„Mama, ist mein Bauch dick?“ – Bodyshaming in Kindergarten und Schule

Dieser Beitrag ist Teil der #bleibdu Aktion gegen Mobbing. Danke an alle Verlage, die dabei unterstützen. Danke auch an Oetinger für mein Rezensionsexemplar von Emmi und Einschwein.

Er fängt früh an, der Wahn unserer Gesellschaft, alle müssten schlank und rank sein. Kein Wunder, Eltern bekommen bei den verpflichtenden U-Untersuchungen immer schön aufgeschrieben, wie schwer der Nachwuchs gerade ist – und wie sich dieses Gewicht anhand eines Durchschnitts einordnen lässt. Es ist eine steigende Kurve, daneben die für die Größe. Schon Eltern von Babys bekommen gerne mal zu hören, dass ihr Kind ja gut genährt sei, ein echter Wonneproppen, ein kleiner Buddha. Es wird ein Druck erzeugt, der auf den elterlichen Schultern lastet und sich früher oder später auf das Kind überträgt. Denn wo gemutmaßt wird, das Kind bekomme nicht nur genug, sondern gar zu viel, wird hingeschaut, wenn das Kleine wächst. Denn immer kommt nach der Entdeckung des Babyspecks der Satz. „Das verwächst sich noch.“ Ja, vielleicht und wenn nicht, auch gut. Aber noch ist Bodypositivity nicht in den Kinderzimmern angekommen.

Dicke Mama

Unlängst kam meine Tochter aus der KiTa nach Hause. Sie druckste rum und es dauerte eine ganze Weile, ehe sie verriet, was sie bedrückte. Im Kindergarten hatten sie Familie gespielt und sie sollte die Mutter sein. „Weil ich so einen dicken Bauch habe“, sagte sie in vorsichtigem Ton und mir fehlten kurzzeitig die Worte. Meine Tochter ist gerade erst sechs geworden. An besagtem Tag war sie noch fünf, eine gleichaltrige Freundin hatte ihr gesagt, dass 1) nur Mütter dick seien (vorzugsweise frisch entbundene oder schwangere) und 2) sie dick sei, also die Mutter. Kindliche Logik, so einfach, und in dem Moment so dermaßen falsch.



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In Emmi und Einschwein von Anna Böhm wünscht sich die kleine Emmi ein Einhorn. Kein Pummeleinhorn, sondern ein schlankes. „Ein schönes“ wie mehrmals erwähnt wird. Dieses Fabeltier soll ihr die Fahrkarte zu Beliebtheit und Freundschaften werden, denn Emmi wird gemobbt. Der Verbindung zwischen Aussehen und sozialem Erfolg ist nicht nur angedeutet, sie ist offensichtlich. Das beliebteste Mädchen, das Emmi immer wieder runtermacht, hat eine wunderschöne Nixe. Als Emmi dann auch noch statt eines Pferds mit Horn ein Schwein mit Horn bekommt, ist die Katastrophe perfekt. „Klops“ bezeichnet Emmi das Schwein selbst. „Fetter Klops.“

Dickes Kinderzimmer

„Fast jedes fünfte Kind ist übergewichtig“, vermeldete Spiegel online vor wenigen Tagen. Und das muss doch etwas Schlimmes sein. Kinder sollen springen und Gesundes essen, keinen Süßkram vor dem Fernseher naschen. So schnell entwickelt sich das Bild, das dick mit faul, ungesund und unversorgt in eine Linie bringt. 80% der Kinder bewegen sich zu wenig, steht im selben Artikel. Und schon verdichtet sich das Bild. In Nullkommanichts haben Erwachsene eine Vorstellung im Kopf, dass Kinder mit mehr Gewicht nicht draußen spielen (denn draußen heißt ja Bewegung), sondern ohne „gute“ elterliche Aufsicht mit irgendwelchen elektronischen Gerätschaften ihre Zeit verbringen und dabei Chips Essen und Getränke voller Zucker konsumieren. Mit Sicherheit gibt es solche Kinder. Mit Sicherheit ist es falsch, dick mit faul, ungesund etc. zu assoziieren.

