Autorität ist, wenn die Kinder durchgreifen – Peter Unfried (20.12)

Ich darf mir als Mutter ja gerne mal anhören, dass ich zu inkonsequent und einfach nicht autoritär genug wäre. Muss sich wohl jede Mutter und auch jeder Vater immer mal wieder gefallen lassen. „Bei dir darf das Kind ja alles“, heißt es dann oder „die kann ja nie ‚Nein‘ sagen“. In den meisten Fällen ist das Humbug. Außenstehende haben nie eine Ahnung, wie oft Eltern ihrem Kind irgendein Wort sagen und seit mein Mann mir eines Abends gesagt hat „sei doch nicht so verdammt konsequent“, nehm‘ ich auch seine Ratschläge in der Richtung eher mit einem Lächeln, als dass ich mich davon unter Druck setzten lasse. Wer meinen Sohn kennt, weiß, dass ich das auch echt nicht nötig habe.

Dennoch spielt das Thema „Autorität“ unter Eltern immer eine große Rolle. Darum habe ich nicht gezögert, als bei Blogg dein Buch Autorität ist, wenn die Kinder durchgreifen angeboten wurde und mich riesig gefreut, als der Ludwig Verlag meinen Blogg ausgesucht hat.

In Autorität ist, wenn die Kinder durchgreifen erzählt Peter Unfried vom Leben mit seiner Familie, oder lässt zumindest einen Erzähler aus dem Leben mit dessen Familie erzählen. Penelope und Adorno heißen die zwei Kinder, die laut Buchtitel wohl durchgreifen. Ein paar Namen, die nicht nur selten gewählt werden, sondern vielleicht auch gerade deswegen hängenbleiben. Darum wirken die zwei auch so typisch untypisch. Typisch, besser gesagt stereotypisch ist, dass Adorno auf Fußball steht und Penelope auf Modells. In unserer Zeit ist es auch nicht mehr untypisch, dass die beiden konsequente Vegetarier sind, untypisch ist hier höchstens, dass die Eltern sich ganz gerne mal ein Schnitzel genehmigen. Und aus geschwisterlicher Erfahrung wage ich zu behaupten, dass auch der kleine Krieg zwischen den beiden typisch ist. Er will, was sie nicht will, und umgekehrt. Außer, es ist wichtig, wie beim Vegetarismus oder dem Pool im Urlaub.

Doch die Geschichten gehen weit über die Charakterisierung der Geschwister hinaus. Die schwäbische Herkunft der Eltern wird thematisiert, wie sie dem dörfischen Nest entkommen und in Berlin landen, nur um festzustellen, dass ihre Kinder doch wieder in traditionelle Denkmuster verfallen, beispielsweise was Ehe und Familie angeht. Auch die Gesellschaft und ihr Erfolgsdruck wird angesprochen. Beispielsweise in Form des Muster-Nachbars, dessen Sohn sich vor zusätzlichen Aktivitäten nicht retten kann. Es geht um Geld, Klima, Kleidung, Ansehen, Essen, … Jeder Bereich, der uns so alltäglich begegnet, den wir schon kaum noch hinterfragen und als gegeben hinnehmen wird, wird aufgegriffen. Generationenkonflikt (der Großvater der vegetarischen Kinder ist ausgerechnet Metzgermeister), Umweltkonflikt (als Bruder/Onkel gibt es einen Superökö) und natürlich Beziehungskonflikt (die Mutter der Kinder heißt schlicht die Macht).

Eigentlich kann jeder in Autorität ist, wenn die Kinder durchgreifen auf seine Kosten kommen. Mit Witz und Ironie schreibt Peter Unfried von Vorstellungen und was daraus wurde. Dass die Kinder dennoch oft Hauptthema sind, lässt sich in einer Familie nicht vermeiden, macht das Buch aber für Kinderlose und alle, die es auch bleiben wollen, nicht ganz so ideal. Ich glaube zwar, auch die hätten ihren Spaß, doch gleichzeitig denke ich, nur ein Bruchteil würde sich durchringen, das Buch packen und dann entdecken, dass Witz und Wahrheit eben nahe beieinander liegen. Für alle, die Kinder zwischen 10 und 18 haben ist das Buch dagegen geradezu wie gemacht. Der Tag wird kommen, an dem auch ich meinen Sohn nicht mehr verstehen werde und mich frage, wie zum Teufel er auf solche Gedanken kommt. Ich denke, Eltern, deren Kinder selbst noch so typisch untypisch sind, können sich am besten wiederfinden, noch etwas herzhafter lachen und manchmal vielleicht auch nur wissend nicken. All diejenigen, deren Nachkommen schon über dem Damm sind, können amüsiert zurückblicken und sich erinnern, „bei uns war das damals so und so“. Menschen wie ich, deren Kinder noch mehr oder weniger weit entfernt davon sind, dass sie die Autorität ergreifen (nicht, dass er es nicht gerne jetzt schon würde) finden auch ihren Spaß an den Geschichten. Zum einen kann ich mich noch gut an meine eigene Zeit in diesen Jahren erinnern und nun darüber amüsiert resümieren. Zum anderen weiß ich, der Tag wird kommen, und so kann ich ihn vielleicht mit etwas mehr Gelassenheit nehmen, denn kommen wird er sowieso.

Am schönsten fand ich die Sprache des Buches. Peter Unfried taucht manchmal ein in die Sprache der Kinder, der Ausdruck „hobbylos“, den Adorno praktisch dauernd von sich gibt, nimmt der Leser schon nach den ersten Seiten auf und ertappt sich schnell dabei, das neu gelernte Adjektiv auch aktiv ein zu setzten. Außerdem wirken die Geschichten so lebensnah. Der schwäbische Dialekt tauch auch hin und wieder auf, ab und an sogar mit Übersetzung ins Hochdeutsche. Kurz: Die deutsche Sprache zeigt hier mal wieder, welche Vielfalt in ihr steckt, und auch, wie neue Anglizismen durch Kindermund alltäglich werden. „rich“ beispielweise, als würde „reich“ nicht reichen.

Leicht und locker liest sich der Text, thematisch eingeteilt in knackige Kapitel. Aus dem Schmunzeln kommt man selten raus. Dabei ist Autorität ist, wenn die Kinder durchgreifen keine Jammergeschichte von Eltern, die mit ihrem Nachwuchs nicht mehr zurecht kommen. Es ist eher die wachsende Erkenntnis, dass Eltern erkennen müssen, dass sie auch nur Menschen sind; dass Kinder erkennen müssen, dass ihre Eltern auch nur Menschen sind und dass Eltern erkennen müssen, dass auch ihre Kinder Menschen sind und selbständig denken, handeln und erkennen. Die Eltern sind nicht etwa Anti-Autoritäten, viel mehr macht die Macht, der Vater (Pu) denkt und redet und beide treffen Entscheidungen und greifen durch. Eltern eben, ganz normale Eltern. Typisch untypisch. Wie die Kinder.

Autorität ist, wenn die Kinder durchgreifen kann ich wärmstens empfehlen. Mir hat es zwischen zwei Prüfungen wirklich gut getan, mal etwas Einfaches zu lesen, das mich amüsiert aber nicht unterfordert. Es steckt viel drinnen in Peter Unfrieds Buch, vielleicht mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Gerade das macht es so wertvoll. Für Eltern mit großen und kleinen Kinder, für baldige Eltern und alle, die es nie werden wollen. Vielleicht auch noch für alle anderen.

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