Wunschloses Unglück – Peter Handke

 Peter Handke stand schon länger auf meiner Leseliste. Nur logisch für mich dabei, mit Wunschloses Unglück zu beginnen – Handkes Mutterbuch. Bereits 1972 zum ersten Mal erschienen. Ich hatte die Suhrkampausgabe von 2001, 96 Seiten.

Die Mutter des Erzählers hat sich umgebracht. Zerrissen, in Trauer und aus dem Glauben, er allen könne die Gründe kennen, zeichnet er ihr Leben nach. Im Zeitraffer, ganze Ären überspringend oder auf einen Satz kürzen. Die trostlose Kindheit in einem winzigen Dorf und das Pech, als Frau geboren worden zu sein. Affäre, Schwangerschaft, Hochzeit, Krieg, Nachkriegszeit. Der Mann trinkt, sie treibt ab, versucht Kinder und Familie über Wasser zu halten. Schließlich kehren sie zurück in das Dorf ihrer Kindheit. Immer wieder versucht sie, jemand zu sein. Und wird doch immer als Nichts wahrgenommen.

Es ist die traurige Tatsache, dass Handke mit Wunschloses Unglück den Selbstmord seiner eigenen Mutter behandelt. Dass er nahezu mit dem Erzähler gleichzusetzen ist. Nahezu. Doch es ist zu erkenne, wie verzweifelt er versucht, sich von der Geschichte zu trennen. Distanziert und ohne Emotion der leidenden Mutter gegenüber ist die Sprache. Mehr beobachtend, denn beschreibend. Gerade dadurch ein schwerer, drückender Stil. Der Leser leidet aus der Ferne mit. Und viel stärker, als er es aus der Nähe gekonnt hätte, denn so zeigen sich vor allem die schlechten Tage. Die dunklen Stunden und die immer wieder zerstoßenen Hoffnungen. Die guten Tage werden erwähnt, am Rande, bleiben farblos. Ein bisschen Lippenstift, ein kokettes Kleid.

Trotzdem wurde ich während des Lesens das Gefühl nicht los, dass Wunschloses Unglück mehr Verarbeitung des Geschehens für den Autor ist als literarisches Werk. Doch das mindert keineswegs die Qualität, zeigt nur in hohem Maße wie beeinflusst der Schriftsteller per se von seiner gegenwärtigen Situation ist. Aus menschlicher wie literaturwissenschaftlicher Sicht hoch interessant.

Es gibt keine Vorwürfe der Mutter gegenüber. Aufzählungen ihrer Kämpfe, ihrer Siege, ihres Scheiterns. Schon fast pathologisch zirkulär. Der Mann, das Kind, dann Abtreibung, Alkohol, Gewalt, der Versuch, nach Außen mehr zu scheinen, um mehr zu sein. Ein tiefer Schmerz. Und trotz der Distanz packend, spürbar, schwer. Ein bisschen Psychologie, ein bisschen Menschenkenntnis, ein bisschen Geschichte. Vieles fließt hinein und trägt seinen Teil zu Wunschloses Unglück bei.

Der Erzähler – und damit auch Handke – scheint dabei immer auf der Suche zu sein, nach dem, was die Mutter eigentlich ausgemacht hat. Er versucht, ein Bild zu zeichnen, das währenddessen schon wieder zerfließt. Die Begründung des Selbstmordes wird vorgeschoben, tatsächlich ist es eine Begründung der Leerstelle. Eine Begründung, warum der Sohn sich von der Mutter abgewandt hat und nun schmerzlich ihr Fehlen erkennt. Er sucht zwischen dem Schmerz und der Einsamkeit, dem zerlebten Leben, Liebe, Hoffnung, Glück. Die Mutter.

Tatsächlich glaube ich, mehr Emotion hätten diese Seiten nicht verkraftet. Ohne Bewertung steht der Erzähler vor dem Leben der Mutter und dann vor ihrem Tod. Damit schafft er, was der Sohn selbst niemals schafft. Loszulassen. Einen Schlusspunkt zu setzen.

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