(24.12) Weihnachten für Anna

Auch dieses Jahr habe ich beim National Novel Writing Month mitgemacht und mit viel Spaß einen Fantasyroman geschrieben. Was daraus wird, weiß ich jetzt noch nicht, aber heute möchte ich euch exklusiv eine kleine Kurzgeschichte, die aus der Vorgeschichte meines Romans erzählt vorstellen. Viel Spaß!

Der Kaffee war kalt geworden und rutschte bitter Annas Kehle hinunter. Die Brühe drückte gegen ihren Magen und sie war mit einem Schlag hellwach. Wenigstens einmal schaffte das Zeug, was es sollte. Mit einem ironischen Lachen knallte sie die Tasse auf den Tisch.
Wie sollte der Kaffee sie auch wach machen, wenn er koffeinfrei war. Zum Dank meldete sich sofort Jasper durch das Babyfon. Anna unterdrückte ein Seufzen. Es half ja doch nichts.
„Anna“, schrillte schon Rias Stimme durch das kleine Haus, als sie ihre schweren Beinen über die Treppe schob.
Ihre Schwester wurde regelrecht zur Furie, wenn sie vom Baby geweckt wurde. Anna drückte sachte die Tür zum Schlafzimmer auf, was lächerlich war, das wusste sie selbst. Aber das langsame Türöffnen gewährte ihr zusätzliche Sekunden, um sich zu sammeln.
„Hey, mein Süßer, ich bin ja da“, flüsterte sie ruhig gegen das aufgeregte Geschrei ihres Sohnes.
Koliken. Dreimonatskoliken. Diese Mistdinger dauerten keineswegs nur die ersten drei Lebensmonate. Egal, wer sich den Namen ausgedacht hatte, er war ein mieser Lügner. Wie alles am Muttersein, so dachte Anna manchmal, war dieser Name nur ein weiterer Punkt, der Hoffnung geben sollte. Hoffnung, dass alles nur eine Phase war, abgelöst von einer Phase, abgelöst von einer Phase.
Liebevoll streichelte sie dem Baby über den Kopf und hob es hoch. Augenblicklich verstummte das Geschrei und ein Schwall von Hormonen, Muttergefühlen und Babygeruch überschüttete Anna und machte sie für einen Augenblick einfach nur glücklich. Sie kuschelte ihre Nase an Japsers Wange und genoss es, wie schnell der Kleine sich beruhigte.
Einen Moment dachte sie noch an den Berg an Arbeit, der unten auf sie wartete, doch sie drückte den Gedanken schnell von sich weg, schlüpfte mit Jasper wieder unter die Decke und stillte.

Die Sonnenstrahlen fanden einen Weg durch ihre schweren Lider und weckten sie ein paar Stunden später.
„Scheiße“, fluchte Anna leise und schälte sich aus dem Bett.
Jasper atmete noch gleichmäßig, die Arme neben dem Kopf abgelegt und den süßen Milchgeruch von Säuglingen verströmend. Anna petzte die Lippen aufeinander und schlüpfte durch die Tür. Unten schüttete Ria sich gerade Müsli in eine riesige Schüssel.

