Ronja von Rönne – Wir kommen (Hörbuch)

Da ich das gute Wetter vor allem damit verbracht habe, meinem Jüngsten Hilfestellung beim Rutschen zu leisten und es da meine Lesezeit ziemlich beschränkt war, habe ich mich mal wieder für ein Hörbuch entschieden. Exklusiv bei audible gibt es Ronja von Rönnes Wir kommen. Als ich gesehen habe, dass die Autorin selbst liest, war meine Entscheidung schnell gefällt. 3 Stunden und 49 Minuten braucht sie für die 209 Seiten der gebundenen Ausgabe (Aufbau Verlag).

Wir kommen HörbuchIch-Erzählerin Nora schreibt ein Tagebuch und erzählt darin von ihrer Viererbeziehung mit Leonie, Karl und Jonas, Leonies schweigender Tochter Emma-Lou, einer Schildkröte und von Maja. Die am Anfang scheinbar sinnlos zusammen gefügten Berichte über die Schulfreundin Maja, auf deren Beerdigung Nora eingeladen ist, und das Entstehen und Kriseln in der Vierer-Liebesbeziehung, potenzieren sich gegenseitig. Die Gruppe fährt ans Meer und damit auch räumlich zurück zum Ort ihrer Kindheit, während auch die Kindheitserinnerung eine Viererkonstellation offenbart. Und beide Erzählstränge, beide Gruppen, laufen auf ein zerstörerisches Ende hinaus.

Der gekonnte Aufbau der Handlung, die durch Kleinigkeiten, die große Kreise schwingen, dominiert wird, hin zu einem zusammenhängenden Etwas, das maßgeblich Noras Leben beeinflusst, finde ich genial. Ein Grund, warum ich gleich nach dem letzten Ton das Hörbuch noch einmal von vorne angefangen habe: Bereits ab dem ersten Satz steckt so viel in und zwischen den Zeilen, dass Wir kommen durch mehrmaliges Lesen (oder Hören) an Bedeutung gewinnt. Die Bezüge entwickeln sich im Laufe der Geschichte und gleichzeitig schließt der Roman mit einem Verweis zum Anfang. Da steckt viel dahinter und diese Details begeistern mich einfach.

Die Form des Buches an sich, als Tagebuch auf Anraten eines Psychiaters, belegt schon den psychoanalytischen Charakter des Buches. Nora ist immer mal wieder reflexiv und durchschaut sich selbst im Grunde schon ehe sie handelt. Auch die anderen Figuren tragen ihr Päckchen mit sich herum, auch wenn diese erst am Ende vollständig zu erkennen sind. Niemand hat keine Probleme und gleichzeitig sind unsere Probleme im Grunde banal, eine stetige Schleife des Immergleichen, Lebenstristesse. Grandios eingefangen und mit dem Wunsch, eben doch Mehr zu sein zum Kern dessen gebracht, was Menschsein ausmacht, auch wenn es hier natürlich in die Extreme geht.

Grandios auch Ronja von Rönne als Sprecherin. Mit einer angenehmen Schnelligkeit und viel Bewegung in der Stimme setzt sie als Autorin die Betonungen wahrscheinlich anders, als es ein „fremder“ Sprecher getan hätte. Beschleunigungen, das Spiel mit der Lautstärke, Pausen, alles an sich schon ein Kunstwerk des Übermittelns. Eine unverkennbare Wut auf das Leben und seine Hürden, auf alles, was nicht so klappt, wie Nora es gerne hätte, schwingt mit – eine Wut auf sich selbst. Und auch das Suchende sticht aus der Stimmer heraus, eine leise Hoffnung auf Irgendwas, Hauptsache Etwas. Dass Ronja von Rönne in dieses Generationengefühl noch die Langweile des Alltags legen kann und das Hörbuch so zu einem wirklichen Erlebnis macht, begeistert mich auch beim zweiten Durchgang.

Wir kommen hat gerade durch seine bodenständigen Themen Alltagswert, so abgehoben die Handlung auch manchmal wirkt. Ich kann es nur empfehlen, auch wenn es mit Sicherheit nichts für jede*n Leser*in ist.

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