„Mama, bin ich dick?“ – keine Frage, die eine Sechsjährige beschäftigen sollte

Emmis Einschwein ist ein lustiger kleiner Geselle. Es verzaubert ihre Sandalen in Pudding, staunt über alles und jeden und liebt Emmi von der ersten Sekunde an. Dabei ist sie so gar nicht begeistert. Ein fetter Klops kann ihr doch nicht helfen, sich aus der Mobbingfalle zu befreien. Oder etwa doch? Meine Rezension dazu kommt bald, denn im Moment kommt meine Tochter täglich und will „von dem Klops“ vorgelesen bekommen. Sie hat das Schwein längst ins Herz geschlossen. Und sie weiß, dass sie nicht dick ist und dass es nicht schlimm wäre, wenn es so wäre. Dass Körperspeck nicht zwangsläufig etwas mit Bewegung und/oder Ernährung zu tun hat. Und erst recht nichts damit, ob man Mama ist oder nicht.

Dickes Problem

Auch der Große hat das einmal gelernt, als er aus der Schule kam und erzählte, ein Junge sei doof. Beim Nachfragen habe ich erfahren, dass der Junge gar nicht doof war, die Klassenkammeraden hatten sich nur über ihn lustig gemacht, weil er etwas Bauch hatte. Also habe ich nachgefragt, ob mein Sohn der Meinung sei, dieser Bauch des anderen Jungen würde an seinem Charakter etwas ändern. Ob dieser Bauch denn ein Grund sein dürfte, ihn auszulachen. Mein Sohn war nur durch dieses Nachfragen schnell der Meinung, dass er einen Fehler begannen hat. So blieb es beim einmaligen Hänseln und später waren die beiden Freunde.

Ein Porträtfoto von mir von 2018
Ich mag mich noch immer nicht auf jedem Foto, aber auf diesem schon – und wer mag sich eigentlich schon auf allen Fotos?

Dass gutes Zureden von Mama und Papa nicht immer so einfach helfen kann, weiß auch Emmi. Ihre Eltern wissen, was los ist. Der Drache ihres Vaters nimmt sie vor den anderen Kindern regelmäßig in Schutz, aber alles hilft nichts. Nur das Einhorn, da ist sie sich sicher, kann sie retten. Denn wer könnte ihm schon widerstehen? Aussehen ist nicht alles, es ist sogar ziemlich unwichtig, aber Medienformate wie Germanys Next Topmodel, Hochglanzzeitschriften und quasi jede Werbung, die uns begegnet behauptet etwas anderes. Das sehen auch unsere Kinder und bekommen zusätzlich mit, wie wir von der ganzen Maschinerie eingespannt werden. Was kann ich meiner Tochter sagen, wenn ich gerade selbst entbunden habe und meinem Körper die vier Schwangerschaften anzusehen sind?

#bleibdu

Einschwein hilft Emmi sich selbst zu mögen, so wie sie ist. Es hilft ihr, nicht mehr auf das zu hören, was andere sagen, sondern auf sich selbst. Das geht nicht von heute auf morgen und nicht alle haben ein magisches Schwein. Meine Tochter hatte durchaus länger an der Aussage ihrer Freundin zu knabbern und ich weiß, dass das Thema schnell wieder aktuell sein kann. Immerhin wurde ich selbst jahrelang gemobbt – auch wegen meiner Figur als Jugendliche. Gerade deswegen ist es wichtig, mit Kindern über Mobbing und Bodyshaming zu sprechen, Bücher wie Emmi und Einschwein zu lesen, in denen die Protagonisten ihre Denkfehler erkennen und nicht aufzuhören, die Oberflächlichkeit der Gesellschaft anzuprangern.