‚Wenn sie nur ein Drittel weniger nehmen würde, könnte die Packung zwei Tage länger halten‘, fuhr es Anna durch den Kopf, doch sie wandte sich wortlos ihrer eiskalten Tasse Kaffee wieder zu, die noch immer auf dem Tisch stand. Mit einem angeekelten Vorwissen stellte sie die Tasse in die Mikrowelle. Diskussionen mit ihrer Schwester über deren Essgewohnheiten führten unweigerlich zu ausgeartetem Streit. Den konnte sie momentan überhaupt nicht gebrauchen. Noch dazu, dass Ria ihre Schüssel dann noch voller machte und, was sie nicht packte, einfach wegschmiss. Und, so jämmerlich das auch für sie selbst wirkte, das konnte sie sich gerade nicht leisten.
„Holst du nach der Schule bitte den Weihnachtsschmuck vom Dachboden“, fragte sie stattdessen mit betont freundlicher Stimme.
„Ernsthaft“, brummte Ria, ohne vom Müsli aufzusehen.
„Bitte“, flehte Anna und schlürfte an der Tasse, die frisch aus der Mikrowelle kam.
Natürlich verbrannte sie sich die Zunge an der widerlichen, dampfenden Brühe. Warum trank sie das Zeug überhaupt?
„Ich muss ein Referat für Gonzo vorbereiten. Der Kerl hat es auf mich abgesehen.“
„Nur weil ein Lehrer dich mal fordert, ist er noch lange kein Teufel in Menschengestalt.“
Zischend stieß Ria Luft zwischen den Zähnen raus.
„Das Problem ist nicht, dass er mich fordert, sondern dass die anderen schon gar nichts mehr mitbekommen, so Zeug tischt der uns auf.“
„Bescheidenheit, Ria, schadet auch nicht.“
„Soll ich etwa absichtlich schlechte Noten schreiben, nur damit er gewinnt.“
Der Funke des Kampfgeistes strahlte aus Rias Augen und Anna musste lächeln. Nein, Ria würde nie aufgeben, sie würde alles bis zum Ende durchstehen und keinem Kerl erlauben, ihre Intelligenz zu verbergen, nur um anderen ein angenehmeres Leben zu ermöglichen. Insgeheim war sie stolz darauf. Als ihre Eltern gestorben waren, hatte sie befürchtet, Ria zu verlieren. Nicht körperlich, aber seelisch. Die Hilflosigkeit und Angst verfolgte ihre kleine Schwester in ihre Albträume, Nacht für Nacht. Doch ihr Kampfgeist und die Selbstverständlichkeit, mit der Ria sie während der Schwangerschaft und auch jetzt mit Japser unterstützte, machte ihr Mut und Hoffnung. Noch war es nicht ausgestanden. Wenn Adam recht hatte, wenn er nicht nur Geschichten erzählt hatte, stand ihnen das eigentliche Übel erst noch bevor.
Anna schüttelte sich und schüttete den Rest des Kaffees in sich hinein. Nein, Adam hatte gesponnen. Märchen erzählt, sie verzaubern wollen. Vielleicht wollte er ihr auch nur Angst machen. Mit einer Schwangerschaft konfrontiert zu werden, konnte einem Kerl auch schon mal die Fassung verlieren lassen. Aber was er ihr hatte weißmachen wollen, war dann doch zu lächerlich gewesen. Mythische Wesen, Gefahr überall, kein Entkommen und all dieses Zeug.
„Warum willst du hier überhaupt schmücken. Wir haben weder Geld, uns was zu Weihnachten zu schenken, noch bekommen wir Gäste.“
„Es ist Jaspers erstes Weihnachten“, murmelte Anna und begriff ihre Worte erst, als sie bereits im Raum standen.
Ria schnaubte.
„Er ist noch kein halbes Jahr. Er wird sich nie daran erinnern können.“
„Aber wir werden uns daran erinnern. Und wir werden es ihm erzählen und dann wird er sich auch erinnern. So funktioniert das eben, Ria.“
„Ich hab wirklich keine Lust.“
Ruhig und gelassen stellte Anna die leere Tasse in die Spüle und drehte sich um. Zum ersten Mal an diesem Morgen sah sie Ria an. Dunkle Ringe zeichneten sich unter den Augen ab, verstärkt durch die blasse Haut. Und immer noch, das wusste sie, sah ihre Schwester um Welten besser und frischer aus, als sie selbst. Sie war spät heimgekommen und über der mitgebrachten Arbeit eingeschlafen. An ihr klebten noch die Kleider von gestern, nicht einmal die Unterwäsche hatte sie wechseln können und eigentlich müsste sie schon wieder im Auto sitzen.
„Aber ich habe Lust, Ria. Ich habe nach dem ganzen Stress und den furchtbaren Tagen, nach den Nächten, in denen wir keine Ruhe hatten und dem Schmerz, den wir noch immer mit uns tragen, nach all dem wünsche ich mir einfach nur ein normales, kitschiges, pseudobesinnliches Weihnachten. Einen Baum, bunte Kugeln, Lichterketten und Glitzer. Ich habe so sehr Lust darauf. Bitte, Süße.“
„Verdammt“, brummte Ria und stellte ihre Müslischüssel einträchtig neben die Kaffeetasse in die Spüle.‘
„Na gut, ich mach’s“.
Sie drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und ging wieder nach oben. Wenigstens frische Unterwäsche und Zähneputzen musste drin sein. Bis dahin würde Jasper auch wieder wach sein und sie konnte ihn zur Tagesmutter bringen.

Am Abend war es bereits dunkel als Anna wieder zurück kam. Sie hatte die verlorene Zeit vom Morgen aufarbeiten müssen. Ihr Kopf drückte auf ihre Schultern, stach mit seinem Gewicht in ihren Rücken und beim Aussteigen wusste sie für einen Moment nicht, wie sie den nächsten Schritt machen sollte. Schneeflocken tanzten verträumt durch die Luft, aber eine seltsame Wärme hüllte Anna ein. Sie war nicht nur bettreif, sie war bereit fürs Koma.
Ein frischer Hauch von Bergluft wehte um ihren Kopf und weckte ihre Lebensgeister sofort.
„Adam“, hauchte sie und sah sich um. Keine Fußspuren verrieten andere Menschen in der Nähe. Still und kalt lag die Einfahrt da. Anna presste die Lippen aufeinander, aber die Träne, die sich aus ihrem Augenwinkel stahl, konnte sie nicht mehr verhindern. Sie war allein. Adam war fort. Für immer. Sie hatte sich entschieden.

