Zehnter Dezember: Der kleine Stern

Am Himmel stehen viele Sterne. Sie scheinen die ganze Nacht, angestrahlt von der Sonne, die sie sehen können, auch wenn es bei uns dunkel ist. Vieles können sie sehen, beobachten, und jede Nacht, wenn du schläfst, schauen sie in dein Fenster.
Doch so ein Sternenleben kann auch sehr eintönig sein. Immer am gleichen Platz zu stehen, Jahraus, Jahrein, die Epochen verstreichen sehen, während neue Menschen auf der Erde auftauchen und andere verschwinden. Nur zusehen ist langweilig. Den meisten Sternen macht das nichts aus. Vielleicht sehen sie spannende Geschichten oder sie sorgen sich um ganz andere Dinge. Weißt du wie viel Sternlein stehen? Vielleicht sind zwei ganz nah beieinander und können miteinander reden. Oder sie schweben auf ihrer Umlaufbahn an so vielen Planeten vorbei, dass sie immer etwas Neues zu sehen haben.
Doch unser kleiner Stern, dem war langweilig. Jeden Abend, wenn die Nacht bei uns hereinbrach, fing er an zu scheinen. Kein Stern war neben ihm und er sah jede Nacht auf die gleiche Stelle der Erde. Aber so ein Stern hat eben zu tun, was so ein Stern zu tun hat. Er muss scheinen, die ganze Nacht lang. Oder?
„Nein“, dachte sich der kleine Stern eines Abends, als die Sonne auf der Erde gerade untergegangen war und er eigentlich anfangen sollte zu scheinen. „Nein, heute habe ich keine Lust.“ Und er drehte sich um, so dass die liebe Sonne ihn nicht anscheinen konnte, so dass er ihr Licht nicht zur Erde schicken konnte. Ein bisschen hatte er Angst. Was würden die anderen Sterne sagen? Ginge das überhaupt, oder würde etwas ihn daran hindern? Was würde geschehen, wenn er einfach nicht scheinen würde? Aber es war ihm so eintönig jede Nacht das gleiche Spiel zu spielen, dass er nicht anders konnte. Er drehte sich um.
Die liebe Sonne schickte wie jeden Abend, wenn sie auf der Erde untergegangen war, ihre Strahlen zu den anderen Sternen und dem Mond, damit sie für die Menschen scheinen sollten. So viele Sterne waren es. Jeden Tag waren ein paar neue dabei und immer wieder erlosch ein Stern und konnte nicht mehr scheinen. Der lieben Sonne fiel gar nicht auf, dass der kleine Stern sich umgedreht hatte und trotzig in die andere Richtung sah. Auch die anderen Sterne merkten es nicht. Sie sahen zur Erde, unterhielten sich und taten, was Sterne so tun. Sie schienen. Die ganze Nacht hindurch. Und die ganze Nacht hindurch trotzte der kleine Stern und zeigte der Sonne seinen Rücken, ohne dass irgendetwas geschah.
„Na so was“, dachte er am nächsten Tag, als die Sonne wieder schien und die Menschen bei der Arbeit waren. „Vielleicht muss ich gar nicht jede Nacht scheinen. Vielleicht muss ich gar nicht scheinen und kann etwas ganz anderes tun.“ Und er überlegte den ganzen Tag, war er denn so machen könnte, wenn er in der Nacht nicht schien.
Am Abend kam die Sonne und der kleine Stern ließ sich ein wenig anscheinen, strahlte auf die Erde zurück. Dann aber, die Sonne war gerade erst vollständig untergegangen hüpfte er einfach von seinem Platz. Kein Alarm ging los, keine Sirene erklang, niemand schimpfte, nichts geschah. „Na so was“, dachte der kleine Stern wieder und war plötzlich gut gelaunt. So viel Spannung hatte er schon seit Jahrhunderten nicht mehr erlebt. Er beschloss, die anderen Sterne zu besuchen und sich ein bisschen mit ihnen zu unterhalten.
