Beim Blick auf die Literaturszene habe ich das Gefühl, das Dystopien und Postapokalypsen Hochkonjunktur haben. Was mit den Hunger Games anfing, ist eine neue Ära, die sich für mich deutlich von der der „klassischen“ Dystopien unterscheidet. Dabei gab es die quasi schon immer, gekoppelt an Vorstellungen der Apokalypse und dem, was danach kommt.
Vor allem anderen
Dystopien und Apokalypsen / Postapokalypsen sind nicht das Gleiche und kommen doch aus der gleichen Richtung. Während Apokalypsen selbst den Untergang einer bestehenden Ordnung verzeichnen (so wie die Katastrophenfilme, die sich schon nicht mehr zählen lassen) und ebenso global, wie lokal oder persönlich sein können, erzählen Postapokalypsen das danach. Das muss aber keine Dystopie sein. The Walking Dead, um es anschaulich zu machen, ist eine Postapokalypse. Ein Virus hat die bestehende Ordnung an Regeln, Normen und Rechten außer Kraft gesetzt. Doch es ist keine neue Ordnung entstanden, die eine sich negativ erweisende Politik betreibt. Ebenso ist Elenor Avelles Infiziert keine Dystopie, sondern eine Postapokalypse. Persönliche Apokalypsen sind eher Traumata.
In Die Arbeit der Nacht lässt Thomas Glavinic die Geschichte eines Mannes erzählen, der aufwacht und alle anderen „Tiere“ sind verschwunden. Keine Menschen, keine Haustiere, keine wilden Tiere. Nur er und der Wahnsinn, der ihn befällt. Für den Leser bleibt es, zu überlegen, ob es eine echte Postapokalypse im Sinne einer globalen Katastrophe oder Veränderung ist – oder eine psychische und damit persönliche Apokalypse des Protagonisten. Eine Dystopie ist aber auch das nicht – es gibt ja niemanden mehr, der regieren könnte. Denn eine Dystopie zeichnet sich durch eine streng normierende politische und gesellschaftliche Struktur aus, die zu einer Gefahr wird und gegen Individualismus handelt. Die Klassiker sind Huxleys Brave New World, Orwells 1984 und mein Favorit: Fahrenheit 451 von Ray Bradbury.
Was war davor?
Aber auch damals haben sich Dystopien nicht aus dem Nichts gebildet. Eine Vorstellung der Apokalypse gibt es in so vielen Kulturen, dass sie nicht wegzudenken ist. In der Offenbahrung des Johannes werden in der Bibel die Vorboten der christlichen Vorstellung des Endes der Welt gezeigt. Die apokalyptischen Reiter Hunger, Krankheit, Krieg und Tod, das Lamm Gottes, das jüngste Gericht. Auch danach soll alles anders werden, eine positive Postapokalypse wird beschrieben, in der die Geretteten glücklich sind.
Die Bibel kennt aber noch mehr Apokalypsen. Beispielsweise die Flut, die alle, außer Noah und die, die auf seiner Arche waren, umgebracht haben soll. Eine solche Erzählung von einer großen Flut und besonderen Überlebenden finden sich in vielen Kulturen. Darum wird von einer echten Naturkatastrophe ausgegangen, die natürlich weder so umfassend war, noch so weniger Überlebende zurück gelassen hat. Doch es gibt noch viel mehr. Ragnarök etwa, das große, immer wiederkehrende Weltende in der germanischen Mythologie, nach dem der neuste Thor-Film benannt ist. Die Gallier in Asterix und Obelix fürchten, dass der Himmel ihnen auf den Kopf fällt – nichts anders, als eine Angst vor der Apokalypse. Der Gedanke begleitet die Menschheit, seit den ersten Kulturen, gepaart mit der Angst vor dem Tod und dem Unwissen, was die Zukunft bringt.
Historische Apokalypsen und Dystopien?
Tatsächlich gibt es auch historische Beispiele für apokalyptische Zustände und ihre Folgen. Sind auf der einen Seite Naturkatastrophen wie Brände, Überschwemmungen und Erdbeben zu nennen, dürfen auch Krankheiten, wie die Pest nicht fehlen. Sie hat unzählige Todesopfer gefordert. Die spanische Grippe gar hat 1/3 der Bevölkerung des damaligen Europas dahin gerafft. Auch Kriege waren schon immer als Apokalypsen zu betrachten. Für die Opfer, für die Verlierer, für die Soldaten. Der Stellungskrieg im Ersten Weltkrieg wird genau so beschrieben. Und natürlich gab es auch Regierungs- und Gesellschaftsformen, die ideale Vorlagen für Dystopien sind. Allen voran der Nationalsozialismus, der systematisch Menschenleben gefordert, ganze Gruppen unterdrückt und dafür gesorgt hat, dass die Menschen selbst ihren Familienmitgliedern nicht mehr trauen konnten. Wäre das Literatur und nicht grässliche Realität, wäre es ein perfektes Beispiel für eine Dystopie.
