Schon der erste Band des Araber von morgen von Riad Sattouf hatte mich begeistert, der zweite war ebenso großartig. Natürlich habe ich bei meinem Lieblingsverlag Knaus angefragt, ob ich auch den dritten Teil der Graphic Novel Reihe lesen darf. Durfte ich. Vielen Dank an den Verlag und das Bloggerportal. 150 Seiten hat das Buch mit dem Untertitel Eine Kindheit im Nahen Osten (1985-1987). Andreas Platthaus hat den Text aus dem Französischen übersetzt.
Das Farbschema orientiert sich an den beiden ersten Bänden. Der Junge Riad wächst in Syrien auf, wo alles rötlich ist, leicht bedrohlich, trocken, heiß. Frankreich, das Land, aus dem seine Mutter kommt, ist blau, kalt, nicht wirklich gemütlicher. Ein leichter Kontrast, aber kein absoluter. Und dazwischen Riad, der seinen kleinen Bruder nicht leiden kann. Im Gegensatz zu den ersten beiden Bänden hat der Junge sich hier mehr und mehr von der Mutter abgenabelt. Die Zeit des Vaters ist gekommen.
Hinter den Bildern
Riad Sattouf erzählt in der Araber von morgen seine eigene Kindheit. Die Graphic Novel ist dafür ein grandioser Schritt. Denn die Zeichnungen sind immer leicht verzerrt, nie bilden sie die Realität eins zu eins ab. Die Metapher, dass auch unsere Erinnerung unsere Vergangenheit nicht wirklich abbilden kann. Alles ist verzerrt, egal wie sehr wir uns bemühen, Wahrheiten zu finden, wir finden nur Eindrücke. Die depressive Mutter wird wieder schwanger, der Vater jagt träumen hinterher. All das sieht der Junge nicht. Für ihn ist die Mutter müde, der Vater wird zum Held.
Doch neben dieser familiären Struktur erfährt Riad die Formung durch eine Gesellschaft. Er hat Angst, wenn andere Kinder behaupten, er wäre ein Jude. Er versteht nicht, warum seine syrischen Verwandte keine Weihnachtsgeschenke bekommen, er will stark sein, groß. Aber was ist dieses Groß eigentlich. Mit dem Blick auf die uns fremde Gesellschaft erreicht der Zeichner damit auch, dass wir einen kritischen Blick auf unsere eigene werfen. Wann beeinflussen wir unsere Kinder dieses oder jenes zu mögen? Würden wir es überhaupt erkennen?
Komplex und doch so einfach
Hier wird nicht nur die Mutter entmystifiziert, was im zweiten Band bereits angefangen hat, sondern auch Frankreich. Längst ist es nicht mehr das Land der vollen Regale und fantastischen Spielzeuge, in dem Riad als kreatives Kind gelobt wird. Er wird aufgrund seiner „Andersartigkeit“ auch dort ausgegrenzt und erkennt Schattenseiten, auch wenn er sie noch nicht versteht. Es sind Momentaufnahmen, die exemplarisch sind. Die Nachbarin, die die Katzen totschlagt kommen äquivalent zu dem gequälten Hündchen im vorherigen Band.
Es ist die Komplexität des Aufbaus, die mich beeindruckt. Anekdoten sammeln sich zu Eindrücken, die tief greifen und im Ganzen eine große Aussagekraft besitzen. Beispielsweise die Lehrer, die Riad im Laufe der Zeit kennenlernt. War es im letzten Band eine Lehrerin, die von einem Tag auf den anderen verschwand, wird hier gezeigt, unter welcher permanenten Anspannung der christliche Lehrer des Jungen steht. Hier wie dort finden sich Manipulationsstrategien. Dass Der Araber von morgen sie einfach aufzeigt, liegt einmal an der kindlichen Sicht des Protagonisten und daneben an den Kommentaren des Erzählers. Beides steht nebeneinander, greift ineinander und deckt dabei auf, ohne direkt etwas erklären zu müssen. Es ist eine unglaubliche Stärke der ganzen Reihe.
Auch der dritte Teil hat mich begeistert, bewegt und fasziniert. Der Araber von morgen erreicht so leicht eine solche Tiefe und Bedeutungsschwere, dass jeder die Bücher kennen sollte.