Doch das war gar nicht so einfach. Die anderen Sterne waren nämlich gerade mit Scheinen beschäftigt. „Geh aus dem Weg, du hältst meine Strahlen auf“, rief ein Stern aufgeregt als unser kleiner Stern ihn begrüßen wollte. „Warum scheinst du nicht“, fragte ein anderer. Und viele antworteten gar nicht, so vertieft waren sie in ihren nächtlichen Ablauf, in das immer gleiche Scheine und Strahlen, dass sie den kleinen Stern gar nicht bemerkten, der vorbeiflog, „Hallo“, rief und Purzelbäume schlug, vor lauter Freude, sich zu bewegen. „Geh weg, du Komet“, riefen zwei Sterne, die sich jede Nacht unterhielten und schließlich schubste ihn ein großer, alter Stern ein wenig an und zischte: „Du gehörst hier nicht hin“.
„Nein“, dachte der kleine Stern und war schon nicht mehr so glücklich. „Nein, hier gehöre ich nicht hin. Mit euch kann ich nicht spielen, mit euch kann ich nicht reden, mit euch kann ich gar nichts machen. Bin ich überhaupt ein Stern? Oder bin ich doch ein Komet, der umherfliegt?“ Aber so wohl war ihm bei dem Gedanken auch nicht. Also flog er zurück zu seiner Stelle und dachte über das nach, was die anderen Sterne gesagt hatte. „Sie wollen mich hier nicht“, meinte er traurig. Und den Rest der Nacht schien er nur ein kleines Bisschen Richtung Erde und war sehr niedergeschlagen.
Am nächsten Abend aber, als die Sonne auf der Erde nicht mehr schien, sprang der kleine Stern wieder von seinem Platz und sauste zur Erde. „Die Menschen reden miteinander, sie spielen und machen viele Dinge. Vielleicht kann ich es mir aus der Nähe betrachten. Vielleicht kann ich auch etwas machen“, dachte er sich.
Doch auf der Erde war Nacht.
Die kleinen Kinder waren schon im Bett, ihre Mamas und Papas hatten gerade die Bücher mit den Gutenachtgeschichten zugemacht, ihnen Gutenachtküsse auf die Stirn gedrückt, Nachtlichter angemacht, Spieluhren aufgezogen und waren leise aus dem Zimmer gehuscht. Die größeren Kinder machten sich bettfertig. Sie duschten, putzten die Zähne, zogen sich um, und hatten keine Zeit mehr zum Spielen. Ein paar Trödler mussten noch ihre Schularbeiten machen, auch sie hatten keine Zeit zum Spielen.
Die Erwachsenen arbeiteten oder sahen fern oder aßen noch. Der kleine Stern schaute in alle Fenster, und überall sah er das gleiche. Niemand tat wirklich etwas. Alle waren schon dabei, sich vom Machen auszuruhen, oder arbeiteten so angestrengt, dass sie den kleinen Stern gar nicht bemerkten. Eine Zeit lang blickte er durch ein Fenster und sah sich eine Sendung an, die im Fernseher lief. „Wie langweilig“, dachte er schließlich. „Statt etwas zu erleben, sehen sich die Menschen nur an, wie andere spielen, sie würden etwas erleben. Das ist noch langweiliger, als den Menschen vom Himmel aus zuzusehen“, und er flog weiter.
Er flog an einem Laden vorbei, bei dem bunte Lichter draußen brannten und die Fenster waren mit dunklem Glas besetzt, so dass er nicht hineinsehen konnte. „Was ist denn das“, fragte er sich. Da kam aus dem Laden ein großer Mensch heraus, der sich seltsam bewegte. Er schwankte hin und her und verzog das Gesicht. Als er den kleinen Stern erblickte, rief er: „Was bischt du denn? Ein Glühwürmschen? Oder n Irrlischt? Ich hab`s, du bischt beschtimmd n Dschinni. Komm Dschinni, komm, erfüll mir meine Wünsche.“ Doch ehe der kleine Stern erwidern konnte, dass er ein Stern sei, der die Erde besuchte, drehte sich der Mensch plötzlich weg und murmelte „Vielleischt war das doch ein Glas zu viel. Das muss isch den anderen sagen“. Und er wankte bedächtlich wieder in den Laden hinein. „Wie seltsam“, dachte der kleine Stern und flog schnell weiter, weil der Mensch ihm etwas Angst gemacht hatte.
