Das Leuchten jenes Sommers – Nikola Scott

Wenn ich nach dem Lesen erst die richtigen Worte finden muss, um euch das Buch vorzustellen, ist das entweder sehr gut oder sehr schlecht. Im Fall von Nikola Scotts Das Leuchten jenes Sommers definitiv ersteres, denn das Buch hat mich komplett begeistert. Aber alles der Reihe nach. Vor zwei Jahren habe ich Nikola Scott auf der Frankfurter Buchmesse kennengelernt. Ein nettes Gespräch mit mehreren Blogger*innen, eine amüsante Geschichte über die Deutsche, die auf Englisch schreibt und selbst im Verlagswesen gearbeitet hat. Schon Zeit der Schwalben hat mir gut gefallen, aber ausgerechnet das Ende sah ich kritisch. Dass die Autorin mir schon im Vorfeld gesagt hatte, sie sei deswegen gespannt auf meine Meinung, hat mein Interesse am neuen Roman nur noch verstärkt. Danke an den Wunderlich Verlag (Rowohlt) für mein Rezensionsexemplar.
(Ich zähle den Roman zu meiner #WirlesenFrauen Liste)

Das Leuchten jenes Sommers schafft es mühelos gleichzeitig historischer Roman und Gegenwartsroman zu sein. Das Kernthema ist zeitlos.
Das Leuchten jenes Sommers von Nikola Scott

Zwei Leben – eine Geschichte

Maddy lebt vor Kriegsausbruch auf einem Anwesen in Cornwall. Ihre Eltern sind tot, die wichtigste Person in ihrem Leben ist ihre große Schwester, die gerade von einer Europareise zurückgekehrt ist – unglücklicherweise mit einem Galan und einer ganzen Gruppe von Bekannten. Victor, der Freund ihrer Schwester, ist nett und doch hat er etwas an sich, dass Maddy vorsichtig sein lässt. Siebzig Jahre später bekommt Chloe den Auftrag, eine alte Autorin zu fotografieren. Chloe ist eigentlich glücklich verheiratet und erfährt gerade eine Nachricht, die ihr Glück perfekt machen könnte. Aber ist sie wirklich so glücklich, wie ihr Mann Aidan es immer wieder betont?

Das Leuchten jenes Sommers schafft es mühelos gleichzeitig historischer Roman und Gegenwartsroman zu sein. Das Kernthema ist zeitlos. Leider möchte ich anmerken. Denn ohne eine Triggerwarnung zu (häuslicher) Gewalt sollte das Buch nicht empfohlen werden. Es ist großartig, aber das Thema eben auch kein leichtes. Darüber aber liegt die Liebe in all ihren Ausprägungen. Ja, auch die allumfassende, die einfach nur glücklich macht und ohne großes Drama auskommt. Doch auch die, die abhängig macht. Maddy etwa ist abhängig von ihrer großen Schwester, Chloe hat einen kleinen Bruder, den sie mit der gleichen Inbrunst liebt. Doch diese Liebe erdrückt sie auch, eine Liebe, die Verantwortung hervorruft.

Liebe, echt

Nikola Scott zeigt die langsam keimende Liebe von Chloe zu ihrem Ungeborenen, das Herantasten der Freundschaft zwischen Maddy und Chloe. Sie erschreibt Liebe, die Herzen bricht und solche, die Tote wiedererwecken kann. Liebe, die bewahren will, um jeden Preis und die, die loslässt, um den anderen zu retten. Und eben auch eine Liebe, die brutal ist, die einsperrt, die verletzt. Selbstliebe, die erst wiederentdeckt werden muss und solch eine, die alles andere ignoriert. Die Vielfalt von Liebe ist so einfach und umfassend gezeigt, dass ich, je mehr ich darüber nachdenke, noch feinere Facetten erkenne und die perfekt herausgearbeiteten Details umso mehr zu würdigen weiß.

Die Handlungsstränge dahinter sind gar nicht so komplex. Ich persönlich finde den historischen stärker, aber auch, weil ich Chloe am liebsten ein paar Mal geschüttelt hätte, damit sie endlich aufwacht und sieht, was tatsächlich passiert. Mit Maddy, die jünger ist und der ich die Naivität darum mehr zugestehe, stolperte ich beim Lesen ihrem eigenen Höhepunkt entgegen. Doch auch hier ist die Parallele deutlich. Beide werden sich selbst und ihrem eigenen Lebensweg bewusst, müssen loslassen und halten noch fest, wenn sie es eigentlich besser wissen sollten. Dass es gleichzeitig Parallelen zwischen Chloe und Maddys älterer Schwester gibt, macht das Netz feinmaschiger und die Konturen schärfer.

„Das Leuchten jenes Sommers“ überzeugt auf ganzer Linie

Und das Ende?

Das Leuchten jenes Sommers ist ein Buch, das ich mit Freude analysieren würde. Vom ersten Wort bis zum letzten. Die Motivik ist durchdacht, die beiden Handlungen laufen ineinander, ohne sich gegenseitig zu verwischen. Dass die Geschichten nebeneinander erzählt werden, erzeugt eine gemeinsame Spannung und verrät keine Geheimnisse zu früh. Zwei Jahre auf diesen Roman zu warten hat sich mehr als nur gelohnt.

Und das Ende? Ich könnte euch jetzt natürlich erzählen, warum das Ende so ist, wie es ist. Warum es logisch ist und die Frage wie „gut“ es ist, eine mehrdeutige ist. Aber das werde ich nicht tun. Lest das Buch. Lasst euch auf diese ehrliche Sicht auf die immer so hochgelobte Liebe ein und findet es heraus. Lernt mit Maddy und Chloe und kommt dann blickt ihr auf das Ende und erkennt, dass ihr es seid, als Leser*innen, die entscheiden. Und dieser Kniff ist doch wirklich genial. Da hat dieses Buch mich 484 Seiten mit sich gerissen, mich leiden und hoffen und erkennen lassen, mir Liebe in all ihren schönen und schrecklichen Facetten gezeigt und überlässt es mir, welche davon ich sehen will. Ein großes Lob an die Autorin und die Bitte, genau solche Bücher in die Welt zu bringen.

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