Wenn wir diese tatsächlichen apokalyptischen Zustände mit den Merkmalen der Mythologien vergleichen, wird klar, dass es auch dabei immer um Krankheit, Hunger, Krieg und Tod geht. Ein Viererpack, der sich fest zusammenhängt und sich gegenseitig bedingt. Am Ende des Barock hatten die Menschen in Europa mit dem dreißigjährigen Krieg genau das erlebt, in einem Ausmaß, das wir und heute gar nicht vorstellen können. Seit Jahren herrscht nun in Syrien Krieg, mit noch schlimmeren Waffen und Gefahren, die wir kaum erfassen können. Es ist längst ein neuer Weltkrieg geworden, denn die ganze Welt ist involviert und betroffen. Es passieren nicht nur persönliche Apokalypsen vor unseren Augen, sondern auch welche, die die ganze Welt betreffen. Und sie sind auch noch eng verknüpft mit Regierungsformen, die laut kritisiert werden. Wo die Literatur ein Fluchtweg, eine Übertreibung und eine Verschärfung der Zustände aufzeigt, bedient sie sich also immer noch realen Begebenheiten.
Moderne Dystopien?
Dabei sind moderne Dystopien oft grundlegend anders, als die Klassiker, die ich oben genannt habe. Oft ist die regierende Macht nicht nur ein Einzelner an der Spitze, sondern eine Art Oligarchie. Das war bei den Hunger Games so, es ist bei den Perfekten von Caroline Brinkmann der Fall und auch beim Feuerzeichen von Francesca Haig. Darunter gibt es aber meist einen oder zwei Anführer. Lediglich die herrschende Macht wurde ausgebaut. Wo die Klassiker allerdings durch technische Errungenschaften den Druck zeigten, die Bespaßung der Bürger und Kontrollfunktion, die mit sozialer Kontrolle einhergeht, ist es in den modernen Büchern anders.
In Brave New World werden Menschen in Reagenzgläsern gezeugt, genetisch modifziert, um ihrer bestimmten Stellung innerhalb der Welt gerecht zu werden. Bei Fahrenheit 451 erfolgt die Kontrolle durch wandgroße Bildschirme und (wie in vielen klassischen Dystopien) die strikte Kontrolle und Abschaffung von Literatur, Kunst, Gefühlen und Idividualismus. Die Helden sind die, die angepasst leben können, aber sich dagegen entscheiden. Montag in Fahrenheit 451 ist Feuerwehrmann und verbrennt in seiner Funktion die verbotenen Bücher. Bis er eines davon liest. Die Entscheidung zum Wiederstand wird nicht aus einer Muss-Situation geboren.
Moderne Dystopien zeigen dagegen oft eine Welt mit einer geradezu bäuerlichen Unterschicht. Deren Geschichte wird erzählt. Die der Außenseiter, die schon immer Außenseiter waren. Sie sind am Ende und haben nicht mehr. Ihre Entscheidung, sich gegen das Regime zu stellen, entsteht aus einer Notwendigkeit. Wären sie ohne das auch Helden geworden? Wäre Rain bei einer anderen Hinrichtung, als der ihrer Mutter, auf die Bühne gestürmt? Hätte Catniss sich als Tribut gemeldet, wenn nicht ihre Schwester aufgerufen worden wäre? Sie sind Helden, weil sie ihre Haut retten wollten und zum Symbol einer großen Sache geworden sind, die die Welt verändern kann. Die Klassiker dagegen zeigen, dass nur der einzelne sich ändern kann, und nur wenn es genug Einzelne gibt, verändert sich die Welt.
Was ihr heute gewinnen könnt:
Ich habe heute viel davon geschrieben und es gehört zu meines absoluten Lieblingsbüchern: Fahrenheit 451. Gewinnt es heute in meinem Adventskalender, indem ihr mir im Kommentar verratet, welche Dystopie ihr noch kennt. Ich bin gespannt, denn ich lese wirklich gerne gute Dystopien und bin immer traurig, wenn sie zu abgedroschen wirken.
Teilnahme ab 18 oder mit Einverständnis eines Erziehungsberechtigten, der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Der Gewinn kann nicht in bar ausgezahlt werden. Leser meines Blogs, die mir folgen und teilnehmen, bekommen ein Los extra. Generell habt ihr bei jedem Türchen die gleiche Chance, zu gewinnen. Das Gewinnspiel für den Gewinn zum 14.12.17 beginnt mit diesem Post und endet am 16.12.2017, 23:59.