Er kam zu einer großen Straße, wo viele Autos hin und her fuhren. Bunte Lichter blinkten über der Straße und der Stern war ganz erstaunt, dass es auf der Erde Nachts so viele Lichter gab. „Ich dachte immer, die Menschen bräuchten unser Licht, dabei haben sie selbst so viel, dass sie uns gar nicht erkennen können“, meinte er zu sich selbst. Er flog über die Straße und schon hupten alle Autos, ein paar Reifen quietschten und jemand rief: „He, Licht aus, wir können die Ampeln nicht sehen.“ Da flog der kleine Stern schnell weiter und kam schließlich zu einem kleinen Haus.
„Na so was“, dachte er, denn das Haus kam ihm bekannt vor. Er flog ein paar Mal darum herum, flog darüber und stieg etwas in die Höhe, um dann wieder näher heran zu kommen. „Na so was“, dachte er noch mal, denn er hatte erkannt, dass dies das Haus war, das er jede Nacht ansah. Es lag direkt unter ihm. Es war kein besonders großes Haus, eher klein, mit ein wenig Garten. Aber es hatte große Fenster, so dass der kleine Stern wenn er sich anstrengte auch vom Himmel aus manchmal durch die Fenster in die Zimmer schauen konnte.
Er flog herum und sah in die Fenster. Eine graue Katze hatte sich in ihrem Korb zusammengerollt und schließ. Eine Frau las gerade ein Buch und trank Tee und ein Mann räumte die Spülmaschine ein.
Schließlich kam der kleine Stern zum Kinderzimmerfenster und wollte nur rasch schauen, wie es denn darin von Nahem aussah. Doch zu seiner Überraschung, war das Kind noch wach. Der kleine Junge hatte sich in sein Bett gesetzt und sah mit großen, traurigen Augen zum Himmel. Kleine Tränchen rannten über seine Wange. „Mama“, flüsterte er und gleich würde er laut rufen, damit die Mutter ihr Buch niederlegte, den Tee stehen ließ und hinaufkam, nach ihm zu sehen. Doch da sah der kleine Stern ins Kinderzimmer und das Kind sah den kleinen Stern. Sie sahen sich lange an. Die Tränen waren herabgerollt und die Wangen getrocknet. Der Blick des Kindes war voll Neugier und mutig stand der Junge auf, ging zum Fenster und sagte leise: „Hallo“.
„Hallo“, sagte der kleine Stern zurück und seine Stimme klang wie Glockenklang, Feuerprasseln und das dünne Zischen eines Funkens. „Warum schläfst du denn nicht?“ „Mein Stern ist heute nicht angegangen.“ „ Na so was“, dachte der kleine Stern.
„Welcher Stern“, fragte er durch die Scheibe. Der Junge öffnete das Fenster einen Spalt, so dass der Stern hereinfliegen konnte, und schloss es dann gleich wieder, ehe die Eltern etwas merken konnten. „Jeden Abend zeigt Mama mir den Stern, der auf mich aufpasst, bis es wieder Morgen ist“, erklärte er. „Aber heute ist mein Stern nicht da. Gestern ist er auch gleich ausgegangen, und vorgestern auch. Ich glaube, er ist kaputt“, sagte der Junge.
„Kaputt“, fragte der kleine Stern. „Ja. Wie mein Nachtlicht, das nicht mehr leuchtet, wenn es nicht aufgeladen ist, oder wenn der Stecker nicht mehr geht. Vielleicht ist er angebrochen.“
„Na so was“, dachte der kleine Stern. Er sah sich im Kinderzimmer um und entdeckte ein Regal voller Kuscheltiere, und eines voller Bücher.
