Bei netgally habe ich Melissa Broders Fische entdeckt und nicht lange überlegt. Meermann, Liebe in unserer Gesellschaft, Überlegungen, die bis in die Tiefe gehen – klingt interessant. 352 Seiten hat die Print Version, die bei Ullstein in der Übersetzung von Eva Bonné erschienen ist.
Lucy passt nach der Trennung von ihrem langjährigen Partner auf den kranken Hund ihrer Schwester auf und muss zur Therapie auf richterliche Anordnung. Was wie ein schlechter Scherz beginnt, wird durch die teenagerhaft aufmüpfige Protagonistin nicht leichter. Lucy glaubt, alles besser zu wissen und niemanden zu brauchen – außer DEN Mann in ihrem Leben. Der soll leidenschaftlich und sexy sein, sie verehren und auch irgendwie ein „Bad Boy“.
Liebe macht krank?
Um sie herum liebeskranke Frauen in den unterschiedlichsten Ausprägungen. Frauen, die keine Bindung eingehen wollen, es aber laut Therapie sollen, solche, die mit allem schlafen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Für Lucy, durch deren oberflächlichen Blick der Leser alles wahrnimmt, gefallene Figuren, die es alles so viel schlechter haben als sie. Sie will ja nur einen Mann, im besten Fall ihren Ex.
Dabei wirkt die Geschichte wie ein Auffahrunfall, bei dem man als Leser nicht wegschauen kann. Die Protagonistin ist nicht sympathisch, sie erweckt noch nicht einmal Mitleid, höchstens Kopfschütteln. Ihre Reflexion des eigenen Charakters ist dabei noch nicht mal immer falsch, doch wenn sie mal auf dem richtigen Weg ist, trifft sie sich dank einer Dating-App mit einem Kerl, der sie Hotelklo nimmt und liegen lässt. Alles lässt Lucy hinter der Suche nach einen Mann zurück. Sie vernachlässigt sich, ihre Aufgaben, den Hund, ihre Dissertation.
Liebe und Depression
Je nachdem, wie aufmerksam der Leser ist, erkennt er dabei, dass Lucys Probleme nichts mit Liebe oder deren Definition zu tun hat, sondern eine ausgewachsene Depression ist, mit teilweise manischen Zügen. Die manifestiert sich im Buch in Theo, dem Schwimmer, der sich als Meermann entpuppt. In ihm spürt sie die große Dunkelheit, die Traurigkeit, der sie verzweifelt zu entkommen versucht. Und gleichzeitig ist Theo der Mann, bei dem sie sich stark und schwach fühlt, sicher und angekommen. Theo steht für die Depression an und für sich, für das Hinabziehen und die Faszination des Verschwindens in der Traurigkeit.
Lucys Fehler – als Mensch und als Romanfigur – sind unzählig, sie kommt dem Leser nicht entgegen, flieht immer wieder vor sich selbst. In Spiegelhandlungen um sie herum wird die Auswirkungen von Depressionen immer wieder aufgegriffen. Selbstmordversuche, Alkoholismus und andere Abhängigkeiten, Selbstlügen. Dass Depressionen als Heilmittel die Liebe entgegengestellt wird, diese Kombination aber immer wieder scheitert, ist die deutliche und wichtige Aussage von Fische. Liebe heilt keine Depression, sie ist kein Ausweg, wird uns aber immer wieder als solcher vorgesetzt.
Ende mit Schrecken?
Trotzdem finde ich es gefährlich, wie Theo alias die Depression dargestellt wird, welche Bedeutung er erhält und welche Gefühle Lucy mit ihm verbindet. Das Ende hinterlässt dann auch einen fahlen Beigeschmack, denn es ist nicht etwa ein Kampf gegen die Depression oder ein Hoffnungsschimmer, sondern Egozentrismus, der Lucy ihre Entscheidung fällen lässt. Auch dass sie als so wechselhaft, in ihrer Entwicklung fast schon im Jugendlichen steckengebliebene Figur auftritt, finde ich unpassend. Als könnte die Gefahr einer Depression bei Menschen, die mit beiden Beinen im Leben stehen gar nicht erst aufkommen. Hier helfen zwar die Nebenstränge etwas, aber in ihrer Extremität sind auch hier eher „abnorme“ Entwicklungen gezeigt, statt das Eingeständnis, dass Depressionen vor niemandem halt machen.
Fische ist ohne Frage in vielerlei Hinsicht ein interessantes und wichtiges Buch, aber auch eines, das mit Vorsicht zu genießen ist und nicht ohne Kritik stehen bleiben kann.