An Pubertät war erst der Vorwaschgang. Wie junge Menschen erwachsen werden und ihren Platz im Leben finden vom Diplompsychologen Claus Koch habe ich ganz schön geknabbert. Bekommen habe ich das Sachbuch über das Bloggerportal. Mein ganzes Lesesoll ist dadurch ins Wanken geraten. Vielleicht hatte ich mir einfach zu viel versprochen. Die 255 Seiten, die im Gütersloher Verlagshaus dieses Jahr erschienen sind wollen eigentlich einen Blick auf die Altersgruppe 20-30 zu werfen, was mich sehr interessiert hat. Außerdem habe ich mich auf das Buch des ehemaligen Verlagsleiters im Bereich Sachbuch und Elternratgeber bei Beltz einfach gefreut.
Im Grunde bringt der Autor am Anfang auf den Punkt, was ich mir auch schon lange überlegt habe. Mit 20 (oder 18) ist der Mensch heute noch lange nicht erwachsen. Jetzt steht die Festigung an, die großen Entscheidungen, die das Leben für immer prägen. Ausbildung oder Studium, Hochzeit oder alleine bleiben (oder etwas dazwischen und wenn doch, mit wem?), Kinder oder lieber nicht, Karriere und wenn ja wo? Auch von außen wird der noch so wankelmütige „Twentysomething“ nicht als „erwachsen“ angesehen (MEINE ERFAHRUNG). Und über allem schwebt laut Koch der Wunsch, der Kindheit nicht entfliehen zu müssen.
Empirik
So gelungen der Ansatz in meinen Augen ist und so wichtig die Debatte, schwirrt Koch dann um den heißen Brei herum. Mit viel Empirik versucht er zu Beginn den „Zwanzigern“ des Lebens auf die Schliche zu kommen. Einzelne Zitate werden eingebracht, aber oft nur absatzweise auf die Personen dahinter eingegangen. Schlagwortartig fallen hier Behauptungen, die ja von Menschen im besprochenen Altersabschnitt stammen und deswegen als Tatsachen angeführt werden. So nützlich die Empirik gerade in Verhaltensforschung ist, so ungenügend bleibt sie hier, schon allein, weil große Interviews fehlen. So ganz wurde mir auch nicht klar, wo Koch die jeweiligen Aussagen herhat. Und dass er später eine 15-jährige dazu ruft, macht es nicht besser. Die Sicht zur Pubertät verschwimmt und die Frage, wo denn jetzt die eigentliche Aussage ist, kommt auf.
Kein Kind – Noch nicht erwachsen
Nach dem ersten empirischen Blick, versucht der Autor festzuhalten, wie die IST-Situation betrachtet werden muss. Die Probleme des „Erwachsenwerdens“ und die Unterschiede zur Zeit als Jugendliche*r werden aufgegriffen. Hier finde ich durchaus gelungen, welche Schritte und Differenzen zur Pubertät aufgeführt werden. Von der allzu romantisch verklärten Liebe zur Beziehung auf Lebenszeit, von der ICH-Perspektive hin zur Verantwortung für andere. Was etwas auf der Strecke bleibt, ist die Vielzahlt der Lebensentwürfe. Die wird zwar als zusätzliche Problem aufgeführt, in der „Regelkonstellation“ aber nicht berücksichtigt. Da geht es dann doch sehr geordnet zu.
Neben Schule und Bildung werden die Eltern, allen voran die Mutter, als Gründe für das Defizit der jetzigen Erwachsenengeneration angeführt. Diese Sicht ist für mich einfach zu kurz. Die Kinder der sogenannten Helikopter-Eltern sind bisher kaum jenseits der 20 gelandet und der historische Blick ist stark verzerrt. Der große Umsturz, den die 68er durch ihre Suche nach Freiheit angezettelt haben, in der sie sich gerade auch gegen das „Erwachsensein“ nach Jahreszahlen ausgesprochen haben und den Fokus dessen, was Erwachsen überhaupt ist ganz neu gesetzt haben, fehlt. Auch werden die strengen Regeln älterer Generationen, die gar keine Wahlmöglichkeiten hatten und sich schlicht den Regeln ergeben mussten, geradezu als Ideal verkitscht, nur um an einer anderen Stelle wieder auf die Bedeutung der individuellen Wünsche aufmerksam zu machen, die durch die Möglichkeiten heute gar nicht mehr fokussiert werden könnten.
Peter und der kleine Prinz
Schließlich führt Koch mit dem Peter Pan Syndrom eine psychologische Komponente ein. Statt diese aber direkt auf die Altersgruppe zu beziehen, analysiert er die literarische Vorlage genau. Für mich sehr interessant, gerade im Hinblick auf die Mutterfiguren. Vielen Dank dafür! Dass es die Debatte, die das Buch anstoßen will, voranbringt, glaube ich indes weniger. Die Verbindung wird schlicht nicht aufgeführt. Liegt es etwa an einer fehlenden Zuwendung, dass junge Menschen zwischen 20-30 angeblich nicht erwachsen werden wollen? Diese Frage bietet sich nach Kochs Ausführungen zu Peter Pan eigentlich an, wird so aber nie gestellt. Dass dann mit dem kleinen Prinzen von Saint-Exupéry ein Gegenentwurf gezeichnet wird, ist auch wieder literarische interessant, bleibt aber unvollständig durchexerziert.
Die folgenden Auswirkungen zum Erwachsenwerden lesen sich dann eher wie Elternratgeber. Die Entwicklung des Kindes, die Rolle des Umfelds, pubertäre Einwirkungen, das alles wird angesprochen, liest sich interessant und mag Eltern, deren Kinder noch am Anfang der Pubertät stehen, bestimmt helfen. Das Thema eines Buches, dass sich mit dem Erwachsenwerden der jungen Menschen ab 20 befasst ist damit aber leider wieder verfehlt. Ansatz gut, Ausführung mangelhaft.
Haha, interessant und amüsant. Ich gehöre ja auch den 20-something, wobei sich das Ganze in letzter Zeit langsam der „gefährlichen“ 30 annähert. Seit die Zahl näher an der 30, statt an der 20 ist, fühle ich mich leicht unwohl 😀
Aber so ganz verstehe ich meine eigene Generation nicht. Wo ist denn das Problem mit dem Erwachsen werden? Ich bin mit 18 in ein anderes Land gezogen und habe mit 22 geheiratet. Und ich hätte genauso gut mit 16 einen Haushalt in einem anderen Land führen können und hätte genauso gut auch mit 18 heiraten können. Das hätte alles keinen Unterschied gemacht. Ich habe mir mein komplettes Studium ohne Bafög und Eltern finanziert und wäre nie auf die Idee gekommen, etwas anders zu machen.
Und wenn sich dann auf Arbeit meine Generation über Probleme unterhält, die ich zu letzt mit 15 Jahren hatte, denke ich mir auch, ich bin im falschen Film 😀 Ich denke diese Unselbständigkeit liegt daran, dass die alle auch nichts gewöhnt sind. Wenn man im jungen Alter ins kalte Wasser springt, dann lernt man auch schnell das Schwimmen, metaphorisch gesagt. Und wenn man den Absprung in das eigene Leben hinauszögert, dann springt man vielleicht nie.
Liebe Grüße Anja
Da hast du Recht liebe Anja. Mir geht es ähnlich. Nächstes Jahr werde ich 30, bin seit 4 Jahren verheiratet, mein Ältester ist 8 und das Eigenheim haben wir auch. Auf solche „Exemplare“ der Generation Y geht der Autor aber gar nicht ein. Und eine Antwort auf das „Warum“ habe ich leider auch nicht so recht gefunden.