Ich war sehr gespannt auf Megan Jayne Crabbes Body Positivity – Liebe deinen Körper. Body Positivity, ihr erinnert euch vielleicht, ist sehr wichtig für mich. Umso neugieriger war ich auf dieses Buch, das als „Ratgeber zur Selbstakzeptanz“ angepriesen wird. Danke an den Knaur Verlag für mein Rezensionsexemplar. Hätte ich dieses Buch nicht schon im Januar gelesen, wäre es übrigens ideal für #WirlesenFrauen.
Megan Jayne Crabbe erzählt von ihrem Weg zu Body Positivity. Von einem Leben, in dessen Zentrum der Hass auf den eigenen Körper stand und das erfüllt war vom Wunsch, schlank zu sein. Von Kliniken und Abgründen. Und dann, strahlender als jeder Prinz auf weißem Schimmel, kommt Body Positivity, eine ungeheure Stärke beim Blick auf sich selbst, die Lösung scheinbar aller Probleme. Ihr merkt, ich übertreibe. Body Positivity ist wichtig und längst überfällig, ein Allheilmittel ist es nicht.
Einmal Minderwertigkeitskomplexe zum Mitnehmen
Das Buch beginnt mit einer Bestandsaufnahme, wie unsere Welt uns den perfekten Körper als Normalität vormacht und mit immer neuen Mitteln diesen Wahn fördert und daraus Kapital zieht. Dieses erste Drittel besticht durch eine sehr emotionale Sprache. Immer wieder heißt es „wir“ und „uns“. Der Leser, die Leserin soll mitgerissen werden. Hinein in den Strudel aus Schönheitsidealen. Für mich war dieses Drittel wirklich schwer zu lesen.
Ungefähr drei Tage lang hatte ich Probleme, in den Spiegel
zu schauen, noch keine sechs Monate nach meiner vierten Entbindung und mit
meiner Vorgeschichte. Hier vergebe ich eine fette Trigger-Warnung. Lest das
Buch nicht unreflektiert und nicht, wenn ihr mit niemandem darüber denken
könnt. Meiner Meinung nach weckt diese erste Einführung ins Thema genau jene
Minderwertigkeitskomplexe, die Body Positivity eigentlich angehen will. Vor
allem die Formulierung im Aktiv sehe ich hier problematisch. Statt „uns wird
vorgegaukelt“ heißt es allzu oft „es ist“, was den Eindruck verstärkt, Dünnsein
sei besser und nicht etwa nur ein konstruiertes Idealbild.
Weg vom Ideal
Die Emotionalität des Buches schafft es immer wieder, die Leser direkt zu packen und mitfühlen zu lassen. Schnell wird klar, warum Body Positivity so wichtig ist. Und auch, warum unsere Gesellschaft in diesem Punkt so problematisch ist. Uns wird eine Norm gezeigt, die nur die Wenigsten halten, die viele unter täglichen Entbehrungen und zu großen Teilen ungesunden Vorgehensweisen versuchen, zu erreichen, die aber oft unerreichbar bleibt. Schönheit, dieses ohnehin vergängliche und höchst individuelle Bild.
Megan Jayne Crabbe predigt eine Abkehr von diesem Schönheitsideal. Sie fordert eine Abkehr von Diäten, die heute als Lifestyle daherkommen. Und hier kommt meine erste große Kritik, denn mehrfach wird im Buch Body Positivity selbst als Lifestyle bezeichnet. Dass die Autorin Body Positivity eventuell gar selbst als neue Diät versteht, wird dann wahrscheinlicher, wenn sie behauptet, durch die Liebe zum eigenen Körper würde man ja auch abnehmen, da eine ausgewogene Ernährung dem Jo-Jo-Effekt von Diäten entgegenwirke. Diese Aussage, auch wenn sie nur einen Satz einnimmt, finde ich hoch problematisch. Niemand sollte das gesagt bekommen, denn es wirkt nur wieder in den Kreislauf von Idealfigur und Abnehmversuch ein.
Es wird schwammig
So richtig viele Aussagen des Buches sind, wie das Aufzeigen der Problematik, dass Übergewichtige beim Gang zum Arzt immer nur auf ihr Gewicht angesprochen werden, so unzureichend wirkt es auf mich. Ja, bei vielen Ärzten wird jedes Gramm zu viel für jedes noch so kleine Zipperlein verantwortlich gemacht. Dünn sein ist so wichtig, dass mir mit Hyperemesis noch gesagt wurde, ich solle doch froh sein, dann nach der Schwangerschaft nicht so viel abnehmen zu müssen. Meiner Meinung nach geht das am eigentlichen Problem vorbei. Mit Sicherheit gibt es Krankheiten, die durch Übergewicht begünstigt werden können. Doch das eigentliche Problem ist, dass das Gewicht auch als Ursache fokussiert wird. Meine Gelenkprobleme werden durch mehr Gewicht, das auf ihnen lastet, nicht besser, ihr Quelle liegt aber ganz wo anders. Hier vermischen sich Ursache und Symptom.
An dieser Stelle muss positiv erwähnt werden, dass Body Positivity Raum für verschiedene Own Voices gibt, die weit über „Dicksein“ hinausgehen. Hier kommt eine Frau, die im Rollstuhl sitzt, zu Wort, eine Woman of Color und andere. Dass Body Positivity eben nicht heißt „du darfst so dick sein, wie du willst“, sondern eben „dein Körper ist großartig, so wie er ist“ und das auf allen Ebenen. Hier und bei den Berichten der Autorin über ihre Zeit in der Klinik wegen Magersucht gibt es Trigger-Warnungen. Warum diese bei dem geradezu aggressiv geschriebenem ersten Drittel nicht gegeben sind, ist darum umso mehr ein Rätsel für mich.
Fazit?
Body Positivity lässt mich zwiegespalten zurück. Für mich kann das Buch den Kern von Body Positivity nicht fassen, erzeugt durch viel Emotionalität einen Bezug zur Leserschaft und zeigt vor allem die Gefahren des Schönheitsideals unserer Zeit auf. Das Nebeneinanderstellen von Diäten und Body Positivity finde ich dabei sehr gefährlich. Einen wirklich gelungenen Einblick in das, was Body Positivity ist, liefert das Buch leider nicht. Es hat viele wichtige Passagen und absolut korrekte Kritik an unserer Gesellschaft, bleibt aber oft schwammig, zu emotional und stellt fragwürdige Bezüge her.