Autor:innen und ihr Werk – Trennung auf Zeit

Drei Bücher ohne Schutzumschlag liegen auf einem Holztisch. Auf einem ist ein Zettel mit "Author not found", auf dem nächsten steht "Wer hat's geschrieben?" und auf dem dritten "Don't judge a book by it's author ...". Oben links steht eine Tasse dampfender Kaffee

Autor:innen vom Werk zu trennen ist eine Sache, die gleichzeitig betont einfach und schlicht unmöglich ist. Wer Argumente dafür angibt, sucht sich im Grunde nur Ausreden, sich entweder nicht mit dem Thema der Kritik auseinandersetzen zu müssen oder nimmt die Kritikwürdigkeit der Person nicht nur in Kauf, sondern sieht darin sogar einen Sympathiepunkt.

Untote Autor:innen

In der Literaturwissenschaft wird Student:innen beigebracht, die Autor:innen zu vergessen. Das Werk steht für sich, es hat eine eigene Aussagekraft, die durch die Persönlichkeit der:s Autor:in nur verfälscht wird. Dieser hermeneutische Ansatz sieht in der Theorie ganz toll aus. Das Werk selbst sagt aus, der Text selbst meint, die Sätze sprechen für sich. „Der Autor ist tot“, schrieb Roland Barthes 1967. Auch wenn Barthes dabei vielleicht tatsächlich weniger an Autorinnen gedacht hat, unterstelle ich ihm, dass diese Aussage auch die Geschlechtlichkeit der schreibenden Person gemeint hat. Logische Unterstützung bekommt das Argument durch die Erklärung, dass die Autorin ja nur im Schreiben Autorin ist. Danach ist sie eventuell Lektorin, Marketing Managerin, Interviewpartnerin, Leserin. Aber sobald sie den Stift hinlegt, die Tastatur schweigen lässt und das Werk für beendet erklärt, nimmt sie eine neue Position ihm gegenüber ein. Selbes gilt, ihr werdet es ahnen, für Autoren.

Natürlich können Autor:innen sich weiterentwickeln und ihre ehemaligen Texte übertreffen. Thomas Mann hat in seiner Jugend den Aufstieg der Nationalsozialisten gefeiert und wurde dann zum politischen Gegner, der ins Exil floh. Bettina von Armin war dem romantischen Nationalismus nicht abgeneigt und hat später lange und oft für diskriminierte Minderheiten und Ausgestoßene gekämpft, für Arme, Jude und Revolutionäre. Einsichten und Neuorientierungen sind ganz natürlich im Leben. Das trifft auch für Schreibende. Darum wird auch immer mal wieder zwischen Frühwerk oder Spätwerk unterschieden, das Gesamtwerk wird als Entwicklungsprozess erkannt. Aber Moment, schon sind wir wieder an dem Punk, an dem die Autorin und der Autor eben nicht tot sind. Mist.  

Zwischen Werk, Wissenschaft und Wirklichkeit

Auch die Literaturwissenschaftlerinnen kommen immer mal wieder an ihre Grenzen, wenn es darum geht, Analysen ohne Referenzwerte durchzuführen. Da wird der historische Hintergrund zu Rate gezogen, die Rezeption, der psychologische Blickwinkel, die Motivik und ja, auch die Biografie der Autorin. Der alte Herr Geheimrat sticht da als Paradebeispiel heraus. Werther und Lotte, Goethe und Charlotte Buff, vielleicht war er einfach nicht sonderlich kreativ (sorry, Herr Professor). Ein Werk nur für sich sprechen zu lassen, klappt vielleicht unter Laborbedingungen, wenn sowohl Autorin, historischer Hintergrund, vergleichbare Motiviken etc. unbekannt sind. Es klappt im Rahmen der Wissenschaft, wenn der Text alleine steht und sich selbst erklären soll. Aber in der Realität oder dem, was wir Wirklichkeit nennen?

Drei Bücher ohne Schutzumschlag liegen auf einem Holztisch. Auf einem ist ein Zettel mit "Author not found", auf dem nächsten steht "Wer hat's geschrieben?" und auf dem dritten "Don't judge a book by it's author ...". Oben links steht eine Tasse dampfender Kaffee
Wer problematische Aussagen von Autor:innen ignoriert, stimmt ihnen zu. Wer ihre Bücher fördert, tut genau das.

Autor:innen geben immer wieder zu, dass die Realität sie inspiriert. Die Recherche ist ein wichtiger Bestandteil jeder guten Literatur. In Kombination mit Kreativität werden daraus neue Welten, beeindruckende Schicksale und große Geschichten. Die sorgfältige Ausarbeitung und detailverliebte Platzierung von Motiven und Anspielungen macht Spaß und kann von Leser:innen entschlüsselt werden. Immer wieder heißt es in Interviews, dass jede Figur etwas von der:m Autor:in hätte. Eigene Überzeugungen und Kernaussagen in den eigenen Texten – vielleicht auch unbewusst – unterzubringen, ist ein geradezu natürlicher Prozess. Einfallslose Journalist:innen fragen in Interviews zuverlässig danach, wie viel der Autor:innenpersönlichkeit in der Hautptfigur zu erkennen ist. Jeder Roman ist ein Auswuchs der Autorin oder des Autors. Kein:e Autor:in würde einen Roman veröffentlichen, mit dessen Grundaussage sie/er/them nicht einverstanden ist.

