Noam Chomsky ist ein Name, um den ich in meinem Studium nicht vorbeigekommen bin. Er ist 1928 geboren, Linguist (deshalb habe ich ihn kennengelernt) und Autor politischer Schriften (da habe ich ihn wiederentdeckt). Im Kunstmann Verlag ist nun Requiem für den amerikanischen Traum erschienen, ein 184-Seiten starken Büchlein, das ich unbedingt lesen wollte. Herausgegeben wurde es von Peter Hutchison, Kelly Nyks und Jared P. Scott, übersetzt von Gabriele Gockel und Thomas Wollermann.
Der amerikanische Traum ist uns allen ein Begriff. Vom Tellerwäscher zum Millionär. Wenn soziale und regionale Herkunft unwichtig werden, ein kleiner Gedanke zum ganz großen Ding werden kann, alle Menschen gleich sind und alles möglich ist. Ich sehe es in schwarz-weiß Filmen vor mir laufen. Ein Einwanderer, der nur ein paar Brocken Englisch spricht und zum großen Erfinder wird. Eine Putzfrau, deren Geschäftsidee Millionen macht. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Yeehaa. Aber Moment. Warum eigentlich schwarz-weiß? Warum zögere ich bereits, eine Putzfrau zu erwähnen und keinen Hotelpagen? Und warum besteht Amerika dann nicht nur aus Millionären?
Der alte Traum
Wo viele sagen, der Traum wäre ausgeträumt, würde ich behaupten, er war von Anfang an eben nur ein Traum. Des was wäre ein Millionär unter Millionären anderes als einer von vielen. Wenn alle groß werden geht es doch um die Frage, wer unter den Großen der Kleinste ist. Und so viel Geld gibt es weltweit einfach nicht, als dass jeder Amerikaner Millionär werden könnte. Aber soviel nur meine Sicht auf das Bild. Chomsky dagegen greift in seinem Buch, das auf dem gleichnamigen Film basiert, zehn Prinzipien zu Macht und Reichtum auf. Dabei wird schnell klar, dass der amerikanische Traum dabei gar keinen Platz hat.
Es ist geradezu erschreckend, wie logisch die Prinzipien klingen, die von der Einschränkung von Demokratie, der Bestimmung von Ideologien und dem Übertragen von Lasten auf andere sprechen. Noch gruseliger wird es, wenn diese theoretischen Komplexe mit dem Amerika von heute verglichen werden. Gruselig, weil real oder zumindest realistisch. So realistisch, dass ich im stimmen Kämmerlein auch Strukturen in unserer eigenen Gesellschaft entdeckt habe, die in die gleiche Richtung tendieren. Noam Chomsky ist radikal realistisch.
Zeitgeschichte eingewoben
Neben dem eigentlichen Text haben die Herausgeber zusätzlich Abschriften von Zeitzeugen eingefügt. Ein Auszug von Adam Smiths Der Wohlstand der Nationen von 1776, Ein kurzer Text von David Hume Über die ursprünglichen Prinzipien der Regierung von 1741 oder Harry S. Trumans Rede vom 30.09.1948 beispielweise. Diese ergänzen nicht nur, sondern zeigen auch radikale Brüche in historischen Verlauf und Überlegungen, die bereits früh angefangen haben. Der Ist-Zustand kommt nicht aus dem Nichts, sagen diese Texte und bieten einen interessanten Einblick, der auflockert.
Requiem für den amerikanischen Traum ist kein einfaches Buch, weil es so radikal realistisch ist, aber auch, weil es den Leser permanent fordert. Ein Sachbuch eben. Und doch ist es ein unheimlich wichtiges. Nicht nur im Kontext Amerika, sondern allgemein für alle Machtstrukturen, die mir so einfallen. Tatsächlich finde ich es als Autorin auch hochinteressant im Hinblick auf Weltenbildung und Strukturen.
liebe Eva, danke für die kleine Besprechung, ich hatte von Noam Chomsky noch nie zuvor gehört
jetzt geh‘ ich gleich mal nachgucken … 😉