Wie kann nur irgendwer an diesem Buch vorbeigehen? Das Cover ist genial, der Titel treffsicher, das Thema extrem aktuell. Nachdem zuletzt bei einer vermeintlich wissenschaftlichen Veranstaltung mal wieder allerlei Pseudo-Aussagen zu den angeblichen Gefahren des Kopftuchs gemacht wurden und keine Betroffene reden durfte, ist es höchste Zeit, meine Rezension zu Schamlos von Amina Bile, Sofia Nesrine Srour und Nancy Herz mit euch zu teilen. Danke an Netgalley und den Gabriel Verlag (Thienemann Esslinger) für mein digitales Rezensionsexemplar. (Und vielen Dank an Sarah, die mir von der LBM eine Autogrammkarte der Autorinnen mitgebracht hat). Ich lese das Buch als feministisches Sachbuch und damit als Aufgabe 1 für #wirlesenfrauen.
Feminismus birgt in Deutschland (und nicht nur dort) die Gefahr, dass er schnell nur für weiße Cis-Frauen gedacht wird. Women of Colour, Muslima, trans Frauen und andere werden dabei systematisch ausgegrenzt. Feminismus wird als rassistisch und transfeindlich gezeigt, was dafür sorgt, dass er nicht ernst genommen wird. Natürlich ist es heuchlerisch, auf der einen Seite Gleichberechtigung zu fordern und dann zu behaupten, manche wären eben doch gleicher als andere. Um es klar zu sagen: das ist kein echter Feminismus, es ist gequirlte Scheiße.
Feministin und Muslima
Als feministisches Buch junger Muslima setzt Schamlos genau an diesem Problem an. Die drei jungen Frauen, die in Norwegen Die „schamlosen Mädchen“ gestartet haben, wissen aus eigener Erfahrung, was es heißt, jung, feministisch und muslimisch zu sein. In ihrem Buch haben sie Own Voices gesammelt, junge Frauen, die anonym erzählen, was sie erlebt haben. Sexismus- und Rassismuserfahrungen kommen dabei Hand in Hand und jede*r noch so vom weißen Patriachat geprägte Leser*in wird dabei klar, was doppelte Marginalisierung bedeutet.
In den Berichten potenziert sich das jugendliche Gefühl, nirgends wirklich dazu zu gehören, denn die jungen Frauen leben teilweise zwischen zwei Welten. Die Stigmatisierungen sorgen auf allen Seiten für Ausgrenzung und dem stetigen Druck sich anzupassen. In erster Linie soll Schamlos anderen junge muslimischen Frauen helfen, zu erkennen, dass sie Gleichgesinnte haben, dass sie ein Recht auf ihre Selbstverwirklichung haben und damit nicht allein sind. An diesem Punkt kann Schamlos perfekt ansetzen und sowohl Leserinnen, die sich zum ersten Mal mit Feminismus beschäftigen, als auch bereits solche, die sich schon länger damit beschäftigen erreichen, da auch die Ebene des Rassismus Beachtung findet.
Nicht nur für Betroffene
Auch Weiße können eine Menge aus Schamlos lernen, selbst wenn die Anknüpfungspunkte geringer sind. In erster Linie ist es hier ein neuer Blickwinkel, der alte Denkmuster in Frage stellt und die Augen öffnet. Dabei ist das Buch klar eines, dass sich an Jugendliche und junge Menschen richtet. Immer wieder taucht eine Fernsehserie auf und die Themen beschäftigen sich teilweise sehr mit ersten Verliebtheiten, Adoleszenz und Schule. Das mindert nicht die Bedeutung, macht es für eine weiße Feministin um die Dreißig nur weniger aktuell.
Die einzelnen Berichte sind durch „Ratschläge für ehrbare Mädchen“ abgegrenzt. Die erinnern teilweise an Benimmregeln aus den 50er Jahren, den ein oder anderen Spruch habe auch ich schon oft gehört. Beispielsweise, dass nur Nutten roten Lippenstift tragen oder ähnliches. So amüsant diese Sprüche wirken (ich habe einige meinem Mann vorgelesen und er hatte seinen Spaß damit), so erschrecken sind einige von ihnen als zeitgenössische Ratschläge für junge Frauen. Daran ist gar nichts mehr lustig. Im Grund wird eine absolut hörige, dem männlichen Gehorsam unterwürfige Frau ohne Individualität gefordert. Dass einige dieser Ratschläge auch durchaus Weiße zu hören bekommen, zeigt, wie nah wir Frauen uns in dieser Hinsicht sind und dass Feminismus uns alle betrifft.
Gerne mehr
Ja, auch das leidige Thema Kopftuch wird angesprochen. Klug und bedacht diskutieren die drei Autorinnen darüber. Kopftuchzwang wird dabei genauso kritisch beäugt wie ein Verbot, denn auch das Zeichen kultureller und religiöser Zusammengehörigkeit darf nicht verachtet werden. Ein guter Abschnitt für einen Blickwinkel von Betroffenen.
Schamlos ist ein leichter Einstieg in ein komplexes Thema. An manchen Stellen war mir das zu leicht, an anderen hat mir die Tiefe gefehlt. Tatsächlich hätte ich einfach gerne mehr gehabt. Mehr zum Thema und mehr von den drei außergewöhnlichen Autorinnen.
Ahoi,
beim Stöbern in der Blogstatistik habe ich herausgefunden, dass wohl einige meiner Leser von deinem Blog zu meinen Welten finden – da musste ich doch mal vorbeistöbern 🙂
Danke für diesen klasse Buchtipp und die schöne Rezension! Wichtiges Thema, das Buch wandert auf die Liste! 🙂
Liebe Grüße, Mary <3
marys-buecherwelten.blogspot.com
♥️danke für den Besuch und viel Spaß mit dem Buch