Letztes Jahr schon habe ich Marilyn und ich von Ji-Min Lee gelesen, ein Roman, der 1954 in Korea spielt. Danke an Netgalley und den Verlag Harper Collins für mein Exemplar. Es war eindrucksvoll und bewegt mich noch heute.
CN: Suizid, Ableismus, Krieg, Trauma
Alice statt Marilyn
Alica hat ihren koreanischen Namen abgelegt, der sie an das erinnert, was sie durchgemacht hat. Nach traumatischen Kriegserlebnissen arbeitet sie nun als Übersetzerin für die Amerikaner. Als sie zur Dolmetscherin für Marilyn Monroe beordert wird, ist sie anders als alle anderen um sie herum, wenig begeistert. Sie ist kein Fan und kann die berühmte Schauspielerin darum auch anders wahrnehmen als alle, die sie glorifizieren.
Tatsächlich aber ist Alice Treffen auf Marilyn nur ein Teil des komplexen Romans. Die beiden Frauen verbindet eine Leere im Leben, die sie nicht füllen können. Die Suizidgefahr schwebt über beiden sehr deutlich. Intensiv beschäftigt sich der Roman dabei mit Alice Geschichte. Sie trifft einen alten Freund wieder, der in das Unglück in ihrer Vergangenheit, das dicht mit dem Kriegsgeschehen verwoben ist, involviert war. Verdrängte Erinnerungen und Gefühle stürzen auf sie ein.
Korea 1954
Dabei richtet sie ihre ganze Energie darauf aus, eine Person wiederzufinden, die sie im Kriegstreiben verloren hat. Obwohl ihre Begegnung eine zufällige war, wird diese Person zum Symbol ihrer Hoffnung und einer Wiedergutmachung, die sie glaubt, leisten zu müssen. Trauma und Schuld stehen hier eng beieinander. Als Leser*in wird schnell klar, wie hoffnungslos verstrickt die einzelnen Stränge miteinander sind und dass eine vermeintliche Erlösung gar nicht eintreten kann.
Das Buch gibt einen bewegten Eindruck auf die Geschehnisse des Koreakrieges und seinen Nachwirkungen für die Kriegsoper. Die Autorin Ji-Min Lee, die selbst in Seoul geboren wurde und dort noch heute lebt, schafft es, dieses Gefühl der Schwebe nach dem Schrecken zwischen die Zeilen zu schreiben. Dass das Buch von einer Übersetzerin ins Deutsche gebracht wurde, die ebenfalls in Seoul geboren wurde, sorgt dafür, dass dieser Blick nicht verfälscht ist. Das merkt man der Geschichte an.
Problem: Ableismus
Problematisch fand ich persönlich die Darstellung von Ableismus. Alice bezeichnet sich selbst als „Verrückte“ und immer wieder werden ableistische Beschreibungen genutzt, um die Wirkung des Kriegstraumas auf ihre Gegenwart zu beschreiben. Auch wenn auch diese Darstellung authentisch sein mag, ist sie ableistisch. Alice nutzt diese Beschreibungen, um sich selbst abzuwerten und zwar sehr häufig.
Vor allem dieser Punkt hat mich lange mit dieser Rezension hadern lassen. Das Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung des Koreakrieges und die Autorin eine Own Voice, die einen einmaligen Blick ermöglicht. Mich persönlich hat der Ableismus schnell gestört, aber dennoch konnte ich das großartige am Roman erkennen. #DiverserLesen heißt nicht nur Bücher von marginalisierten Autor*innen zu lesen, sondern auch ihre Stärken und Schwächen anzuerkennen.
Ich fand das Buch auch sehr interessant. Bin durch deine Rezension darauf gekommen. Danke dirl.