„Das sind alles meine“, sagte der Junge stolz und zeigte dem Stern ein paar Bilderbücher. Er war ganz leise und ging auf Zehenspitzen, um die Mutter nicht zu stören. Am besten gefiel dem kleinen Stern das Buch, in dem lauter Sterne gemalt waren. Alle lachten und hatten viel Spaß. Und als der Junge ihn mit den Kuscheltieren kitzelte, musste er Lachen, nicht so laut, aber hoch, dass das Kind sich erschrocken die Ohren zu hob. „Na so was“, dachte der Stern.
Sie spielten eine ganze Weile. Das Kind zeigte dem Stern alles, was es hatte und führte ihm den neuen Bagger auf der Bettdecke vor, holte das Malbuch aus der Spielkiste und immer wenn der Stern etwas berührte, blieb ein bisschen Glitzer haften.
Plötzlich gähnte das Kind. „Bist du denn nicht müde“, fragte der Stern, denn der Junge hatte schon ganz kleine Augen und Ringe darunter. „Doch, ein bisschen“, sagte das Kind. „Aber ohne meinen Stern kann ich nicht schlafen.“ „Warum denn nicht?“. „Er passt doch auf mich auf, und wenn Mama schlafen geht passt er auch auf sie auf. Sonst passiert uns noch was. Die Geister kommen oder der böse Baum. Und ich kann dann nicht gut schlafen, wenn er nicht da ist“. „Na so was“, dachte der kleine Stern und freute sich ein bisschen.
„Wenn du mir das Fenster wieder aufmachst, kann dein Stern wieder scheinen“, sagte er schließlich. „Aber ich will nicht, dass du gehst“, schniefte der Junge. „Du sollst bei mir bleiben.“ „Ich kann dich ja besuchen kommen. Aber wenn ich hier bleibe, kann ich nicht für dich scheinen und ich bin dein Stern und weil ich hier unten bin, kann ich da oben nicht stehen.“ Da dachte der Junge kurz nach. Er reib sich die Augen und gähnte. „Und du kommst wieder“, fragte er. „Ja, klar“, versprach der Stern. „Nicht jede Nacht, aber weißt du, wenn du träumst, kannst du auch zu mir kommen und mich am Himmel besuchen. Dann bin ich nicht so allein und langweile mich nicht so sehr.“
Damit war der Junge einverstanden. Er öffnete das Fenster, schloss es rasch wieder, als der Stern hinausgeflogen war und winkte seinem strahlenden Freund, bis der Stern wieder hoch am Himmel stand und für ihn scheinen konnte. Dann legte er sich ins Bett und war im Handumdrehen eingeschlafen, von seinem Freund, dem Stern, träumend. Nur die Mutter wunderte sich am nächsten Tag, woher der Glitzer im Kinderzimmer kam.

©Eva-Maria Obermann

Und alle großen und kleinen Kinder haben heute die Gelegenheit eine Schulausgabe des Räuber Hotzenplotz zu gewinnen (hier gibt es Zeilennummern, anosonsten der ganz normale Klassiker). Einfach diesen Beitrag zwischen 00:01 und 23:59 am 10.12.2014 kommentieren und ihr seid im Lostopf. Viel Spaß, viel Glück und bis Morgen.

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2 Kommentare

  1. Hallo Eva,
    das ist aber eine sehr schöne Geschichte vom kleinen Stern. Ich war am Ende froh, dass er wieder für den kleinen Jungen leuchtete und dieser nicht mehr so traurig war. Jeder braucht seinen Stern.
    Danke für die schöne Geschichte.
    LG Rose

  2. Hallo liebe Eva,

    ach herrlich, solche Zeilen lese ich gerne, da bleibt man im Innern noch jung 🙂 Meine süße kleine Maus würde sich sicher sehr über das Buch freuen 🙂

    Hab einen schönen Mittwoch,
    ganz liebe Grüße
    Jutta

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