Kennt ihr die Überraschungsei-Werbung? Nicht die, die einem vormacht, Mädchen müssten rosafarben verpackte Schokoladeneier bekommen. Die geschlechterneutrale. In der je ein Kind, Jungs und Mädchen kommen gleichermaßen darin vor, in einem leeren Raum mit einem Überraschungsei sitzt und gesagt bekommt, es könnte auch zwei Eier haben, wenn es warten kann. Kann es natürlich nicht, denn die Werbung will ja behaupten, Ü-Eier seien eine Verlockung, der keiner widerstehen kann.
Diese Werbung beruft sich auf ein Experiment von Walter Mischel, der Vorschulkinder mit einer Süßigkeit ihrer Wahl konfrontierte und ihnen die Wahl ließ, eine gleich zu haben oder eben zwei nach einer gewissen Zeit. Ein Journalist gab dem Ganzen den Namen Marschmallow-Test. Und unter diesem Titel erschien jüngst Mischels Buch über das Experiment, seine Aussage zu Willenskraft, Selbstbewusstsein und Selbstkontrolle. Glatte 400 Seiten hat das Buch, erschienen bei Siedler im März.
Um die Pointe vorweg zu nehmen. Natürlich können Kinder es aushalten, zwanzig Minuten oder länger zu warten, um zwei statt einem Marshmallow (oder eben etwas anderem Süßen) zu bekommen – wenn sie wollen. Zumindest meistens. In seinem Buch erklärt Mischel wie es zu dem Experiment überhaupt kam, welche Gruppen berücksichtig wurden und wie es stattgefunden hat. Aussagekraft erhält es vor allem, da es in unterschiedlichen sozialen Milieus getestet wurde und die Kinder über Jahre hinweg beobachtet wurden. Teilweise vom Kleinkindalter an, in dem die Geduld bis zur Wiederkehr der Mutter getestet wurde.
Hochinteressant finde ich das Buch! Zum einen natürlich aus Sicht der Mutter. Immerhin rahmt Mischel seine Untersuchungen immer wieder mit amüsanten und faszinierenden Anekdoten, bring so Farbe ins Spiel und liefert darum mitnichten ein langweiliges Sachbuch, sondern eine unterhaltsam lesbare Untersuchung, die den Blick schärft und alltägliche Momente in ein anderes Licht rückt. Das ungeduldige Kind etwa, die Strategien, die es entwickelt, um eben doch geduldig zu sein, der Erfolg oder Misserfolg darin.
Aber – seien wir ehrlich – noch viel mehr schärft es den Blick auf uns selbst. Können wir das? Warten? Geduldig sein? Haben wir das im überschnellen Zeitalter nicht bereits vergessen, wo Informationen in Sekunden verbreitet sind und Supermärkte den Ladenschluss immer wieder minimieren. Hätten wir gewartet auf ein Marshmallow (oder eben etwas anderes)?
Und darüber hinaus geht Mischel noch einen entscheidenden Schritt weiter. Denn er geht durchaus kritisch mit seiner eigenen Studie um. Bezieht die Möglichkeit in Betracht, das Tagesformen ebenso entscheidend sein können, wie der Charakter des Kindes. Die Rolle des sozialen Umfeldes, Hunger, Streit, Ereignisse, die im Rahmen des Experimentes eben nicht aufzuzeichnen waren, sie alle können die individuellen Ergebnisse verfälschen. Dass ein Kind nicht warten kann, das macht Mischel klar, heißt nicht gleich, dass es einmal weniger erfolgreich sein wird, weniger Selbstbewusstsein haben wird, oder oder oder. Denn die Strategien zur Geduld sind a) erlernbar, b) von vielen Faktoren abhängig und c) besteht noch immer die Frage wie sinnvoll sie tatsächlich sind.
Etwas Ungeduld, das zeigt Mischel interessant auf, täte manchen Menschen sehr gut. Das ewige Aufschieben erinnert immerhin (mich zumindest) an die kirchliche Doktrin, das Gute erst im Jenseits zu erwarten. Was haben wir dann jetzt davon? haben unsere Vorfahren schon vor Jahrhunderten gefragt. Und doch sind wir noch in der gleichen Spirale gefangen. Wir lernen, damit wir später gut arbeiten können. Wir arbeiten hart, damit wir später Geld haben. Und später?
Mischel legt damit im Marshmallow-Test nicht nur sein Experiment und dessen Ergebnisse dar, sondern hinterfragt die Bewertung, die sofort im beruflichen Erfolg der frühen Geduldigen einen positiven Effekt sah. Und er erklärt, dass Geduld nicht gleich Geduld ist, Verlässlichkeit nicht gleich Verlässlichkeit. Erfolg eben nicht gleich Erfolg.
Ein großartiges Experiment, dass nicht umsonst über Umwege nahezu in unseren Alltag übergegangen ist und auf jeden Fall wert ist mehr beachtet zu werden, als durch einen einfachen Werbefilm. Noch dazu, wenn der Stil so anekdotenreich und lesbar ist, dass die Erkenntnis fast so nebenbei daher kommt und das Lesen Spaß macht.