Die Autorin, den Autoren vom Werk zu trennen verkennt, dass beide einander nicht nur bedingen, sondern dass ihre Existenzen miteinander verknüpft sind. Denn so wie das Werk Autor:in und Leser:in braucht um überhaupt zu sein, braucht die Autorin oder der Autor das Werk, um zur:m Autor:in zu werden.

Betrachtung, Kritik und Hype

Nun kann die Literaturwissenschaft, deren Aufgabe ist, zu analysieren und zu encodieren, durchaus auch Werke strittiger Autor:innen betrachten. Um etwa Kritik genau formulieren zu können oder in Bezug zu anderen Themenbereichen zu stellen. Literaturwissenschaft wertet dabei nicht. Auch wenn sich durchaus eine Bewertung im Sinne von „literaturwissenschaftlich relevant / nicht relevant“ ergibt, wenn immer die gleichen Autor:innen und Werke analysiert werden). Leser:innen aber werten permanent. Sie lassen Hypes entstehen und machen Fandoms möglich. Sie geben Autor:innen Macht und ihren Aussagen Gewicht.

Eine:n Autor:in, die/der in der gerechtfertigten Kritik steht, weiterhin zu lesen, unterstützt ihre/seine Behauptungen und minimiert dadurch die Kraft der Kritik. Sie/Er erfährt Reichweite und ihre/seine Stimme wird laut. Wer dabei hilft, indem er oder sie die Bücher weiterhin liest und stärkt, bestätigt demnach auch die Autorin/den Autoren. Die Autorin, den Autoren vom Werk zu trennen mag in der hermeneutischen Abriegelung der Literaturwissenschaft theoretisch funktionieren. In der Realität ist es nicht möglich.

Oder vielmehr, es ist nur zu leicht möglich, weil Leser:innen das Buch und sich als eine Einheit wahrnehmen. Egal, was jene Person, die es geschrieben hat, gesagt hat, hier steht eine Geschichte, die FÜR MICH etwas ganz anderes bedeutet. Leser:innen wollen aus dem Kosmos der fiktiven Welt nicht ausbrechen und die Autor:innenfigur einbeziehen. Sie nehmen die Kommunikation durch Literatur nur von ihrer Seite her wahr. Und ehrlich: ja, das kann eins machen. Wir können lesen, ohne die Autor:innenschaft bewusst zu betrachten. Aber wenn wir darüber reden, wenn wir Bücher empfehlen, hübsche Fotos davon machen, uns einem Fandom anschließen, Goodies kaufen, darstellen oder diese Geschichte im Großen Teil unserer Welt werden lassen, dann müssen wir uns zwangsläufig mit der oder dem Autor:in beschäftigen. Mit den Aussagen und den Hintergründen, die zu dieser Geschichte gehören. Mit den Aussagen, die darin versteck sind, auch wenn wir sie nicht erkannt haben.

Aussagen ignorieren heißt sie zu bestätigen

Wenn wir das nicht tun, sind wir nicht nur heuchlerisch gegenüber uns selbst, weil wir uns mit unliebsamen Problemen gar nicht erst beschäftigen wollen, sondern auch mit der Geschichte, die wir glauben zu lieben. Das mag an Faulheit liegen oder an Scham, an den Folgen, die es hat, wenn wir uns einmal Gedanken über das „Mehr“ machen, an der Erkenntnis aus etwas herausgewachsen zu sein – und ja ist nicht leicht, es kann weh tun. Aber wenn Autor:innen wegen Diskriminierungen oder bestimmten Aussagen in Kritik geraten sind, hat das Menschen auch weg getan. Es hat sie verletzt. Es verletzt sie jedes Mal wieder, wenn ihr die Bücher zeigt, die Person hypet oder so tut, als wäre doch alles gar nicht so schlimm gewesen.

Ihr trefft damit eine klare Aussage. Ihr bestätigt, was von den Autor:innen behauptet wurde und sagt allen, die sich daran stören, dass sie euch egal sind. Und ich rede hier nicht nur über Rowling, sondern auch über die Liste unseres Gymnasiums mit Buchempfehlungen auf denen Pirincci stand (auf meine Beschwerde damals gab es nie eine Antwort), über den Literaturnobelpreis an Handke, über Bücher von Schwarzer oder Tillmann. Lesen, für gut befinden und über Bücher reden, für sie werben, sie kritiklos ins Rampenlicht zu stellen sind ganz unterschiedliche Sachen. Und Autor:innen nur in der Vorstellung von ihren Büchern zu trennen.

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2 Kommentare

  1. Ahoi Eva,

    danke für diesen starken und so wahren Beitrag! Den habe ich in meiner Schatztruhe voller Posts auch verlinkt – hoffe, das ist in Ordnung 🙂 Ich habe Verständnis dafür, warum es schwerfällt, sich von geliebten Büchern/Reihen loszusagen, nachdem festzustellen war, welche Meinung/Weltansicht von dessen Autor*in vertreten wird. Jedoch, und da triffst du es auf den Punkt – viel schmerzlicher ist es für die Menschen in der realen Welt, die verletzt werden! Wie gesagt; du bringst das alles wunderbar auf den Punkt ♥

    Liebe Grüße
    Ronja von <a href=“https://oceanlove–r.blogspot.com“>oceanloveR</a>

    1. Hey Ronja,

      danke dir <3 Ich freue mich immer über eine Verlinkung.

      LG
      Eva

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