein Medikament und sein Wirkstoff Ondansetron sind überhaupt nicht aufgeführt. Eine gute Sache allerdings: Das Buch verweist an der Stelle auf die Seite embryotox.de, wo Schwangere Medikamente und ihre Wirkstoffe in Bezug auf die Verträglichkeit in der Schwangerschaft suchen können.

Macht vieles, aber keinen Mut: Hyperemesis Gravidarum
Erfahrungen aus der Hölle

Ab S. 57 folgen dann Erfahrungsberichte. Die sind weder für schwache Nerven, noch für Frauen, die in Elendssituationen auf Lichtblicke hoffen. Manche sind mehrere Seiten lang, andere sehr kurz. Die meisten kenne ich vom bereits genannten Blog von Christina Braun, was ich sehr schade fand. Auch stehen die Berichte einfach hintereinander, ohne dass noch irgendetwas aufgearbeitet worden wäre. Regelrecht gruselig sind die Erfahrungen mit Ärzten, Hebammen und Krankenhäusern, Selbstmordgedanken und Schwangerschaftsabbrüche werden aufgeführt, die große Hilflosigkeit bei Betroffenen und ihrem Umfeld. Das ist für mich ok, denn es entsprich der Wahrheit.

Ohne Reaktion darauf finde ich es aber sehr schwer das ist einem Ratgeber (!!!) für Hyperemesis zu verpacken. Noch dazu wo der Theorieteil so oberflächlich vorangestellt war. Hier fehlt die Verbindung, das Aufarbeiten der Berichte und konkrete Hilfestellungen auch für das Umfeld der Betroffenen. Es wird nirgends erwähnt, welche Probleme bei einer ärztlich verschriebenen Haushaltshilfe auftreten können. Zum einen funktioniert das nur für Kassenpatienten, privat versicherten wird die Leistung nicht zugestanden (mein Mann ist Beamter, also konnten wir das nie nutzen), zum anderen ist es auch für Kassenpatienten kein einfacher Anruf. Die Haushaltshilfen sind Pflegekräfte und dementsprechend ausgebucht. Wer nicht die Kraft hat, selbstständig nach jemandem zu suchen, braucht vor allem viel Glück. Und das ist nur ein Punkt, den das Buch permanent auslässt.

Ich bin zutiefst ernüchtert worden. Hatte ich am Anfang noch gehofft, ein Buch in den Händen zu halten, dass Betroffenen und mir wirklich helfen kann, war es am Ende ein fünfzig Seiten Zusammenschrieb der typischen Empfehlungen für Schwangerschaftsübelkeit, an den unkommentierte Erfahrungsberichte, dich ich bereits online gelesen habe, angereiht waren. Im Abschluss bin ich froh, das Buch nicht schon im Januar, als es mir so richtig dreckig ging, gelesen zu haben. Es hätte mich vollends verzweifeln lassen.

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2 Kommentare

  1. Danke für deine Rezension!! Werde das Buch meiner Freundin nun doch nicht anraten 😀

    GlG Klara
    http://www.psychobuch.org

    1. Liebe Klara, wie gesagt ist es leider auch das einzige Buch auf dem deutschen Markt zu Hyperemesis. Wenn deine Freundin betroffen ist, ist das Wissen, nicht allein zu sein, trotz aller Kritik sehr viel Wert. Du kannst ihr auch gerne meine Beiträge zu Hyperemesis empfehlen.

      LG Eva

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