Historische Romane liegen mir eigentlich nicht. Jedenfalls nicht diese kitschigen Historie-Schnulzen, die mehr Wert auf angedeutete Erotik legen, als auf Geschichte und Geschichten. Trotzdem sollte ich im Oktober für Einmal durchs Regal einen historischen Roman lesen. Geht aber alles, denn es sind ja nicht alle historischen Roman gleich. Süskinds Parfüm beispielsweise ist auch ein historischer Romane und einer, den ich liebe. Doch ehe ich darauf zurückgreifen musste, hatte ich noch eine bessere Wahl auf meinem Stapel ungelesener Bücher: Leonore und ihre Töchter von Gina Mayer mit 480 Seiten und ein Buch, dass ich gerade in einer Leserunde bei Lovelybooks lese (nunmehr gelesen habe).
Der Roman erzählt die Geschichten von Leonore, Luise, Mathilde, Dora und Nanette. Die einzelnen Geschichten sind dabei ineinander verschachtelt, werden als Geschichte in der Geschichte erzählt, was den Roman zusammenhält und ein bisschen wie bei 1001 Nacht wirkt.
Die Geschichte beginnt mit Dora im Paris um 1900, die Weltausstellung ist gerade eröffnet und Doras Mann war daran nicht unwesentlich beteiligt. Doch was als große Feier beginnt, endet für Dora im Chaos, sie erwischt ihren Mann und ihre beste Freundin in flagranti. Ihre Welt bricht zusammen, während die Welt ihrer Tochter mit dem Auftreten eines jungen Mannes geradezu aufzublühen scheint. Als Doras Mutter Mathilde aus Deutschland anreist, kann Dora nicht lange so tun, als habe sich nichts verändert. Nach einem Streit, fordert sie die Mutter auf zu gehen. Als Mathilde sich von Nanette verabschiedet, bittet die sie, ihr eine Geschichte zu erzählen und Mathilde erzählt die Geschichte ihrer Liebe. Darin verwoben ist die Geschichte ihrer eigenen Mutter Leonore, deren Mann Anton und dessen Jugendfreundin Luise. Anton und Luise kommen aus einfachen Verhältnissen. Als ihre Freundschaft zur reichen Leonore herauskommt, werden die zwei Kinder aus der Fabrik, in der sie arbeiten, entlassen, Leonore wird weggeschickt. Während Anton sich wieder nach oben arbeiten kann, bekommt Luise ein uneheliches Kind und wird zur Außenseiterin. Als Leonore sie wiedertrifft, ist Luise verbittert. Doch Anton und Leonore verlieben sich und können heiraten. Luise aber scheint Leonore verflucht zu haben. Erst nach mehreren Fehlgeburten, bringt sie gesunde Zwillinge zur Welt. Als Mathildes Zwillingsbruder Selbstmord begeht, hilft Mathilde ihrem Vater erfolgreich bei den Geschäften, die Mutter aber siecht vor sich hin. Nach einem Besuch bei Luise mit der Bitte, den Fluch aufzuheben, bittet sie Anton die gemeinsame Enkeltochter aufzunehmen, um ihr ein Schicksal wie das ihre zu ersparen. Mathilde willigt ein, ehe ihr Vater reagieren kann und nimmt ihre Nichte als Tochter an. Dazu heiratete sie einen guten Freund, folgt ihrem Geliebten aber nicht in die Schweiz nach, wie eigentlich gedacht. Dora und Nanette machen sich 1900 auf die Suche nach Doras leiblicher Mutter und beide erkennen auf ihre Art und Weise, dass eine Frau auch ohne Mann an ihrer Seite bestehen kann.
Das Buch beginnt etwas schwach. Dora versinkt in Selbstmitleid, Nanette schwebt auf Wolke sieben. Erst Mathilde kann die beiden auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Sie ist für mich die Heldin der Geschichte, nicht nur, weil sie das Tor in die Vergangenheit der Familie ist, sondern auch, weil sie als starke, selbstbewusste Frau, die Entscheidungen durchdenkt, trifft und dazu steht auftritt. Sie ist dabei keineswegs gefühlskalt, sondern Verstand und Gefühl stehen im stetigen Kontakt. Die Entscheidung, das Baby aufzunehmen ist damit keineswegs nur eine vernünftige, sondern auch eine aus Liebe zur Mutter entstehend. Leonore dagegen ist naiv und schwach, Nanette, obwohl die jüngste, auch die verträumteste, Luise verbittert und Dora wandelt sich von der Frau an der Seite des Mannes zur selbstbestimmten Frau.
Der Stil ist gelungen, nicht zu kitschig, abwechslungsreich und flüssig. Die Figuren passen gerade wegen ihrer Unterschiede so zueinander und gerade dabei kann der Leser doch Gemeinsamkeiten entdecken. Vor allem Dora wird ihrer (Zieh-)Mutter ähnlicher, als sie ihre eigene Mutter findet. Die Liebe ist dabei zwar im Mittelpunkt, wird aber stets von der Selbstbestimmung der Frau begleitet, die Thema ist. So kann auch die dominante Mathilde in ihrer Zeit nur an der Seite von Vater und Ehemann bestehen und Luise wird als alleinerziehende Mutter ausgegrenzt. Dora schließt sich schließlich der Pariser Frauenbewegung an, lernt aus der Geschichte und setzt neue Ziele für sich als Mensch.
Das Buch richtet sich eher an Frauen, ist aber kein schnulziger Liebesroman, sondern behandelt vielmehr die Stellung der Frau durch die verschiedenen Generationen hinweg. Das macht es um einiges interessanter und lesenswerter. Ich habe den Roman in einem Rutsch durchgelesen und mich immer mehr hineingelesen, bis ich plötzlich durch war. Schön, wenn das passiert und ein Grund für das Buch.