Mit 192 Seiten passt Der Ernst des Lebens macht auch keinen Spaß von Christoph Wortberg, erschienen bei Beltz & Gelberg, noch genau in den Rahmen für Einmal durchs Regal. Gefunden habe ich das Buch bei Blogg dein Buch und war von der Geschichte von Anfang an angetan. Adoleszensgeschichten liegen mir einfach und die Frage, wie mit einem schweren Verlust umgegangen werden kann, finde ich interessant, solange kein Klischee bedient wird.
Wird in diesem Buch auch nicht. Lennys älterer Bruder Jakob ist tot und alle Zurückgebliebenen erfahren das Loch, dass dieser Verlust hinterlassen hat. Jakob war immer der Beste, für die Eltern, in der Schule, jeder mochte ihn. Aber keine kannte ihn wirklich. Lenny macht sich auf die Suche danach, wer sein Bruder war und wie es zu seinem Absturz kam. Dass der kein Unfall war, wird ihm schnell klar. Jakob ist freiwillig gesprungen, was Lenny nur noch mehr dazu bringt, an seinem eigenen Leben zu zweifeln. An allem, bei dem er tatenlos zugesehen hat. An der Tablettensucht der Mutter, der Kontrolle des Vaters, dem vorgefertigten Lebensweg, um den er Jakob eigentlich immer beneidet hat. Schließlich geht es nicht mehr um die Frage, warum, sondern darum, was Lenny tun kann, um diesem Tod einen Sinn abzuringen. Rosa, die ebenfalls ihren Tod plante, und Jakobs letzte Sekunden miterlebt hat, wirft dabei sein Leben vollkommen aus der Bahn – und er ihres.
Nichts ist einfach in diesem Buch. Die Schuldfrage bleibt ungeklärt – und doch zeigt sich, dass jeder ein bisschen Schuld hat und die wenigsten es sich eingestehen wollen. Wie der Vater, der die Mutter mit Tabletten ruhigstellt, um sich selbst ruhig stellen zu können und nicht verstehen kann, dass all die Hoffnungen, die er in seinen „perfekten“ Sohn gesetzt hatte den Druck auf ihn derartig unerträglich gemacht haben. Druck, den jedes Kind irgendwo kennt, an dem die wenigsten zerbrechen, aus dem einige einen eigenen Weg finden. Jakobs Weg führte direkt von der Zugspitze. Lennys Weg ist es, der hier gesucht wird. Er vollzieht alles, was sein Bruder sich nicht getraut hat, weil es nicht zu seiner „Rolle“ gepasst hat. Für Lenny ist Jakob der Held, weil er nicht bereit war, länger mitzuspielen, aber auch, weil er ihn aufgerüttelt hat, weil er Rosa gerettet hat und Lenny jetzt die Möglichkeit hat, sein Leben – und auch ihres – zu verändern.
Lennys Suche nach dem wahren Jakob ist eine Suche nach sich selbst, denn er hat auch sich selbst verloren, als sein Bruder gesprungen ist. Und er findet sich. Er spielt nicht mehr mit, wie Jakob, aber auf andere Art und Weise. Es geht dabei nicht um Verständnis oder einen letzten Grund, vielmehr um eine Aufgabe, die Lenny über Wasser hält, bis er sich seiner Selbst sicher ist, bis er eigenen Entscheidungen fällt, die sein Leben bestimmen werden. Und es geht um Abschied, um Trauer, um Bewältigung und um Liebe. Auch wenn für Lenny Jakob der Held ist, bleibt die Frage, ob durch die Veränderung nicht auch Lenny zum Held wird. Weil er nicht bereit ist, einfach weiter zu machen, weil er sich verändert und damit die Welt, die ihn umgibt.
Das Buch ist flüssig und packend, ich konnte es nicht mehr aus der Hand legen. Ein verdammt ernstes Thema wirklich gut verpackt und an den Leser gebracht. Christoph Wortberg ist darin auch kein Neuling. Der Germanist hat immerhin schon mit Die Farbe der Angst, Easy und Dieser eine Moment gezeigt, dass er schreiben kann. Wer solch eine Geschichte derart gut gestalten kann und ohne klischeehafte Momente Elemente, die eigentlich Klischees sind, wie die süchtige Mutter, den herrschsüchtigen Vater, das zerdrückte Kind, in Einklang bringt, schreibt wirklich gut. Ein absolut empfehlenswertes Buch für jedes Alter.