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10 Kommentare

  1. Liebe Eva-Maria, danke für diesen Post. Ich habe selbst als Kind und Jugendliche die Erfahrung gemacht von Ärzten über eine Waage „bewertet“ zu werden, natürlich ohne tatsächliche Hilfestellung. Schlimmerweise habe ich es mit meiner Tochter wieder erfahren müssen. Es geht hier auch nicht um eine Differenzierung von gesund oder ungesund, sondern einer reinen Bewertung nach Äusserlichkeiten, auf Grund einem vorgegebenen Schema. Freu mich auf die Rezension zu Emmi.
    Liebe Grüsse
    Isabel

    1. Liebe Isabel, schrecklich, dass deine Tochter diese Erfahrung auch machen musste. Ich habe gehofft, meine Nudel davor bewahren zu können und hoffe jetzt, ihr zumindest die richtigen Worte mit auf den Weg gegeben zu haben.
      Das schlimme ist ja, dass wir und vor allem auch unsere Kinder immer nur danach bewertet werden, ob sie in einen normierten Rahmen passen, ohne auf die tatsächliche Situation Rücksicht zu nehmen.
      LG
      Eva

  2. Hallo Eva-Maria,
    ein ganz toller und auch sehr, sehr wichtiger Artikel. Du hast in allem so recht und doch wird leider in der Richtung zu wenig getan. Manchmal merkt man selber, wie man in diese falschen Denkmuster verfällt, indem man denkt, ist mein Kind zu dick? Ist es falsch? Aber alles ist in Ordnung, und auch wenn ein kleiner Bauch da sein sollte, ist das nicht schlimm. Denn meistens hat man öfter einen Bauch, auch wenn man allgemein als schlank gilt.
    Dieses vorverurteilen, dick = faul, geschieht leider noch zu oft in den Köpfen so vieler Menschen, aber ich finde es gut, dass es Bücher wie Emmie und Einschwein gibt, damit sich in dieser Richtung hoffentlich mal was tut.
    Ich muss nochmal betonten, wie toll ich deinen Beitrag finde! 😀
    Liebe Grüße
    Diana von lese-welle.de

    1. Danke dir, Diana. Ja, ich ertappe mich auch schon mal bei Gedanken, ob die Figur meiner Kinder der Norm entspricht, einfach weil ich weiß, wie schnell man ansonsten angegriffen wird. Und allein das ist doch schon schrecklich.
      LG Eva

  3. Danke dir für diesen wirklich tollen Beitrag.
    Es ist wichtig, dass genau das Thema mehr in den Fokus gerückt wird. Erschreckend, dass Bodyshaming schon im Kindergarten anfängt – wo die Kinder eigentlich sich mit Spaß und Freude am Leben entwickeln sollten, werden sie mit solchen Dingen, die sie nicht wirklich verstehen, behaftet.
    Ich kenne das aus eigener Erfahrung mit meiner Tochter(inzwischen 11 Jahre) – und ich weiß, es ist kein leichter Weg die Kinder zur stärken in dem was und wie sie sind. Da ist es so wichtig, dass sie einzigartig sind, dass sie klasse sind – und egal ob dick, dünn, hell- oder dunkelhäutig oder sonstiges – jeder ist ein wertvoller Mensch – und keiner muss und soll sich verbiegen nur um anderen zu gefallen. Aber das ist schwer – sehr schwer. Doch ich denke wir sind auf dem richtigen Weg – und ich hoffe, dass sich das alles im laufe der Zeit auch legt — und die Kinder generell heutzutage einfach stärker sind und sich selbst akzeptieren – und sich nicht durch „Next Topmodell“ und andere Dinge auf falsche Wege führen lassen.

    LG Bibi

    1. Liebe Bibi,

      ja, es hat sich viel getan, aber der große Erfolg von Formaten wie GNTM zeigt, dass noch viel mehr getan werden muss.

