Endlich ist der zweite Teil von Riad Sattoufs als graphic novel erschiene Autobiografie erschienen. Der erste Teil hat mich im letzten Sommer begeistert und das eindrucksvolle Bild eines Kindes gezeichnet, das zwischen dem Nahen Osten und Europa hin und her gerissen wird. Der zweite Band von Der Araber von morgen umfasst nun Sattoufs Leben von 1984 – 1985 in Syrien und ist frisch bei Knaus erschienen mit 158 Seiten.
In Syrien ist es für Riad nun Zeit, zur Schule zu gehen. In einer Welt, in der Mädchen keinen Zugang zu Bildung haben und Prügelstrafe Alltag ist, wird Riad mit gesellschaftlichen Normen konfrontiert, die er nicht versteht und lernt gleichzeitig, dass das Leben in Syrien nicht so einfach ist, wie sein Vater es allen glauben machen will. Gleichzeitig knüpft der Junge erste Freundschaften und wird mit dem Konfrontiert, was wir Ehrenmord nennen.
Der zweite Band knüpft nicht nur inhaltlich an den ersten an, sondern führt die Mischung aus kindlichen Eindrücken und realistischen Zeichnungen weiter. Dieser Blick ist faszinierend und brandaktuell, denn hier werden gleichzeitig Aussagen des Vaters und anderer Mitmenschen von Riad als glaubhaft und positiv vom Kind selbst bewertet, in den Zeichnungen aber zeigt sich die eigentliche Tragweite. Es wird keinerlei Wertung vorgenommen, was ich wirklich positiv finde. Gleichzeitig aber zeigt Sattouf in einer kleinen Episode vom Winterurlaub für das Kind wichtige Unterschiede auf und geht außerdem auf die Differenzen zwischen dem ländlichen Leben in Syrien und dem in der Großstadt auf.
Beeindruckt hat mich vor allem die Stelle, an der Riad es mit einem in Frankreich gelernten Trick schafft, in Syrien Bewunderung zu ergattern. Ein kleiner Ausblick hin zu einer gemeinsamen Zukunft für Nahen Osten und Europa wird hier schon gegeben. Daneben aber finde ich gerade das, was in der graphic novel ungesagt bleibt, wichtig für das Verständnis der Geschichte und auch für die aktuelle Situation. So berichtet er von den Wahlen 1985, an denen der Präsident Syriens mit 100 Prozent der Stimmen wiedergewählt wurde. Diese Information steht ohne Mutmaßungen oder Wahrscheinlichkeiten zu Wahlbetrug und gewinnt gerade dadurch an Bedeutung.
Grandios finde ich auch die Zeichnungen, die realistisch sind, ohne an den passenden Stellen die Möglichkeiten einer grafischen Darstellung zu vergessen. So wird die Angst, die Riad vor den Prügelstrafen in der Schule hat, passend zeichnerisch unterstützt und auch die farbliche Markierung dieser Stellen zeigt die emotionale Belastung. Wie bereits im ersten Teil ist die Zeit, die Riad in Frankreich verbring in einem kühlen Blau belassen, während die Bilder, die in Syrien spielen eine rötliche Färbung haben und das Haus der Familie durch den schwarzen Boden weiterhin wenig heimisch wirkt.
Die Mutter als schützende Instanz fällt im zweiten Teil langsam weg und fokussiert sich eher auf den jüngeren Bruder, dessen eigenen Problemen in seinen Albträumen angedeutet werden. Die Abgeschiedenheit und Ausgrenzung macht der Mutter zu schaffen und langsam beginnt auch der Junge zu verstehen, dass seine Mutter nicht in das Bild der syrischen Gesellschaft passt. Große Selbstzweifel treten aber nicht auf, viel mehr versucht Riad sich möglichst anzupassen und erfährt dabei widersprüchliche Signale von Vater und Mutter, Frankreich und Syrien, Außen- und Innensicht.
Dramatisch in diesem Band ist natürlich der Ehrenmord in Riads Familie, der ihn nicht nur auf gewisse Weise belastet, sondern auch den Vater als Ausgegrenzten brandmarkt, der sich dem familiären Gruppenzwang beugen muss, als es darum geht, die Täter zu bestrafen. Da gerade das Ende des zweiten Bandes darauf referiert zeigt sich hier eine bisher noch nicht derart durchgekommene Verzweiflung des Vaters, seine Heimat nicht zu verlieren und gleichzeitig mit dem in Verbindung zu bringen, was er gelernt hat, was er glaubt und was seine Frau und Kinder von ihm fordern.