Hallo und guten Tag,
also mir gefällt besonders „Vollendet “ von Neal Shusterman….da geht es um Organe, Organspenden und in welche Richtung sich unserer Gesellschaft weiter entdeckt.
LG..Karin…
Hallo! 🙂
Ich glaube, ich habe mir tatsächlich noch nie so genau überlegt, wo der Unterschied liegt bei Dystopien und Nicht-Dystopien – der Begriff ist einfach so allgegenwärtig! Aber nun beim lesen kam doch immer wieder die Hand der Stirn sehr nah, denn natürlich ist es völlig klar und schlüssig, was du schreibst.
Ich habe vor einiger Zeit ebenfalls 1984 gelesen und fand es großartig. Die Klassiker stehen bei mir weitgehend noch auf der Wunschliste, ganz besonders Fahrenheit 451, weshalb ich hier gern ins Lostöpfchen hüpfe 🙂
Liebe Grüße!
Gabriela
PS: Wann lost du denn aus? Am Ende für alle? Hatte mein Glück schon beim Avatar versucht und gucke immer mal wieder rein, finde aber keinerlei Verlosungsnotiz. Ich frage nur, nich dass man evtl was verpassen könnte 🙂
Die Gewinner stehen auf der Gewinnerseite. Die siehst du im Menü im Bereich Aktionen. 😊
Ha, bis dahin kam ich nie – gut zu wissen, danke! 😀
Oh, Dystopien! Ich liebe gut ausgeklügelte apokalyptische oder dystopische Welten. Warum wirken diese schrecklichen Settings wohl so anziehend auf uns, die wir gemütlich auf unserem Sofa hocken?
Ich muss an dieser Stelle mal ein ganz großes Lob aussprechen, liebe Eva! Die Beiträge zum Adventskalender sind der Hammer – spannend, abwechlungsreich und dennoch unterhaltsam und all die tollen Gewinne, die du verlost! <3 Das war sicher ein Haufen Arbeit im Voraus. Einfach nur toll. <3
Danke dir 😘 es hat auch großen Gemacht (aber vielleicht bin ich auch ein bisschen froh, wenn der Dezember wieder vorbei ist 😂😂)
Liebe Eva-Maria, ich finde den Artikel super zu lesen, danke dafür. 🙂
Du magst ja Fahrenheit 415, das freut mich als Bradbury Fan
( siehe: http://kurzlesen.de/R1 )
und vielleicht findest Du auch diese Dystopie lesenswert, die zu meinen Lieblingsbüchern zählt:
Kate Wilhelm: Where Late the Sweet Birds Sang
dt.: Hier sangen früher Vögel
Herzlichen Gruß
Karl-Heinz
Danke, das schau ich mir auf jeden An
LG Eva
Hallo Eva-Maria,
toller Beitrag! Ich bin auch ein Fan von guten Dystopien oder postapokalyptischen Romanen. Fahrenheit 451 habe ich bisher tatsächlich nur den Film gesehen (den fand ich toll!).
„Qualityland“ von Marc-Uwe Kling fand ich zuletzt wirklich gut. Schon älter und total abgehoben – auch im Stil – ist „Die Gelehrtenrepublik“ von Arno Schmidt, das habe ich während des Studiums gelesen, u.a. für ein Seminar über Zukunftswelten.
Eher ein postapokalyptischer Roman – aber dafür ganz grandios – ist „Das Licht der letzten Tage“ von Emily St. John Mandel.
Viele Grüße, Ramona
Liebe Ramona, danke für die vielen Buchtipps. Das Licht der letzten Tage liegt tatsächlich noch auf meinem SuB 🙈🙈
LG Eva
Hallo liebe Eva,
ich lese auch gerne Dystopien, auch wenn ich die Definition aller möglichen Unterteilungen immer noch nicht so ganz verstanden habe! Meine liebste Utopie ist und bleibt „Schöne neue Welt“ von Huxley. Geliebt habe ich auch Orwells „1984“.
Eine moderne Dystopien-Trilogie, die ich mega fand, ist die „Eleria“-Trilogie von U. Poznansk (Die Verratenen – Die Verschworenen – Die Vernichteten). Vielleicht kennst du die noch nicht…
„Fahrenheit 451“ habe ich bisher noch nicht gelesen, wollte es schon lange getan habe. Es subbt bei mir, deshalb springe ich nicht ins Töpfchen. 🙂
GlG vom monerl
Huhu nochmals, den Hinweis hatte ich vergessen!
