19 – Theresa Hannig über Feminismus und Ananassaft

Der #WirlesenFrauen-Neujahrskalender präsentiert euch vom 1.12.2019 bis zum 6.1.2020 63 Autorinnen und ihre Werke. Lernt neue Schriftstellerinnen kennen und findet großartigen Lesestoff! Heute bei mir: die fabelhafte Theresa Hannig, die großartige Science Fiction schreibt.

es wird besser

Theresa Hannig vor einer Bücherwand
Theresa Hannig liest mehr Autorinnen

Schreibtrieb: Liebe Theresa, für mich ist es etwas ganz Besonderes, dich heute hier zu haben. Du hast einen immensen Teil zur Diskussion um gendergerechte Sprache und Diskriminierung auf Wikipedia beigetragen, die ich als Autorin, aber auch als Mitglied des Nornennetzes verfolgt habe. Was bedeutet „Feminismus“ für dich?
Theresa Hannig: Die Gleichstellung von Frauen und Männern in unserer Gesellschaft sowie die Entlarvung und Abschaffung klassischer stereotyper Geschlechter-Rollen und -Klischees.

Schreibtrieb: Kurz, knapp und prägnant. Wie ist das Verhältnis Autor/Autorin in deinem Bücherregal?
Theresa Hannig: Leider immer noch nicht so ausgeglichen, wie ich es gerne hätte, aber es wird besser. Seit ich beim Think Ursula Panel 2018 auf der Frankfurter Buchmesse mit meinem eigenen sehr einseitigen Leseverhalten konfrontiert wurde (ja, ich habe bisher auch hauptsächlich Bücher von weißen Männern gelesen), versuche ich, diverser zu lesen. Meine letzten drei Bücher sind/waren:
Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl von Katharina Zweig
Untenrum frei von Margarete Stokowski
Americanah von Chimamanda Ngozi Adichie
Man sieht also: es wird langsam aber stetig besser!

Keine Frage der Qualität

Schreibtrieb:  Es geht ja auch gar nicht darum, keine Bücher von Autoren mehr zu lesen, sondern darum, Autorinnen zu stärken. Glaubst du, Frauen schreiben anders als Männer und andere?
Theresa Hannig: Wenn die Frage auf die Qualität abzielt, dann ganz klar nein. Aber Frauen haben natürlich einen anderen Blick auf die Welt, weil sie anders sozialisiert sind als Männer und andere Geschichten aus anderen Perspektiven erleben. Wir sind es gewohnt, dem Blick des weißen männlichen Helden zu folgen und haben dementsprechend sein Narrativ und seine Privilegien internalisiert. Selten findet man Passagen, in denen der Held abends alleine nach Hause geht und sich in einer dunklen Gasse umdreht, um sicher zu gehen, dass ihm niemand folgt.

Wir brauchen aber andere Perspektiven, um die Lebenswirklichkeit von anderen Gruppen innerhalb unserer Gesellschaft zu verstehen. Sonst sehen wir immer nur einen kleinen Ausschnitt der Welt und bezeichnen diese als „Realität“. Es ist so wie die Geschichte mit den 3 Blinden, die einen Elefanten betasten und sagen sollen, was sie vor sich haben. Der eine tastet am Rüssel und sagt, es sei eine Schlange, der zweite ertastet einen Stoßzahn und sagt, es sei ein Baum. Der dritte ertastet den Schwanz und sagt, es sei ein Esel. So ist das mit unserer Gesellschaft. Wenn wir immer nur einem Erzähler zuhören, werden wir nie draufkommen, dass wir es mit einem Elefanten zu tun haben.

Nicht nur für Frauen

Schreibtrieb:  Was ist eigentlich so schlimm am Begriff „Frauenliteratur“?
Theresa Hannig: Ich lehne den Begriff Frauenliteratur ab, weil er suggeriert, dass es eine Art des Schreibens gibt, die dezidiert von Frauen für Frauen gemacht ist und den Rest der Welt nicht interessieren muss. Er suggeriert, dass es echte (männliche) Literatur gibt und daneben weniger relevante Literatur, die nur für einen Teil der Menschheit – Frauen – relevant ist. Wenn man von Anfang an zwischen Männerliteratur (von Männern geschrieben) und Frauenliteratur (von Frauen geschrieben) unterschieden hätte, wäre das zwar ein Unterfangen und zweifelhafter Sinnhaftigkeit aber immerhin gleichberechtigt gewesen.

Doch in der Realität geht um Literatur vs. Frauenliteratur und das ist ein vollkommener Unsinn. Es gibt ja auch keine Science-Fiction vs. Linkshänder-Science-Fiction oder Fantasy vs. Plattfüßer-Fantasy (um ein paar weitere unsinnige Kategorisierungsmöglichkeiten zu nennen).
„Frauenliteratur“ ist daher für mich ein absolut sexistischer Begriff. Und um zu erkennen, ob wir es mit einem Sexismus Problem zu tun haben, hilft es oft, die Geschlechter einfach umzudrehen und dann zu überprüfen, ob wir die Situation absurd finden. Die Aktion #dichterdran hat das ganz eindrucksvoll gemacht. Dazu einer meiner Lieblingstweets von @Sam_O_Dor: „Bei aller Rücksicht auf Gleichstellungsbedürfnisse – wie soll ich meiner Tochter erklären, dass sie Romane lesen soll, in denen es um männliche Helden geht? Ganz abgesehen davon, dass sie in der Schule dafür gehänselt werden würde, Bubenromane zu lesen. #dichterdran[1]

Neue Themen

Schreibtrieb: Das hast du toll erklärt. Genau da liegt das Problem. Empfiehlst du uns das Buch einer Autorin?
Theresa Hannig: Untenrum frei von Margarete Stokowski



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Schreibtrieb:  Ah, das wartet auf meinem SuB artig darauf, dass ich nach Weihnachten wieder mehr Zeit zum Lesen habe. Glaubst du, es gibt Themen, über die Frauen besser schreiben als andere?
Theresa Hannig: Nur Themen, die Frauen aufgrund ihres Frauseins betreffen: Misogynie, Sexismus, Periode, Schwangerschaft, Geburt…  vielleicht noch ein paar ähnlich gelagerte Themen. Alles andere, was das „Menschsein“ betrifft, traue ich Frauen und Männern gleichermaßen zu.

