Mit seinem überwiegend blauen Einband kam mir Gut gegen Nordwind von Daniel Glattauer als Zusatzaufgabe für Einmal durchs Regal gerade recht. Mit 223 Seiten nicht unbedingt ein langes Buch, aber Qualität steht ja über Quantität.
Im Buch beginnen Emmi und Leo aus dem Nichts und über einen Schreibfehler eine Beziehung über E-Mail. Sehr schnell werden die Nachrichten der Beiden emotional. Sie bilden den anderen jeweils zu Idealfiguren aus. Problematisch dabei ist, dass Emmi verheiratet ist, glücklich verheiratet, wie sie betont. Dennoch sieht sie in Leo das Geheimnisvolle und Frische, nach dem sie sich insgeheim sehnt. Leo sieht in Emmi dagegen die Frau, die er immer gesucht hat. Gleichzeitig will er ihre Ehe nicht zerstören.
Leo und Emmi verlieben sich ineinander, ohne sich wirklich zu kennen. Sie sehen sich, ohne wirklich zu wissen, welcher der andere jetzt ist (ein interessantes Experiment). Etwaige Informationen über das Leben des anderen sind dürftig und oberflächlich. Emmi versucht sogar, Leo mit einer ihrer Freundinnen zu verkuppeln und bekommt ein gekonntes Schauspiel vorgeführt. Alles läuft aber darauf hinaus, dass es nur ein absolutes Ende geben kann, um beide von den idealisierten Vorstellungen zu befreien. Treffen mit Schrecken, ein böses Ende, ein abruptes Ende des Kontakts. Gleichzeitig aber sehnen sich beide sehr nach einander, schicken sich ihre Stimmen, aufgenommen, nicht in Echtzeit.
Es ist eine neue Liebe, eine andere Liebe, die Emmi und Leo erleben. Und für die sie am Ende dann doch nicht bereit sind. Das Körperlose ist es, dass sie ins Trudeln kommen lässt. sie ertragen es nicht, wollen Körper, wollen Fühlen, wollen mehr, als nur Wörter zu schicken, Wörter zu schreiben, Wörter zu lesen. Dabei drückt Glattauer es mit Leos Sprache perfekt aus: „Schreiben ist küssen mit dem Kopf“. Leo und Emmi könnten etwas Neues erfinden. Etwas über Körperlichkeit. Doch beide sind zu sehr auf Berührungen und Gerüche fixiert. Sie Vorstellugn des anderen wird zur eigenen Vorstellung, sie wollen die Figur sein, die der andere sich ausmalt. So romantisch das erscheint, so unwillkürlich ist es zum Scheitern verurteilt.
Der Stil ist eindrucksvoll. Die Mischung aus Mündlichkeit und Schriftlichkeit von persönlichen Mails ist gekonnt dargestellt. Noch dazu bekommen Leo und Emmi ihren ganz persönlichen Stil, ihre ganz persönliche Sprache. Darum ist es nicht schlimm, wenn die Anrede in den Mails fehlt, es ist ganz leicht zu erkennen, wer gerade schreibt.
Dennoch ist das Ende vorhersehbar, die Spannung bleibt für mich darum etwas auf der Strecke. Etwas Energie kommt hinzu, als Emmis Mann von ihrer Veränderung durch die Beziehung mit Leo berichtet. Der Unterschied zwischen Fremd- und Selbstsicht wird offenbart. Außerdem ist der Briefroman nicht jedermanns Sache. Mich persönlich hat auch die Leichtigkeit mit der sich Emmi in diesen emotionalen Betrug ihres Mannes stürzt schockiert, einem Mann, von dem sie stets nur sehr gut schreibt, der sie nie in irgendeiner Weise schlecht behandelt hat. Noch nicht einmal, weil sie sich selbst finden will, sondern weil sie der Wunschfigur von Leo entsprechen will, in die sie sich verliebt hat, mehr noch, als dass sie sich in Leo verliebt. Und obwohl im Buch Männlichkeits- und Weiblichkeitszuschreibungen verschwimmen, bleibt Emmi in diesem Punkt geradezu kitschig weiblich, wie das Mädchen, das im rosa Kleid auf den Prinz auf weißem Pferd wartet. Das sticht sich etwas. Und stört.
Gut gegen Nordwind ist ein gutes Buch, ein Buch über neue Medien und neue Lebensweisen, die wir aber nicht erreichen können. Es ist ein kritisches Buch, in vielerlei Hinsicht und dennoch gut und flüssig zu lesen.