Ein Roman über Artensterben? Ein Roman über Tiere? Ein Roman über die (un)Menschlichkeit, mit der wir mit Tieren umgehen? Vorstellungen, die in meinem Kopf geisterten, während ich um Das letzte Nashorn von Lodewijk van Oord geschlichen bin. 256 Seiten hat die Übersetzung von Christiane Burkhardt, erschienen bei Knaus 2016.
Edo Morell will einen Zoo retten. Der junge Direktor, der aus der Filmbranche kommt, plant eine Umstrukturierung des Amsterdamer Zoos Artis. Er will mehr Erlebnis, mehr Fremde, mehr Attraktion in die alten Gehege bringen und fängt mit „Afrika“ an, einem neuen Themenabschnitt. Neue Tiere will er dazu anschaffen, vor allem auch drei vom Aussterben bedrohte Nashörner. Damit unter denen die Paarung klappt holt er Sariah an Bord, afrikanische Nashorn-Spezialistin und mit Leib und Seele am Fortbestand dieser Spezies interessiert. Doch so leicht machen es ihm weder Sariah, noch die Nashörner.
Der Roman wird aus drei unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Zum einen ist da Edo, zielorientiert, der eine große Nummer abliefern will, Attraktion und Ruhm. In ihm selbst sieht es dagegen ziemlich kaputt aus. Innerlich kaputt ist auch Sariah, die Mann und ungeborenes Kind bei einem Angriff durch Wilderer verloren hat. Sie lebt für die Nashörner und erzählt aus ihrer Perspektive die Zerrissenheit zwischen dem Wunsch, die Rasse zu erhalten und dem Gefühl, den Tieren unrecht zu tun, solange sie eingesperrt sind. Dritter Ich-Erzähler ist Frank, Gremienmitglied, in die Tage gekommen, philosophierend über Dürer und das Nashorn.
Dabei wird Geschichte mit Fiktion verwoben. Die reale Geschichte des Nashorns in der Kunst und in Europa, sein Mythos, die Schaulustigkeit der Menschen und die Haltung der Tiere werden mit dem fiktiven Ausblick auf das Ende der Rasse zusammengeführt. Nashörner sind stark gefährdet – womöglich so sehr, dass dieser Roman durchaus auch bald Realität werden könnte – noch ist er es aber nicht. Doch allein das Aufzeigen der Möglichkeit, beunruhigt. Denn es ist kein natürliches Artensterben, es ist ein brutales Abschlachten, das in diesem Roman die Nashörner vernichtet. Der Mensch.
Der Gefahr der Wilderer in der „freien“ Natur wird die Gefangenschaft im Zoo gegenübergestellt. Sicherer? Nicht, wenn es nach diesem Buch geht. Wilderer machen vor Zoomauern nicht halt, der Umgang mit den lebenden Geschöpfen gerade durch seine hier aufgezeigte Alltäglichkeit erschütternd, bewegend. Darf Tier noch Tier sein? Edo, der nicht aufhören kann im Rahmen eines Filmspektakels zu denken, der inszeniert, um jeden Preis, kann im Grunde zu keiner Sekunde Retter der Rasse werden. Er verbraucht, spielt ein Spiel mit den Medien. Und Sariah, die jedes tote Nashorn mehr zerbricht, bleibt darin eine Spielfigur.
Das letzte Nashorn ist ein unglaublich witziger Roman, spielt selbst mit Sichtweisen, Abgründen und Situation. Zugleich ist er ein erschütternd nachdenklicher Roman, weil er unseren gesamten Umgang mit Tieren in Frage stellt, vom Wilderer bis zum Tierschützer. Dies eingebettet in den historischen Kontext des europäischen Nashorninteresses, lässt den Menschen als im Grunde nicht lernfähig erscheinen. Die Besucher der Zoos und Veranstaltungen sind mit keiner Faser besser, als jene, die das Nashorn als Jahrmarktsattraktion bestaunten oder jene, die es töten, um die angeblich aphrodisierende Wirkung seines Horns verkaufen zu können. Tiere sind Profit, Dinge, keine Lebewesen. Ein dunkles Fazit.
Das letzte Nashorn ist ein kluges Buch, gut geschrieben, nicht per se anklagend, hetzerisch, fanatisch dem Tierschutz zugeschrieben. Sehr subtil setzt es Zeichen, zeigt Vergleiche und Verbindungen auf hinter der Geschichte um das letzte Nashorn, das hier leider auch nur Mittel zum Zweck ist. Sehr lesenswert.