Die Hauptaufgabe von Einmal durchs Regal für den Mai habe ich, zugegeben, etwas vor mir hergeschoben. Immerhin war mein Thriller-Start mit dem Jugendthriller Freisprung ziemlich mies, der Psychothriller Nachtkalt konnte es dann zum Glück etwas rausreisen, auch wenn ich mich an die furchtbare Einhaltung eines Schemas nie so ganz gewöhnen werde. Wo bleibt da die Überraschung und Spannung, wenn ich nach wenigen Seiten weiß, wer welche Rolle hat und wie das Buch endet?
Deathbook von Andreas Winkelmann mit 448 behandelt zumindest ein modernes Thema und das auch nicht schlecht. Es gibt zwei Erzähler, den Thrillerautor Andreas (^^), der den Tod seiner Nichte aufklären will, die angeblich Selbstmord begannen hat (was er natürlich nicht glaubt) und den Tod 3.0, den Killer, der Internet und Mobiltelefon einsetzt, ja geradezu beherrscht, um vor allem Jugendliche in eine tödliche Falle zu locken.
Neben den vielen, klassischen Klischees, ist es gerade der Mörder, den ich interessant fand. Klar gezeichnet und dennoch auf gewisse Art unverständlich. Er hat Macht und spielt damit, beherrscht alle anderen. Das macht ihn so glaubwürdig. Wieder geht es um Angst, um das Zeigen von Todesangst, um das Herrschen über den Willen anderer. Dies Facette des Beobachtens wird entscheidend, die des Marionettenspielers. Das der Protagonist Andreas selbst Thriller-Autor ist, ist dabei ein gelungener Schachzug, denn die Ebenen der Imagination und Realität prallen aufeinander.
Klischees, wie schon gesagt, gibt es auch hier. Angefangen bei der „unschuldigen“ und einzigen Tochter, die immer nur lieb zu allen war und plötzlich „Selbstmord“ begeht, über die verteufelte Gefahr des Internets und der modernen Technik, die, natürlich vor allem beeinflussbare Jugendliche, abhängig macht und unergründlich ist. Böse, böse. Die virtuelle Welt wird als uneinsehbar für Eltern und Familie, Lehrer und Schützende gezeigt. Auch klassisch: Die Polizei, die nicht einmal ermittelt, sondern den Fall sofort als Selbstmord (später andere Morde als Unfall) klassifiziert. Virtuelle Realität und „echte“ treffen also auch aufeinander, die Rollen sind ziemlich klar verteilt. Und doch ist die unbekannte Kraft, die hinter den Drohungen aus dem Internet steckt, in einem Land, in dem die Kanzlerin Internet als „Neuland“ bezeichnet durchaus verständlich.
Literarisch interessant ist die Tatsache, dass die Grenze zwischen Erzähler und Autor verschwimmt, dadurch dass Winkelmann seinen Protagonisten Andreas Winkelmann nennt. Nun kann diskutiert werden, ob er selbst zum fiktiven Helden seiner Geschichte wird oder nicht doch die Glaubwürdigkeit derselben herabsetzt. Die Verdopplung des Thrillerautoren ist meiner Meinung nach jedenfalls ein klares Zeichen zur Fiktionalität. Es zeigt vielmehr, dass auch das Buch, wie jedes fiktionale Buch (und auch viele angeblich nicht-fiktionale) uneinsichtbar ist, verborgene Macht und Hintergründe hat. Das Buch selbst wird zum Mysterium. Auch ein Vergleich zum Aufkommen des Buchdrucks und dem damit verbundenen Medienwandel kann hier gesehen werden. Winkelmann vergleicht die damalige Medienrevolution am Rande mit der durch das Internet und zeigt: Alles Neue war einmal neu und geheimnisvoll.
Der Spannung tut dies keinen Abbruch. Der Stil ist flüssig und gut, die Sequenzen gelungen aufgebaut. Anschaulich zeigt Winkelmann seine Geschichte, verflechtet Medien miteinander. Noch besser zeigt sich das in der Episoden-Variante des Buches, die aber nur mit internet-fähigen Lesegeräten wirklich genutzt werden kann. Vielleicht ein Paradox: Zum wirklich medienübergreifenden Lesegenuss braucht der Leser das „böse“ Internet. Ich glaube aber, der Autor will zeigen, dass Gut und Böse nicht immer klar trennbar sind, auch wenn sein Plot da anderer Meinung ist.
Ein guter Thriller, den ich wirklich empfehlen kann. Das Schema aber ist auch hier bedient. Die Fronten sind klar, die Gefahr des Internets übermächtig. Das hat mir persönlich nicht so sehr gefallen, das Außenherum war es eher, das mich zum Nachdenken angeregt hat und warum ich in dem Buch auch mehr, als nur einen Thriller sehe. Medienkritik zum einen, aber auch ein Realismus, wenn nicht eine Positivierung, allein darin, wie Winkelmann selbst Medien einsetzt.