Mit einem tiefen Atemzug kam Anna zu Hause an. Schummriges Licht leitete sich von der Küche ins Wohnzimmer. Deckenhoch war der Baum, der dort stand. Mit winzigen, weißen Kugeln geschmückt sah er aus, wie ein beschneiter Waldbewohner. Sanftes Licht umspielte die Zweige und zauberte einen Hauch Märchen in das kleine Haus der englischen Vorstadt.
„Danke“, hauchte Anna und setzte sich auf das Sofa ab.
Für einen Moment vergaß sie die Müdigkeit, die Angst und die schmerzenden Glieder. Es war Jaspers erstes Weihnachten. Und es würde wunderschön werden.
Sie ließ lächelnd die mitgebrachten Papiere in der Tasche liegen und tänzelte die Treppe nach oben. Das heiße Wasser entfernte die Schicht an Schweiß und Babyspeichel, die sich über ihrer Haut festgesetzt hatte. Plötzlich fielen ihre Haare wieder weich und glatt, statt sich steif und schwer auf ihren Kopf zu drücken. Selbst die Luft fand leichter ihren Weg in Annas Lungen und Leichtigkeit legte sich auf ihr Gemüt. Weihnachten. Bald war Weihnachten.

Während sie sich zu ihrem Sohn legte und ihm das allabendliche zweite Abendessen gab, bei dem sie beide in den Schlaf hinüberglitten, brachte eine Gestalt an der Eingangstür noch einen Kranz an. Der Schnee hatte den Boden mit einem weichen Flaum belegt und die Luft eisig werden lassen. Für einen Moment legte der Mann seine Hand an die Tür vor ihm, die verschlossen blieb.
„Du solltest nicht hier sein“, raunte eine Stimme hinter ihm.
„Du genauso wenig“, brummte der Angesprochene und wandte sich ab. Ungewöhnlich leichtfüßig bewegte sich der stämmige Mann die Straße hinunter. Eine zweite Gestalt gesellte sich hinzu, als er die Einfahrt passierte.
„Weiß sie, dass du hier bist“, setzte der Größere hinzu.
„Nein. Aber es wird nicht mehr lange dauern, ehe sie merkt, was dir passiert ist, Adam.“
Er nickte schwer und ballte die Fäuste.
„Ich werde nicht zulassen, dass sie ihr etwas antut.“
„Ich weiß.“
„Und bist du hier, um mir zu helfen, oder um mich zu verraten.“
Der zweite schwieg einen Moment und sah zum Haus zurück.
„Weder noch“, murmelte er und seufzte kurz.
„Warum hast du das Haus geschmückt, wenn du doch nicht mitfeiern wirst“, setzte er stattdessen hinzu.
„Warum lässt du sie nicht aus den Augen, obwohl du sie nicht lieben darfst“, brummte Adam als Antwort und sein Gegenüber stoppte kurz.
„Woher …“
Adam lachte auf und klopfte seinem kleinen Bruder auf die Schulter.
„Erfahrung, Sebastian. Erfahrung und ein gebrochenes Herz.“

©Eva-Maria Obermann

Ja, nur ein kleiner Vorgeschmack, ein paar Andeutungen, vieles im Dunkel. Es soll ja auch Lust auf mehr machen. Und meine Frage heute an euch: Hat es das denn? Wie hat es euch gefallen?
Schreibt es mir und gewinnt mit etwas Glück ein Exemplar der Anthologie „Chaos Frauen und Macho Männer“ mit meiner Kurzgeschichte „Von Müttern und Großmüttern“.


Teilnahmebedingungen:
– Das Gewinnspiel läuft bis zum 26.12.2015 um 23:59 Uhr.
– Die Gewinner werden per Losverfahren ermittelt.
– Nur Teilnehmer mit Wohnsitz in der EU
– Teilnahme ab 18, oder mit Erlaubnis der Eltern
– Keine Barauszahlung des Gewinns.
– Kein Ersatz beim Verlust auf dem Postweg.
– Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
– Persönliche Daten werden nur für das Gewinnspiel verwendet und anschließend wieder gelöscht.

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3 Kommentare

  1. Huhu,

    stimmt man hat hier nichts greifbares ..nur ein paar kleine Hinweise..ich für meinen Teil empfinde das immer als interessant und spannend. Und es würde mich schon interessieren, was da im Einzelnen
    passiert mit Basti und seiner, großen möglichen Liebe…

    Allen eine frohes Fest…LG..Karin…

  2. Wow, das Gelesene ging unter die Haut…. echt spannend geschrieben und es macht neugierig auf mehr. Deine Wortwahl, der Ausdruck und der Schreibstil lassen ein flüssiges Lesen zu.
    Bin echt gespannt wie die Geschichte weitergeht…. Danke für die Leseprobe.

    Noch eine Frage:“Anna petzte die Lippen aufeinander?

    Passt hier das Wort petzte oder soll das presste heißen?

    Eine wundervollen Weihnachtsabend im Kreise deiner Lieben
    wünscht Rose

  3. Hallo zusammen,
    es hat sehr viel Spaß gemacht zu lesen und hat Lust auf mehr gemacht. Ich drücke mir die Daumen und versuche mein Glück.
    Ich wünsche euch ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest und ein paar erholsame Feiertage.
    Gruß Verena

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