Nach Howard Jakobsons Shylock ist nun der zweite Roman zum Hogarth Shakespeare Projekt erschienen. Der weite Raum der Zeit von Janette Winterson ist 2016 ebenfalls bei Knaus erschienen. übersetzt von Sabine Schwenk umfasst es 288 Seiten und erzählt Shakespeares Wintermärchen neu.
Leo ist davon überzeugt, dass seine hochschwangere Frau Mimi ihn betrügt. Noch dazu mit seinem besten Freunden, mit dem er selbst eine emotionale Vergangenheit teilt. Als die Lage eskaliert, kommt es zur Frühgeburt. Leo nutzt einen unbeobachteten Moment und lässt das Baby Perdita außer Landes schaffen, zum vermeintlichen Vater, er selbst will mit seinem Sohn ebenfalls das Land verlassen. Doch alles geht schief. Jahre später trifft Perdita, die von einem Witwer großgezogen wurde, auf einen jungen Mann und verliebt sich. Der ist aber ausgerechnet der Sohn von Leos damaligem besten Freund. Zusammen machen sie sich auf, herauszufinden, wo Perdita herkommt und was mit ihren Eltern geschehen ist.
Janettes Wintersons Sprache ist wundervoll. Sie lässt den Leser eintauchen in die Geschichte und widmet sich den Figuren sorgfältig. Sehr gut gefallen hat mir die emotionale Hintergrundgeschichte. Die Päckchen, Schuldgefühle, Antriebe, werden so nicht nur in die moderne Zeit geholt, sondern erfahren auch eine neue Tiefe und Stärke. Die Fäden, die sich zwischen den Figuren spannen, die Feinheiten, die der Geschichte wirklich viel geben, haben mich sehr fasziniert.
Interessant fand ich auch, wie Perdita mit dem Aspekt ihrer ungewissen Herkunft umgeht. Sie such nicht etwa ihre Eltern, sondern versteht in ihrem Ziehvater ihren Vater, sondern den Teil ihrer Identität, der ihr von Geburt aus gegeben war. Die Verbindungen zwischen ihr und ihren Eltern, die bestehen, bevor Perdita um sie weiß, finde ich sehr schön gezeigt. Gerade die Affinität zur Musik, die bei Mutter und Tochter vorhanden ist, wird geradezu motivisch verwendet.
Das große Drama der Geschichte passiert etwa zu der Hälfte. Dass das Buch dann nicht aufhört, sondern sich mit dem danach beschäftigt, ist eine Besonderheit, die Shakespeare auch vielen heutigen Autoren immer noch voraushat. Die Spannungsspitze nicht als Ultimo sehen und dann strikt zum Ende kommen, sondern Raum für die Auflösung lassen.
Raum hat in dem Buch nicht nur die Zeit, die Leitmotiv ist und auf mehreren Ebenen, nicht zuletzt durch die zeitlichen Sprünge in der Handlung, essentiell ist, sondern auch Engel und ihre Flügel. Die Frage, wer fliegt, wer fällt und wer am Boden bleiben muss, zieht sich durch die Charaktere, die stetig umeinander kreisen. Eine wundervolle Umsetzung, die die großartige Vorlage weiterführt, ihr Tiefe gibt und Handlung sowie Figuren mehr Raum lässt.