Letzten September ist bei Pantheon Eine kurze Geschichte von Gehirn und Geist erschienen. Auf 256 Seiten führt Autor Matthias Eckoldt durch die Geschichte der Erforschung des Gehirns. Dabei zeigt er Zusammenhänge auf und die Grenzen unserer Vorstellungskraft. Danke an das Bloggerportal für mein Rezensionsexemplar.
Angefangen bei den ersten Überlegungen zum Sitz der menschlichen Gedanken in der Antike bis zur modernen Überlegung, wie künstlich unser Gehirn ist und wie natürlich eine Maschine wirken kann geht das Buch die verschiedenen Stationen der Hirnforschung durch. Den Anfang machen Knochenfunde. Diese belegen, dass bereits in grauer Vorzeit Operationen an Kopf und Gehirn vorgenommen wurden, die von den Patienten überlebt wurden. Dabei galt der Kopf lange nicht als Sitz des Geistes. Die Sinneswahrnehmungen von Sehen, Hören, Schmecken wurden schnell dort lokalisiert. Immerhin sitzen am Kopf praktischer Weise auch Mund, Ohren, Augen, Nase. Das Denken selbst wurde unabhängig davon betrachtet.
Gesucht: der Sitz der Seele
Interessant war für mich, wie lange sich die Vorstellung einer gasförmigen Substanz hielt, die die „Seele“ oder den beseelten Geist beinhalten sollte. Dort glaubte man Denken und Fühlen. Durch die kirchlichen Normen geprägt, war die Abkehr dieser körperlichen Ausprägung der Seele so lange undenkbar, dass auch die, die sich schließlich über das Gesetzt hinwegsetzten und Leichen sezierten, mit dem Gehirn vor ihrer Nase nicht von der Idee abbringen ließen. Beeindruckend am Buch finde ich, wie wertfrei der Autor an die einzelnen Schritte der Geschichte herangeht. Die Doktrinen, die der Forschung lange im Weg standen – ihr vielleicht immer noch im Weg stehen – werden keiner modernen Kritik ausgesetzt. Es war eben so, Punkt. Diese Sicht macht es wesentlich einfacher, den Forschungen zu folgen, als eine Zusammenfassung, die jeweils die Umstände verteufelt, statt sich auf die Ergebnisse zu konzentrieren.
Grenzwert Gehirn
Elementar beim Verständnis von Gehirn und Geist, das macht der Autor immer wieder klar, ist die Technisierung. Sie liefert immer wieder neue Metaphern für das hochkomplexe Gebilde unseres Gehirns. Wie viel Elektrizität ins uns steckt, wie viel davon in Wirklichkeit Chemie ist, wie viel wir immer wieder überwerfen müssen, weil das bisher gedachte einfach falsch war. Staunend habe ich dieses Buch gelesen und war immer wieder beeindruckt. Von den Forschern, aber umso mehr von unserem Gehirn, unserem Wesen, das immer noch zu weiten Teilen im Dunkeln liegt, weil wir abermals an einem Punkt angelangt sind, an dem wir den aktuellen Grenzwert erreicht haben. Bis hierher und nicht weiter – jedenfalls momentan. Mit jedem weiteren Tag, jedem Fortschritt, jeder Entdeckung, jedem neuen Stück Technik kann sich auch sofort wieder die Vorstellung unseres Gehirns verändern. Vom Aufnahmepunkt der Sinneneindrücke bis zur Datenzentrale, dem Internetknotenpunkt unseres Körpers.
Sprache und Denken
Beeindruckend fand ich auch, dass der Autor nicht etwa Biologe ist. Matthias Eckoldt hat Philosophie, Germanistik und Medientheorie studiert. Dennoch – oder gerade darum – findet er die richtigen Worte, um die komplexen Forschungsschritte so zu erklären, dass sie verständlich werden. Fehlen darf dabei dann auch nicht die Entdeckungen von Broca und Wernicke. Die sollten Germanistikstudenten wie Biologiestudenten zumindest einmal kennen gelernt haben. Hier zeigt sich auch wie ausgefeilt unser Gehirn ist. Während Broca ein Areal lokalisierte, das für das Zustandebringen zusammenhängender Sätze, also die grammatikalische Einbettung – nicht aber für das Verstehen von Sprache und Worten – zuständig ist, entdeckte Wernicke einen Bereich, bei dessen Störung Sprache zwar noch reproduzierbar ist, aber ohne Sinn. Die Grammatik stimmt noch, aber die Worte ergeben keinen Sinn.
Vielleicht ist es gerade die wissenschaftliche Herkunft des Autors geschuldet, dass andere, ebenso faszinierende Beispiele neurologischer Erkrankungen teilweise fehlen. Andererseits gibt es davon so viele, dass das Buch um gut 100 Seiten fülliger, das Ergebnis umso verwirrender würde. Als Fazit bleibt zu sagen: Eine kurze Geschichte von Gehirn und Geist ist eine sehr interessante Lektüre, die historische, biologische, philosophische und moderne Zugänge bietet und mich sehr in ihren Bann gezogen hat.
Eine andere Rezension zum Buch habe ich auf litblogkoeb gefunden.
Lieb Eva, im Gegensatz zu mir, (danke für die Verlinkung zu meiner Besprechung), hast Du Dir wirklich bemerkenswert viel Mühe mit Deiner Analyse des Buches gemacht. Finde ich toll!
Ich bin immer daran interessiert, mehr über die Arbeitsweise unseres Denkorgans interessiert. Dieses Buch ist ein vorbereitenden Einstieg in die Materie.
Gruß
Erika
Liebe Erika,
danke für das Lob. Ich finde ja, es kommt nicht auf die länge eine Rezension an, sondern auf Ehrlichkeit, Inhalt und das grundlegende Fazit 🙂