Als ich das Titelbild sah, war es um mich geschehen. Schaut es euch an, lasst es wirken. Einfach, vielleicht, aber gelungen. „Oh mein Gott“, dachte ich und fügt mit einem Grinsen hinzu „wie geil“, denn jeder, der irgendwann seine Nase in ein Comicheft gesteckt hat, der 80er Jahre Zeichentrickserien geschaut hat, der allein beim Titel Tigerman an etwas denkt, das genauso gut im Kino laufen könnte, wird von diesem Titelbild magisch angezogen. Nick Harkaways neuer Roman stand darum ganz oben auf meiner Wunschliste, erschienen bei Knaus im August mit 448 Seite, Übersetzt von André Mumot.
Lester ist Seargent und als Vertretungskonsul auf die Insel Mancreu versetzt, einer Insel, die dank unethischer Handhabungen auseinanderzufallen und die Welt mit neuartigen Bakterien zu überschwemmen droht. Sein bester Freund ist ein Junge, der seine Nase am liebsten in Comichefte vergräbt und für den Lester lieber ein Vater wäre, als nur ein Freund. Ein Mord verändert alles und während Lester die Herkunft seines jungen Begleiters zu ermitteln versucht, wird er hineingezogen in die Machenschaften einer größeren Macht. Ein Tiger stellt alles auf den Kopf und Tigerman erscheint.
Die Handlung ist einfach irre. Bis aufs kleinste Detail geplant, ineinander verworren, ausgeklügelt und treffsicher dargebracht. Jeder hat seine eigene Geschichte, die manchmal erst nach langem hin und her aufgedeckt wird und vieles ist anders, als es scheint. Wie im Stil der Comichefte wird mit Schein und Sein Experimentiert und eine neue Identität bringt immer die Frage mit sich, ob die alte noch weiter existent ist. Es geht um Verwandlung, Wandlung, Entwicklung auf mehreren Ebenen, deutlich gemacht an den geheimnisvollen Wolken, die Mancreu ausstößt und die die gesamte Umwelt verändern.
Der Stil ist dabei fesselnd und einfach herrlich. Der britische Lester, der es schafft im aufregendsten Moment wie ein „stocksteifer Brite“ daherzureden, während der Leser genau um seine Gefühle weiß – ein weiterer Hinweis auf das Thema „Schein und Sein“. Interessant auch die Wahl auf den Tiger als Symbol. Kein kleines, mitunter im Unsichtbaren agierendes Tier, wie Spinne oder Fledermaus, ein Tiger, bekannt, gefährlich und gefährdet. Das schwingt immer mit, die Gefahr für den Helden selbst.
Mit der ureigenen Sprache des Jungen, die aus Filmzitaten, Computerspielvokabeln und hochgedroschenem Akademikerworten besteht hat das Buch ein weiteres Element des Rätsels. Der Junge, dessen Name Lester nicht kennt, ist rätselhaft, immer für eine Überraschung gut und entscheidende Triebkraft für Lester, der doch alles nur tut, weil er das Kind liebt, zu lieben glaubt und ihn beschützen will. Worte haben eine enorme Kraft im Roman, symbolisiert durch den Schreiber Raoul, der wie ein Zauberer verehrt wird.
Der rote Faden des Romans ist geschwungen, verläuft vielleicht nicht gerade, doch er droht in keinem Moment zu zerreißen, spannt sich lediglich, so wie es sich gehört. Das Finale, so viel sei verraten, ist genial, etwas grotesk und so voller Dreh- und Angelpunkte, dass alles eben auch genauso gut ganz anders hätte laufen können.
Tigerman ist das, was im Film ein genialer Actionstreifen wäre, voller Adrenalin, mit ausgeklügeltem Plot und Köpfchen. Verdammt gut und verdammt gut zu lesen. Überzeugt euch und lest hier rein.