Tintenblut – Cornelia Funke

Seit ich Tintenherz von Cornelia Funke gelesen hatte, war ich gespannt wie ein Flitzebogen, wie es mit Maggie, Mo, Farid und Staubfinger weitergeht. Nun habe ich Tintenblut beendet, stolze 729 Seiten, erschienen 2005 bei Dressler (gehört zu en_009783791504674_200).

Staubfinger hat endlich jemanden gefunden, der ihn wieder ins seine Geschichte zurücklesen kann. Orpheus, ein eingebildeter Kerl. Anders wie abgesprochen, lässt er Farid nicht in die Tintenwelt. In seiner Verzweiflung sucht der Junge nach Meggie und Mo. Meggie ist von der Vorstellung, in die erzählte Welt zu reisen, wie besessen, ganz anders als Mo, der ihr am liebsten alles, was mit der unsäglichen Geschichte zu tun hat, verbieten möchte. Also liest Maggie nicht nur Farid, sondern auch sich selbst ins Buch – mit dem Wissen dort Fenoglio zu treffen, den Autor. Doch Orpheus taucht mit Basta und Mortola bei Mo und Resa auf und liest alle ins Buch – nur sich selbst vermag er nicht zwischen die Seiten zu lesen. Während er Elinors Bücher zerliest, muss Resa um Mo bangen, den Mortola angeschossen hat und Meggie und Fenoglio versuchen verzweifelt, wieder die Kontrolle über die Geschichte zu bekommen.

Neue Umstände

Die Zustände haben sich um 180° gedreht. Staubfinger ist wieder zu Hause, dafür kommen Farid, Meggie, Mo und Resa in die Tintenwelt. Dort ist es im Vergleich wesentlich gefährlicher. Mo liegt im Sterben und der Natternkopf, ein tyrannischer Fürst, will auch das friedliche Ombra unter seiner Gewalt wissen. Ein regelrecht klassisch fantastischer Rahmen mit allerlei Sagengestalten. Doch allem verleiht noch immer die Kraft der Worte Leben. Fenoglios Geschichten werden hier schneller und kraftvoller lebendig, sobald Meggie sie liest. Gleichzeitig spüren die Figuren diese Veränderung auch direkter.

Tintenblut spielt direkt auf den Kontrast zwischen Herrschern und Lesern an. Während die Geschichten direkt erst einmal für das einfache Volk sind, hüten die Herrscher Chroniken und Erzählungen ihrer eigenen Taten. Die Selbstreferenz lässt sie den Bick für ihr Volk verlieren. Sehr faszinierend ist hierbei die Figur des Doppelgängers von Cosimo, dessen Inneres leer ist und mit Geschichten gefüllt werden muss. Die Bedeutung von Geschichten per se – nicht zwangsläufig mit dem geschriebenen Wort hier gleichzusetzten – ist also immens. Verdeutlicht wird das noch durch den Ehrgeiz des Dichters, „seine“ Geschichte wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Kraft der Worte

cropped-cropped-Logo-Buchblog2-1.jpgEin weitere interessanter Punkt ist der Bezug zwischen Unsterblichkeit und Geschichte(n) beziehungsweise Büchern, aber auch zu Darstellungen und Skulpturen. Geschichten bieten an, über dem Tod zu stehen, aber Roxane – Staubfingers zurückgelassene Geliebte – zeigt deutlich, dass sie nur Hoffnung schüren, wo keine ist. Dass ausgerechnet er dann wiederum eine Geschichte wahrmacht, um ein Geschehen zu ändern, ist das Gegenbeispiel der These. Irgendwo zwischen der Macht, Geschichten wahr zu machen und der Resignation, dass sie nie so sind und werden, wie wir geglaubt haben, pendelt sich Tintenblut ein. Hier der Dichter, dort die Entwicklung seiner Geschichte, hier der Verlust, dort die Hoffnung.

Aus Autorsicht ist es natürlich faszinierend, wie leicht doch Fenoglio sein Werk entgleitet. Immer wieder erzählen wir Autoren, dass unser Figuren eigene Wege gehen und die Handlung sich in eine Richtung entwickelt, die wir eigentlich nicht vorgesehen hatten. Cornelia Funke zeigt hier offen und deutlich, wie der Dichter sich dabei fühlt.

Offene Stränge

Schön finde ich, die sich anbahnende Beziehung zwischen Farid und Meggie, die so ganz ohne die typisch überspitzte Sehnsucht auskommt und darum umso klarer und glaubwürdiger ist. Auch die große Zerrissenheit zwischen der Faszination für das Fremde und Magische und der Angst vor den schrecklichen Gefahren, die die Tintenwelt erfüllen, ist großartig dargestellt. So wird die Tintenwelt zum Symbol für das Fremde an sich.

Eines allerdings hat Tintenblut, was es eindeutig als Teil einer Reihe auszeichnet: ein lückenhaftes, wenn nicht sogar offenes Ende. Schließt sich in Tintenherz noch der Rahmen der Handlung nahezu komplett, ist hier fast alles offen und die Intention der weiteren Handlung liegt bereits vor dem Leser.

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