Liebe Bahnfahrende,
heute morgen ist mir etwas passiert, dass mich im Nachhinein doch nachdenklich gemacht hat. Ich stieg um 8:30 mit dem Kinderwagen in Schifferstadt Süd in den Zug nach Mannheim. Natürlich ist der Zug um diese Zeit sehr voll. So auch der Abschnitt für Fahrräder, Kinderwagen und Rollstühle. Ich zählte drei Räder, die alle seperat standen. Der Rest der Sitzplätze war mit Fahrgästen besetzt, die auch mal einen Sitz zwichen einander freigelassen hatten. Den Kinderwagen musste ich deswegen mitten im Eingangsbereich stehen lassen. Um die Uhrzeit passiert das öfter, das bin ich schon gewohnt.
Da quetschte sich an Mann an mir vorbei und brummte, mit dem Zeigefinger auf die Sitzenden deutend: „Die müssen für sie aufstehen, wenn sie einen Kinderwagen haben. Das steht sogar da!“ Da hat er prinzipiell natürlich nicht Unrecht, an der Wand steht, dass die Sitzplätze für Fahrräder, Kinderwägen und Rollstühle reserviert sind.
Ich antwortete, etwas lauter als er, dass ich aber stehen bliebe, solange keiner Platz machte. Was bleibt mir denn auch anderes übrig. Ein einziger Fahrgast stand auf und fragte, ob ich mich setzten wollte. Ich dankte und meinte: „Nein, es geht ja nicht darum, ob ich sitzen kann, sondern darum, dass der Kinderwagen aus dem Weg ist.“ Und dazu reicht eben ein Sitzplatz nicht aus. Mindestens zwei , denn quer kann ich den Wagen nicht stellen. Mal abgesehen davon, dass alle Fahrgäste dann auch durch den Gang kommen, ist im Notfall die Situation so für mein Kind und auch die übrigen Leute wesentlich sicherer.
Das Erlebte reiht sich aber nur ein in viele ähnliche Situationen. Hochschwanger stand ich oft noch im Zug. Ältere Leute sehe ich immer wieder im Zug stehen. Fahrräder müssen mitten in den Gang gestellt werden, nur weil wir (ich spreche hier von den meisten Bahnreisenden und weiß wohl, dass es nicht auf alle zutrifft) zu faul und egoistisch sind, um Platz zu machen. Wo sind die Zeiten hin, da man aufstand, um zu helfen. Kleinigkeit oder? Vielleicht ist es nur noch eine Station, da kann man doch kurz stehen. Auch heute morgen bekam ich am nächsten Bahnhof mehr als genug Platz.
Wir sitzen viel zu gerne. Im Zug, in der Straßenbahn, im Auto, im Büro, auf dem Sofa. Wir sind eine Sitzkultur. Und Aufstehen für andere, ohne einene eigenen Vorteil zu wittern, haben wir oft verlernt. Wir empören uns lieber sitzend über die Ausschreitungen in der Türkei, dem abgestellten Rundfunk in Griechenland oder flugunfähige Drohnen.