Schreibtrieb:  Wurdest du als Frau schon einmal diskriminiert?
Theresa Hannig: Hört sich vielleicht komisch an, aber: Ich bin mir nicht sicher. Wenn ich Ungleichbehandlungen gespürt habe, habe ich mich sofort gewehrt… bei allen anderen Situationen (bei denen ich es nicht gemerkt habe) fehlt mir das Vergleichsmaß. Aber ich habe Ungleichbehandlung im Familien- und Freundeskreis mitbekommen!

Schreibtrieb:  Was muss sich ändern, damit Frauen im Literaturbetrieb gleichberechtigt behandelt werden?
Theresa Hannig: Wir müssen uns informieren, selbstbewusst sein, tough verhandeln, uns keinen Quatsch bieten lassen und den Mut haben, bei schlechten Angeboten NEIN zu sagen. Außerdem müssen wir besser Netzwerken und uns organisieren.

Ananassaft

Schreibtrieb:  Welche Autorin bewunderst du?
Theresa Hannig:Ursula Le Guin für ihre Visionen!

Schreibtrieb:  Sie ist gerade im Bereich Science Fiction wirklich eine Inspiration. Was ist dein Lieblingsgetränk für kalte Wintertage?
Theresa Hannig: Heißes Wasser mit Ananassaft

Schreibtrieb:  Schreibst du nach (Zeit-)Plan?
Theresa Hannig: Ich versuche, immer zu schreiben, wenn ich Zeit habe… aber manchmal sorgt Arbeitsvermeidungsstrategie dafür, dass ich schon wieder keine Zeit hatte…

Schreibtrieb:  Was passiert, wenn du beim Schreiben die Zeit vergisst?
Theresa Hannig: Meine Tochter klingelt und ist sauer, dass ich noch am Computer sitze.

Schreibtrieb:  Das kenne ich nur zu gut. Was ist deine liebste Winternascherei?
Theresa Hannig: Ich esse alles, klar? Alles!

Schreibtrieb:  Hast du schon einmal Sensitivity Reading genutzt oder hast es vor?
Theresa Hannig: Nein. Aber ich habe verschiedene Leute aus verschiedenen künstlerischen Bereichen, die über meine Texte gucken und das bringt mir sehr viel

die beste Version

Schreibtrieb:  Was ist das Kurioseste, das du je recherchiert hast?
Theresa Hannig: Wie man Leichenteile in einem Schrottauto entsorgt

Schreibtrieb:  Na, da bin ich auf die Antwort gespannt. Was ist dir beim Schreiben das Wichtigste?
Theresa Hannig: Dass ich die best-mögliche Version der Geschichte schreibe

Schreibtrieb: Liebe Theresa, es war eine Freude, dich im #wirlesenFrauen Neujahrskalender zu haben. Danke für deine Zeit. Zum Ende stelle ich immer ein paar Assoziationsfragen.
Mit Sahne oder ohne: ohne
Tee oder Kaffee: Tee
Heiße Schokolade mit Marshmallows oder Eis mit Karamell: Heiße Schokolade
Sofa oder Sessel: Sofa
Märchen oder Thriller: mag ich beides nicht
Stern oder Mond: Stern
Heizung oder Kamin: Heizung
Lila oder Orange: Lila
Löwe oder Wolf: Löwe
Decke oder Kissen: Decke

Doppelpack in Aussicht

Ein signiertes Doppelpack von Die Optimierer und Die Unvollkommenen hat Theresa Hannig euch heute mitgebracht. Die Science Fiction Roman eignen sich wunderbar, um Neues zu denken und Möglichkeiten durchzuspielen. Eine Leseprobe findet ihr hier und eine Rezension der Süddeutschen verlinke ich euch auch. Verratet mir bis zum 26.12.19 was ihr euch für die Zukunft wünscht. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Viel Glück!

Die Unvollkommenen – Klappentext

Bundesrepublik Europa, 2057: Es herrscht Frieden in der Optimalwohlökonomie, einem lückenlosen Überwachungssystem, in dem mithilfe von Kameras, Linsen und Chips alles erfasst und gespeichert wird. Menschen und hochentwickelte Roboter sollen Seite an Seite leben. Störenfriede werden weggesperrt.

So auch die Systemkritikerin Lila. Als sie im Gefängnis aus einem künstlichen Koma erwacht, stellt sie fest, dass ihr schlimmster Albtraum wahr geworden ist: Die BEU wird von einer KI regiert. Samson Freitag wird als Gottkönig verehrt und erpresst von den Bürgern optimalkonformes Verhalten. Für Lila steht fest, dass sie Samsons Herrschaft und die Entmündigung der Menschen beenden muss. Ihr gelingt die Flucht, doch Samson spürt sie auf und bietet ihr einen Deal an, den Lila nicht ausschlagen kann …



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