  4. Ohjeee … da schüttelt es mich beim lesen. Kinder die eh schon viel zu viel Klischee übergestülpt bekommen, erhalten auch in diesem Alter schon ein Schönheitsideal, welches völlig von der Realität abweicht … man möchte weinen und schreiben!

    Ich werde definitiv nun noch sensibler im Kita-Alltag hinhören!

    In unserem Mai-Rückblick werde ich deinen tollen Beitrag verlinken <3

  5. Unsere Gesellschaft bekommt die Kinder, die sie verdient.
    Mädchen wurden schon immer und werden auch heute noch vor allem über die Optik definiert. Das fängt bei den süßen rosa Stramplern an, geht über die hübschen blonden Locken und endet bei den Mädchen-Magazinen mit Schmink- und Diättipps. Hast du dir mal die 14-jährige Kim Kardashian angesehen, die als – sorry! – 1A-Abspritzvorlage in Szene gesetzt wurde?

    Es sind Erwachsene und nicht zuletzt auch die Mütter, die ihre Kinder formen bzw ihnen mitgeben, welche Werte wichtig sind.
    Ich bin als ungewolltes Kind einer alleinerziehenden Alkoholabhängigen aufgewachsen, war klapperdürr („lesbische Vogelscheuche“) und trug schäbige Klamotten, die zum Mobben förmlich einluden. Es waren vor hauptsächlich weibliche Mitschüler, für die ich mich als ideales Opfer anbot.
    Als nunmehr 50-Jährige behaupte ich aus Erfahrung, dass vor allem Mädchen und Frauen andere Mädchen und Frauen wegen ihrer Optik kleinmachen. Unsere Stutenbissigkeit bereits in der Grundschule ist beispiellos.
    Jungen sind gegeneinander nachsichtiger und neigen auch später zu gegenseitiger Unterstützung (vom männlichen Netzwerken können wir einiges lernen). Hier sehe ich einen wichtigen Ansatzpunkt auch in der Erziehung. Mädchen und Frauen müssen sich dringend solidarisieren, statt über die Körpermaße der vermeintlichen Konkurrentinnen zu lästern.

    1. Puh, eigentlich müsste ich jetzt weit ausholen. Zum Beispiel, dass Slutshaming auch ein Problem ist und du genau das tust, was du anprangerst, wenn du Kim Kardashians Aussehen kritisierst. Das Problem ist doch, dass sie nicht so aussehen kann, wie sie will, ohne dass sie sexualisiert wird. Und auch das, was du „Stutenbissigkeit“ nennst, ist weder eine per se weibliche Eigenschaft, noch eine, die Frauen in die Wiege gelegt bekommen. Männer, die aus dem Rahmen fallen, etwas die „falsche“ Farbe tragen, lange Haare oder sonst etwas, das eher weiblich gelesenen Menschen zugeschrieben wird, werden auch schnell diskriminiert.
      Dass Frauen sich gegenseitig anhand ihres Äußeren beurteilen und schnell die ersten sind, die dabei auf der Matte stehen, ist tief verwurzelt im Patriachat, dass von Frauen äußerstes Gehorsam fordert und ihre Optik als wichtiges Gut herausstellt, für das Mütter bei ihren Töchtern und Frauen bei anderen Frauen generell mitverantwortlich sind. Hier mit Schuldzuweisungen zu pauschalisieren finde ich extrem problematisch.
      Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass Mutter und Vater ihrem Kind noch so oft sagen können, dass Farben mit Geschlechtern nichts zu tun haben und jeder das anziehen soll, was er oder sie selbst möchte, sobald der sogenannte „dritte Blick“, die Gesellschaft, die „anderen“ dazukommen, relativiert das Kind. Zu Freunden und anderen Erwachsenen kommen hier die Medien als breites Feld mit viel Einfluss dazu.
      LG
      Eva

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