Ich habe gezögert, noch einen Beitrag für Blogger für Flüchtlinge zu verfassen. Die Aktion hat in Windeseile ein breites Medienecho erfahren, ich wollte auf keinen rasenden Zug aufspringen, nur weil er fährt. Denn es geht hier nicht um Reichweiten oder Klicks, um „Daumen hoch“’s oder kleine Sternchen. Und genau deswegen schreibe ich jetzt doch noch mal etwas. Weil es eben nicht um mich geht, oder meinen Blog oder einen schnell fahrenden Medienzug. Es geht um Menschen.
Ich habe Glück. Nicht nur, weil ich ein Dach über dem Kopf habe, Essen im Kühlschrank und einen Rechner, auf dem ich das hier tippen kann. Ich habe nicht nur Glück, weil meine Kinder heute sicher in ihren Betten liegen, statt auf einer menschenunwürdigen Überfahrt übers Meer (fast) zu ertrinken, wie die Kleinen, deren leblose Körper ich heute morgen auf Facebook präsentiert bekam (mir ist jetzt noch schlecht). Ich muss nicht mit ihnen in einem stickigen LKW sitzen, unter Stracheldraht kriechen, mit nicht bei mir außer den dreckigen, kaputten Klamotten an meinem verschwitzen, staubigen Leib, ohne den leisesten Schimmer wo ich morgen sein werde, wie ich morgen sein werde, ob ich morgen sein werde. Ich muss mit meinen drei Kleinen nicht in ein fremdes Land, dessen Sprache ich nicht spreche, dessen Kultur ich nicht verstehe, dessen Leben mir so fremd ist, weil meine Heimat nicht zerbombt ist, weil ich nicht verfolgt werde, weil irgendein Schicksalsgeist bestimmt hat, mich hier zur Welt kommen zu lassen. Nicht nur in einem Rechts- und Sozialstaat, dessen großer Krieg hinter ihm liegt. Sondern auch in einer Ecke des Landes, wo nicht hunderte stillschweigend, nickend, schauend mitmarschieren, während zwanzig Parolen brüllen, die für mich in dunkle Geschichtsbücher gehören. Das alles ist für ich irgendwie weit weg. Und täglich präsent.
Im Juli schrieb ich darüber bereits auf Face2Face, ja schon im Februar habe ich darauf verwiesen, als es eigentlich darum ging, den Nationalsozialismus achtzig Jahre hinter uns gelassen zu haben. (ihr seht, ich mache nicht erst jetzt den Mund auf, sondern nochmal, weil es wichtig ist, weil das Problem wächst, weil ich das nicht einsehen, dulden, verstehen kann)
Und jetzt also gibt es Blogger für Flüchtlinge. Die Aktion soll Blogger aller Art auf die Flüchtlingsdebatte aufmerksam machen und bittet sie, Stellung zu beziehen, ihre Leser aufzurütteln, den Medialen Aufschrei zu vollbringen, der zeigt: „Wir laufen da nicht mit, wir wehren uns, jetzt schon, ehe es zu spät ist. Wir sind gegen brennende Flüchtlingsheime und für die Hilfe, die unser Staat und all die freiwilligen Helfer den bei uns Gestrandeten entgegenbringen“. Es ist ein riesiger Unterschied, mit der Situation unzufrieden zu sein, die Verteilung der Flüchtlinge auf die verschiedenen Länder zu kritisieren, ein staatliches, finanzielles oder globales Problem anzuprangern und mit Menschen zu marschieren, die Steine auf Geflüchtete werfen, ihre Zufluchtsstätten anzünden und ihnen Hassparolen entgegenbrüllen. Wer bei einem Autounfall einfach weiterfährt, macht sich strafbar. Diese Menschen wurden von dem Krieg in ihrem Land überfahren. Es ist unsere Pflicht, anzuhalten und zu helfen. Sie sind nicht alle unschuldig, wie wir nicht alle schuldig sind. Das macht keinen Unterschied. Es ist unsere Pflicht, denn die Unschuldigen, die Geflüchteten, die, deren letzte Hoffnung wir sind, haben diesen Strohhalm verdient. Das ist meine Überzeugung.
Wir leben im Luxus. Ja, auch in Deutschland gibt es Armut. Aber viele, die sich für „arm“ halten, sind es nicht. Sie vergleichen sich nur immer mit dem, der mehr hat. Vergessen wir nicht, dass viele Flüchtlinge nichts mehr haben, nicht einmal mehr eine Heimat. Ich wurde gefragt, ob der Arbeitslose im Luxus lebt, als ich einen Blogbeitrag zur Debatte geteilt habe. Ja, tut er, in unserem Land schon. Denn er wird unterstützt. Er bekommt Geld. Er kann nicht in Saus und Braus lesen, sich vieles nicht leisten, muss sparen und Einschränkungen hinnehmen. Aber das ist verdammt viel Luxus für jemanden, der nichts hat. Das ist Jammern auf hohem Niveau. Meine Mutter war alleinerziehend. Ich weiß, was es bedeutet, jeden Cent dreimal umzudrehen. Auch ich muss gut überlegen, wo ich wieviel Geld lasse. Das ist kein Grund. Das ist eine Ausrede. Eine faule noch dazu.
Auch wenn bei euch kein Flüchtlingsheim belagert wird, ihr keine Zeit zum freiwilligen Helfen habt und kein Geld zum Spenden, könnt ihr helfen. Vielleicht habt ihr Handtücher, Bettdecken, Kleider, Bücher oder andere Dinge, die ihr nicht mehr braucht. Spendet sie. Einem Heim in eurer Nähe, da reicht ein Blick in die Suchmaschine. Dem roten Kreuz, denn das verteilt natürlich auch – und nicht nur an Flüchtlinge. Oder steht wenigstens auf und sagt, dass es so nicht geht. Dass Gewalt keine Lösung ist. Dass Mitlaufen wie Mitmachen ist und Schweigen wie Mitlaufen. Enttäusch mich nicht, liebes Deutschland. Ich habe meinen Kindern gesagt, diese Zeit sei vorbei, alle Menschen sind gleich und uns gegenseitig zu helfen ein Zeichen von Menschlichkeit und Menschenwürde. So habe ich es gelernt. Und ich bin dankbar für Blogger für Flüchtlinge, dass sie so denken wie ich und so viele mobilisieren, die das gleiche sagen. Nein zur Gewalt, nein zu Nazi-Parolen, ja zum Leben.