Juliet, Naked – Nick Hornby

Bevor ich mich den Mai-Thrillern für Einmal durchs Regal widmen muss, habe ich noch schnell die 368 Seiten von Nick Hornbys Juliet, Naked gelesen.
Annie und Tucker schreiben sich emails, weil Annie eine vernichtende Rezension über eine Platte (Juliet, Naked) geschrieben hat, die Tucker vor Jahren als Demoband aufgenommen hatte. Er fühlt sich zum ersten Mal verstanden und sie ist froh, nach ihrer gescheiterten Beziehung zu einem großen Fan von Tucker, einen Menschen gefunden zu haben, der Tucker kennt, aber nicht verehrt. Beide kommen aus verpfuschten Beziehungen, beiden kennen es, Jahre des Lebens zu vergeuden, beide genießen die offene Anonymität ihrer Nachrichten. Als Tuckers zweite Tochter (er hat fünf Kinder, kennt aber eigentlich nur eines, das er großgezogen hat, näher) ihr ungeborenes Kind verliert kommt Tucker von Amerika nach England und trifft Annie. Sie verstehen sich, gehen sich unter die Haut, erkennen sich gegenseitig. Sofort durchschaut Annie Tuckers Selbstbetrug und er ihr Bedürfnis nach Nähe.
Hornbys Roman endet gewohnt unbefriedigend. Wer weiß, was aus Annie und Tucker wird, ob Tucker sich seiner Vergangenheit in Form seiner Kinder stellt und Annie ihr Leben selbst bestimmen kann, ob Annie wieder mit ihrem Ex, Duncan zusammen kommt oder Tucker mit seiner neuen Platte Erfolg hat. Und gleichzeitig steckt der meiste Inhalt in den letzten Seiten, den Forumseinträgen auf der Fanseite von Tucker. Seine Fans, die ihn nie verstanden haben, verstehen ihn auch jetzt nicht, sehen in seinem Frieden einen Langweiler. Woher aber sollte der Mann, der seit Jahren keinen Song mehr geschrieben hat, den Mut zum Schreiben und den Frieden dazu gefunden haben, wenn nicht in der Aussöhnung mit seiner Vergangenheit zu der Annie ihn angestiftet hatte.
Vieles ist gut, ist großartig. Die Charaktere Annie und Tucker, die beide nahezu zerstört sind, unzufrieden mit sich selbst und sich im erkennen des jeweils anderen selbst erkennen und sich gegenseitig helfen. Für beide gibt es plötzlich wieder Zukunft und Hoffnung. Die Liebesgeschichte müsste nicht einmal sein, um diese zwei, um ihre Geschichte unverkennbar und verdammt gut zu machen. Immer wieder schafft Hornby es verkorkste Charaktere zu schaffen, die zusammen zu einer großartigen Komposition werden.
Manche Szenen aber sind zu erzwungen und stören darum. Dass Duncan Tucker kennenlernt und es nicht glaubt, ist verständlich, sein Auftreten bei Annie aber, sein Gespräch mit Tucker, das ist aufgesetzt und wirkt übertrieben. Auch Annies Kinderwunsch per se ist glaubhaft und gut dargestellt, dass sie aber beim Sex mit Tucker den Verhütungsschutz absichtlich weglässt, ihn aber im Glauben lässt, ihn zu benutzen, das ist zu viel des Guten.
Der Verweis auf Musik, Internetforen und Emails ist dabei sehr gut eingesetzt, um die mediale Fluchtmöglichkeit aufzuzeigen. Duncan flüchtet sich in die digitale Welt, in der er ein glaubhafter und angesehener „Crowologe“ ist. Annie und Tucker lernen sich über das anonyme Internet kennen und auch auf gewisse Art und Weise lieben. Und gleichzeitig ist das Internet die Quelle der Lügen. Ein falsches Bild von Tucker, die Ansichten seiner Fans, die nicht mit der Wahrheit übereinstimmen, das Internet ist eine andere Wirklichkeit, aber keine, die die Realität abbildet. Es ist Fluch und Segen zugleich.
Juliet, Naked hat Schwächen, ja. Aber wer hat die nicht? Und am Ende kommt, wie bei Annie und Tucker, eine Komposition heraus, die gelungen ist, die sich lohnt, gelesen zu werden, die wirklich gut ist.

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