Dank der Ambitionen von Lovelybooks, englischsprachige Literatur lesen zu lassen, bin ich an Emma Clines The Girls gekommen, frisch erschienen im Juni bei Chatto & Windus (Random House UK). 368 Seiten in der Taschenbuchausgabe. Die junge Autorin und Journalistin hat damit ihren ersten Roman veröffentlicht.
Evie ist im letzten Sommer ihrer Kindheit, danach soll sie auf ein Internat gehen, lernen, angepasst sein. Während ihre Mutter nach der Scheidung vom Vater sich selbst sucht und in neue Beziehungen stürzt, streitet Evie sich mit ihrer besten und einzigen Freundin und steht plötzlich alleine da. In dem Moment trifft sie „The Girls“. Freche, etwas schlampig aussehende junge Frauen, angeführt von Suzanne, die Evie vom ersten Moment an fasziniert. Angezogen von dem Gemeinschaftsgefühl, dass die Mädchen ausstrahlen und der Suche nach Halt geht Evie mit Suzanne und den anderen auf eine Farm, wo alles ein bisschen anders ist und Russel göttergleich alle zu faszinieren scheint.
Das Thema ist erschreckend packend. Bereits zu Beginn der Geschichte wird klar, dass „the farm“ keine einfache Kommune ist, sondern Schreckliches daraus entstanden ist. Da die Handlung von Evies letztem Sommer in den Rahmen einer Erinnerung aus der Gegenwart heraus gepackt ist, weiß der Leser, bevor es in der Handlung soweit ist, das es zum Moment grausamer Brutalität kommt. Die erwachsene Evie blickt ernüchtert und geschockt, und dennoch wehmütig auf die Zeit mit Suzanne zurück.
Dadurch gerät der Rückblick nicht in die Gefahr der Idealisierung. Viel eher analysiert Evie sich im Rückblick selbst, ohne Ausreden für ihre Hinwendung zur Gefahr zu suchen. Damals wie heute scheint sie eine verlorene Gestalt der Gesellschaft, die keinen Ort kennt. Inwieweit sie von den Geschehnissen ihrer Vergangenheit traumatisiert ist, bleibt Spekulation des Lesers. Allein das Ende zeigt, wie sehr Evie nun in jeder Gestalt, die ihren Weg kreuzt, das Böse vermutet. So klarsichtig dies in manchen Momenten erscheint, so pathologisch wirkt es in anderen.
Die Farm und ihre Mitglieder sind an die Manson Family angelehnt und so hat der Roman sehr reale Bezüge. Evie als Figur, die mittendrin und doch irgendwie außen vor war, sieht sich zwischen Schuldgefühlen und der Erleichterung, im richtigen Moment nicht dabei gewesen zu sein, gefangen. Denn eines zeigt der Roman eindrucksvoll: die Blendung einer solchen Gemeinschaft ist allumfassen und verzerrt die Wirklichkeit grotesk. Wo andere Anarchie sehen, glaubt Evie an Freiheit. Wo Fremde Verwahrlosung sehen, sieht sie Natürlichkeit. Und wo Beobachter das Böse erkennen, hat Evie nur Augen für den Halt, den Suzanne und die Farm ihr geben.
The Girls ist ein Buch über die Suche nach dem Selbst, über das Erwachsenwerden samt Defloration, über geschickt gezogene Fäden, die die so durchschnittliche Figur von Evie als Platzhalter für jeden anderen Menschen inszeniert. Während das grauenhafte Ergebnis der Farm deutlich als falsch und negativ zu erkennen ist, bleibt das Gefühl nicht aus, dass Evie bei Suzanne zumindest zeitweise gefunden hat, was sie gesucht hat. Dass sie hierbei nur eine Randfigur bleibt und ihre ganze Existenz immer wieder von den Entscheidungen anderer abhängt, ist nur bezeichnend für das Bild der Gesellschaft, das der Roman vermittelt. Für die Vorstellung von Kindern und Frauen, die sich ebenso bei Evies Freundin Connie zeigt. Oder bei ihrer Mutter, die sich statt nach der Tochter nach ihren Beziehungen richtet. Und selbst noch bei Sasha, der jungen Frau, die Evie in der Gegenwart trifft. Sie begibt sich blauäugig in ein unnötiges Abhängigkeitsverhältnis zu einem jungen Mann.
Gerade hier zeigt sich die Stärke des Romans, der keine Heldin kennt, aber Menschen. Eindrucksvoll und packend, erschreckend und gesellschaftsgetreu.