Da ja 1984 und Brave New World genannt wurden, lies Dir auch die Vorgänger-Geschichte durch:
Den Roman „Wir“ von Jewgeni Samjatin kannten sowohl Huxley als auch Orwell , als sie ihre Werke verfassten, er geht das Thema von einer anderen Seite an und ich finde ihn SEHR interessant – ebenso wie die beiden anderen.
🙂
VORSICHT beim Gucken auf Wikipedia, dort spoilern sie, wie meistens, den Plot:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wir_(Roman)
Das interessante Werk gibt’s auch als Hörspiel:
http://www.deutschlandfunkkultur.de/jewgeni-samjatin-wir-vorlaeufer-von-1984-als-grandioses.1270.de.html?dram:article_id=335652
Lieben Gruß
Karl-Heinz
[…] Eva-Maria von schreibt-trieb teilt mit uns ihre Gedanken zu Dystopien. Und zwar in ihrem Beitrag: Dystopien – ist unsere Welt aus dem Ruder gelaufen? Denn ihrem Gefühl nach scheinen Dystopien und Postapokalypsen gerade Hochkonjunktur zu haben. Es […]
Hallo Eva-Maria,
ich habe ein bisschen begebraucht um zu reagieren, weil ich mir sage, dass man nicht alles soo eng sehen sollte. Speziell im Bereich der Phantastik geht das Meinungsspektrum ja ziemlich auseinander.
Nach ein bisschen näherer Beschäftigung, weil es mir doch keine Ruhe gelassen hat warum mir der Artikel nicht so recht hinuntergehen wollte, wie es sonst bei deinen Texten der Fall ist, wurde mir auch klar warum.
Du sprichst relativ oft von „persönlichen Apokalypsen“ und:
„Es passieren nicht nur persönliche Apokalypsen vor unseren Augen, sondern auch welche, die die ganze Welt betreffen“, außerdem von „postapokalypitschen“ Texten wie „The Walking Dead“.
Das kann ich nicht unwidersprochen schlucken.
1. Kann es nach meiner Meinung nach keine persönlichen Apokalysen geben. Apokalypse ist definiert als „Weltuntergang“, „Gottes Gericht“ oder auch „Ende der Geschichte“. Das hat mit Persönichkeit nichts zu tun. Das Weltenende ist das Weltenende für alle und jeden, nicht für einzeene. Ja, ich vermute, dass das vieleicht von dir anders gemeint ist, aber es ist so geschrieben.
2. Gibt es für mich keinen Post-Apokalypse, weil eben das Ende absolut ist. Danach kommt nichts mehr – zumindest im herkömmlichen Sinne. Der Text kann daher vielleicht apokalyptisch sein, aber Post-apokalyptisch?
Ich bin von dir gewohnt, dass die Artikel ganz git ausgearbeitet sind, dieser scheit mir aber etwas überarbeitungsbedürftig und von einem gezwungenen Vergleich von Dystopie und Apokalypse getragen, der so nicht wirklich gelungen scheint.
Aber, bitte nicht böse sein. Es ist ehrlich gemeinte Kritik, nein, eigentlich Selbstreflektion deines Artikels, und ich wünsche mir im neuen Jahr noch viele Artikel von dir.
Prosit Neujahr
Tomas
Lieber Thomas, kein Problem, Kritik ist immer gut. Zum einen muss ich aber sagen, dass der Begriff Postapokalypse ein gängiger ist und in der Vorstellung vieler Apokalypsen mitschwingt. Kulturell gesehen soll die Apokalypse die bestehende Ordnung komplett umwerfen und eine neue möglich machen. Die Postapokalypse ist der Weg dazwischen.
Auch die persönliche Apokalypse ist mir in der Literaturwissenschaft schon öfter begegnet. Daraus entstehend, dass Wirklichkeitswahrnehmung subjektiv ist uns „Weltuntergang“ durchaus individuell zu betrachten ist. Persönliche Apokalypsen sind oft einschneidende Krisen, die eben die bestehende Weltordnung eines Individuums umwerfen.
Ich kann dir gerne mal die Definition dahinter raussuchen, die ich dafür auch in der Wissenschaft kennengelernt habe.
Nichtsdestotrotz ist Wahrnehmung subjektiv und wenn du dich mit dieser Definition nicht wohl fühlst, ist das dein gutes Recht. Ich widerspreche lediglich dem leichten Vorwurf nicht richtig recherchiert zu haben. LG Eva
“ … Ich kann dir gerne mal die Definition dahinter raussuchen, die ich dafür auch in der Wissenschaft kennengelernt habe. …“
Ja, gerne – danke …