Stiefmütter – Barbara Tóth

Wenn es um Mütter geht (und bei mir geht es immer irgendwie um Mütter), müssen natürlich auch Stiefmütter einbezogen werden (genauso wie Adoptivmütter, Pflegemütter, etc.) Barbara Tóth hat sich in ihrem Buch diesem Thema angenommen und der Titel Stiefmütter – Leben mit Bonuskindern verrät schon, dass hier auch aus dem Nähkästchen geplaudert wird. Erschienen ist das Buch beim Residenz Verlag, ich habe es über eine Agentur als Rezensionsexemplar bekommen.

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Zwiegespalten

Ich habe nicht oft Bücher vor mir, bei denen ich an manchen Stellen absolute Zustimmung gebe und andere Passagen mich mehr als nur verwirrt zurücklassen. Dieses Buch hat das geschafft, weswegen meine Rezension erst jetzt kommt. Ich musste meine Gedanken erst in Ruhe sammeln. Zunächst geht Barbara Tóth, Historikern und Journalistin, das Stereotyp Stiefmutter an. Absolut fundiert zeigt sie auf, dass unser negatives Bild noch immer maßgeblich durch die Stiefmütter der Märchen beeinflusst ist. Als negativer Mutter-Imago der Romantik hat sich diese Vorstellung ausgebreitet und ist tief in unsere Gesellschaft eingegangen. Noch heute nutzen wir das Wort „stiefmütterlich“ wenn wir eine Vernachlässigung bezeichnen wollen.

Manche Punkte sind mir aber zu nachlässig aufgezeigt. Beispielsweise geht die Autorin nicht darauf ein, dass die Stiefmütter erst durch eine Überarbeitung Einzug in die Märchen – und damit auch in unsere Kultur als Stereotyp – gehalten haben. Zweitens nimmt sie ausgerechnet die Märchen als Vorlage, um kulturelle Unterschiede zu unseren französischen Nachbarn aufzustellen – die allerdings selbst Stiefmütter in ihren bekannten Märchensammlungen kennen. Dass den Unterschied hier die Entwicklung ausmacht, geht für mich unter.

Blick durch die Zeiten

Wesentlich genauer ist da die Angabe zur Gegenwart. Frau Tóth jongliert versiert mit aktuellen Zahlen. Dabei fällt auf, dass statistisch gesehen die wenigsten Kinder mit ihren Stiefmüttern zusammen leben. Lediglich 10 % der Patchworkfamilien in Österreich sind das beispielsweise. Viel öfter sind Stiefmütter, sowohl in Österreich als auch in Deutschland, teil von „Wochenendfamilien“. So erklärt sich auch der Begriff „Bonuskinder“. Der soll zur angeheiratete Mutter als „Bonusmutter“ eine positivere Bezeichnung sein  und gleichzeitig eben keine Alltäglichkeit implizieren.

Absolut korrekt zeigt das Buch auf, welche Zuschreibungen Mütter erfahren, welche Reduktion ihrer Persönlichkeit im öffentlichen Augen geschieht, sobald die Frau eine befruchtete Eizelle in sich trägt. Die Kritik an diesem Mutterkomplex ist in jedem Zug korrekt. Die Auswirkungen, die Barbara Tóth daraus für die Stiefmutter ableitet finde ich dagegen schwieriger.

Man könnte am Ende sogar so weit gehen und postulieren: Die gute Stiefmutter, die „belle-mére“, ist die bessere, modernere Mutter, der progressive Gegenentwurf zum traditionellen deutschen Mutterbild, das immer noch das Denken über Frauen und Familie in Deutschland, Österreich und der Schweiz dominiert. – S. 35

Da musste ich schon etwas schlucken. Hier spricht das Buch leiblichen Müttern ab, einen ebenso selbstbewussten und emanzipierten Weg zu gehen, wie die Autorin ihn für Stiefmütter aufzeigt. Die, so steht es im Buch, befreien sich einfacher aus der Annahme, sie seien jetzt auch Organisatorinnen für die „Bonuskinder“ und führten neben ihren Männern, den leiblichen Vätern, ein gleichberechtigteres Leben. Uff. Am Ziel vorbei geschossen für meinen Geschmack.

Ist das Bonus oder doch „normal“? Barbara Tóths Stiefmütter
Klassische Mütterproblematik

Daneben bringt die Argumentation die Klassiker in Punkto Mütterproblemen. Die Sicht der Gesellschaft, dass Mütter bitte immer verantwortlich sind. Die Gehaltsdifferenz, die Teilzeitfalle, gläserne Decken genauso wie der Umstand, dass viele exzellent ausgebildeten Frauen keine Kinder bekommen. Was mir persönlich gegen den Strich fährt, ist die Auslassung der Väter. Es wird nie angesprochen, ob und inwieweit sich geschiedene Väter eventuell mehr um ihre leiblichen Kinder bemühen – wovon die Patchworkfamilie profitieren kann – sondern jedes Argument auf dem Rücken der (Stief-)Mütter ausgetragen. Das ist einfach kein komplexer Blick, sondern einer, der geradezu verzweifelt, Stiefmütter zu Übermüttern macht. Nicht im traditionellen Sinne, sondern in einem ganz anderen, alles vereinenden.

Auch der mögliche Konflikt mit den leiblichen Müttern wird angesprochen. Für mich ist der Blick hier etwas zu einfach gemacht. Komplexe Themen wie eine einheitliche Beziehung, Ablehnung durch die Kinder oder auch solche Varianten, in denen die Stiefmütter (gleiches gilt für Stiefväter) von sich aus sagen, sie haben keinen Teil an der Erziehungsarbeit, weil sie ja nicht leiblich mit den Kindern verwandt sind, fehlen. Das Buch versucht ein positives Bild zu zeigen, kein komplettes. Die größte Problematik ist, dass dabei immer wieder leiblichen Eltern die Fähigkeit abgesprochen wird, die gleichen Leistungen zu übernehmen und dadurch eine Überhöhung der Stiefmutter in jeder Hinsicht erfolgt.

Sie sind Heldinnen des Alltags, Heldinnen der wunderschönen Idee von sozialer Verwandtschaft, also von Verantwortung-füreinander-Übernehmen, auf Dauer, auf Augenhöhe, in wechselseitiger Anerkennung und Liebe. – S. 117

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