Unter dem Pseudonym Lucie Marshall betreibt Tanya einen Blog und hat bereits mit Auf High Heels in den Kreißsaal Autorenerfahrung gesammelt. Nun ist Mama, I need to kotz bei Goldmann mit 256 Seiten erschienen und momentan kommt ja kaum eine Mama-Buch an mir vorbei.
Lucies Familie zieht für ein halbes Jahr nach London. Was bereits für Mann und Frau so seine Herausforderungen hat, potenziert sich für Mutter und Vater. Kindergärten, Frühförderung, Nachmittagskindermädchen, und, und, und. Schnell findet Lucie sich in einer Welt wieder, in der Vierjährige eingeschult werden, altersgerechte Entwicklung als verbesserungsbedürftig angesehen wird und es kein Problem ist, wenn es durch die Decke das Arbeitszimmer kübelweise regnet. Doch Lucie lernt auch neue Menschen kennen, andere Mütter, andere Systeme und staunt nicht schlecht.
Wie viele Erfahrungsbücher ist auch dieses als semi-autobiografisch zu betrachten. Schon allein die Verwendung eines Pseudonyms legt nahe, dass nicht alle Erlebnisse tatsächlich so passiert sind. Die Mischung von Dichtung und Wahrheit dominiert in dieser Literaturgattung, in der die Bücher von Müttern aus der Erde schießen. Trotzdem schafft Lucie alias Tanya es, hier etwas Neues abzuliefern.
Der Umzug nach London bedeutet für Lucie und ihre Familie auch das vollständige Eintauchen in einen anderen Kulturkreis. Sehr schön ist, dass die Erzählerin darauf eingeht, dass damit nicht etwa der englische gemeint ist, sondern jene Mischkultur, die sich in der Metropole London, etabliert hat. Lucie trifft auch auf englische Mütter, aber eben auch auf amerikanische, japanische, spanische, … . Auch ein Vater ist dabei und macht die rühmliche Ausnahme aus, denn eines ist auch in Nothing Hill nicht anders. Die Frauen kümmern sich um den Nachwuchs.
Sehr interessant finde ich dabei die Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Während der Konkurrenzkampf zwischen Müttern in Amerika als noch schlimmer dargestellt wird, als er mittlerweile schon auf deutschen Spielplätzen, in Kindergärten und Schulen geworden ist, feiert die Mutter aus Japan geradezu, ihr Kind knuddeln zu können und nicht so reglementiert zu werden, wie in ihrer Heimat. Allen ist aber doch noch mehr gemeinsam, als die implementierte Aufgabe, für das Kind zuständig zu sein. Der Erfolg des Kindes wird der Mutter zugeschrieben, also auch der Misserfolg. Und bei der Mutter werden etwaige Gründe für dem Kind unterstellte Probleme gesucht.
Sehr schön fand ich, dass Lucie Marshall in ihrem Buch nicht nur dem Vater Raum zur Aktivität gelassen hat – wenn auch wenig – sondern auch sich selbst als Frau und arbeitendes Wesen. Es geht in diesem Buch nicht nur um eine Mutter, die ein halbes Jahr ihrem Mann nach London folgt und versucht, dort ihr Kind groß zu ziehen. Vielmehr geht es um eine arbeitende Mutter, die mit Mann und Sohn ein Abenteuer wagt. Dabei erlebt sie nicht nur mit beiden zusammen Positives wie Negatives, sondern auch alleine. Und nicht nur in ihrer Funktion als Mutter. Hier hat die Erzählerin und auch die Autorin vielen anderen Erfahrungsberichten einiges voraus. Aus meiner Sicht, eine abwechslungsreiche Erscheinung, die weniger ’nur für Mütter‘ ist, dafür mehr ‚für Frauen, Eltern, Menschen‘.