Wie wir lieben – Vom Ende der Monogamie – Friedemann Karig

Im Februar bei blumenbar (Aufbau) erschienen ist Friedemann Karigs Buch über Alternativen zur Monogamie Wie wir lieben. Danke an den Verlag für mein Rezensionsexemplar. 304 Seiten hat das Sachbuch, das aus Gründen, die ich nicht ganz nachvollziehen kann beim großen A unter Ratgeber geführt wird. Dieses Buch rät nicht, es erzählt.

Als Rahmen für sein Werk greift der Autor auf Paul und Jelena zurück, deren Geschichte in einer Reportage erzählt wurde. Ihr Versuch einer offenen Beziehung wird begründet, in Etappen betrachtet, mit den Geschichten um andere Paare und ihre Lebensentwürfe erweitert. Dazwischen zeigt Karig Fakten, Zahlen, Daten. Er geht das biologische Prinzip von Partnerschaften an, lässt Studien sprechen, zeigt Probleme auf. Ein guter Ansatz, der wackelt, weil er vor allem eines will: provozieren.

Messbar bedeutet noch nicht spürbar!

Karig stützt die These, dass die Monogamie am Ende wäre mit Untersuchungen zu Fremdgehen und sexueller Erregbarkeit. Die Biologie spreche für sich. Heterosexuelle Frauen würden beispielsweise durch pornografische Bilder erregt und würden es einfach nicht zugeben. Mehr sogar als heterosexuelle Männer. Was Karig hier absolut ausklammert ist die gesellschaftliche Einbettung der Frauen. Er behauptet, dass wenn eine Erregung messbar ist, sie auch tatsächlich so empfunden wird. Damit reiht er sich ein in all jene, die behaupten, Opfer von Vergewaltigung würde Lust empfinden, nur weil ihr Körper reagiere.

Die Körper-Geist-Problematik aber wird in Wie wir lieben nie angesprochen. Wirklich nie. Und dabei will der Autor doch ausgerechnet behaupten, dass unsere Biologie konträr unserer gesellschaftlichen Normierung funktioniert. Statt dazwischen aber eine Verbindung aufzubauen, bleiben beide Felder getrennt. Natur oder Kultur, Baby, du kannst nicht beides haben, nicht beides sein. In weiten Abschnitten seines Buches reduziert er den Menschen zum reinen Triebwesen. Dabei wäre gerade eine Betrachtung der Verbindung hoch interessant und könnte Abhilfe schaffen.

Das muss so sein?

Warum ist der Mensch monogam geworden? Weil er sesshaft wurde. Aus ökonomischer Sicht, wenn man so will. Kulturen, die sesshaft sind, aber nicht monogam, erwähnt das Buch nur am Rande. Die ominösen Eingeborenenstämme, die immer hervorgeholt werden, wenn wir „an unsere Wurzeln zurück wollen“, dürfen mal wieder herhalten. Dass die Tatsache, dass diese Stämme, die ein anderes Verständnis von Familie haben, als wir, der Ursprungsthese von Monogamie als Begleiterscheinung der Sesshaftigkeit als Notwendigkeit widersprechen, kommt überhaupt nicht zu Sprache. Biegt Karig am Ende seine Argumentation auf sein Thema zurecht? Traurig, denn eigentlich nutzt er immer wieder gute Belege und baut die Struktur seiner Thesen gelungen auf. Diese Kinderkrankheiten nerven da nur und erwecken den Anschein, der Autor würde seinem eigenen Buch nicht trauen.

Gehen wir alle fremd

Besonders schockiert war ich davon, welches Bild Karig von Beziehungen allgemein zeichnet. Wie dieses Buch behauptet, Seitensprünge wären die Regel, jede Beziehung aufgrund der sinkenden Erregung im Alltag zum Scheitern verurteilt. Da ist er wieder, der Mensch als Triebwesen. So fokussiert ist der Autor dabei, Beispiele von offenen Beziehungen zu zeigen, dass er gleich mehrere Dinge außer Acht lässt. Zum einen, dass Monogamie nie ein allumfassende gelebtes Prinzip war, sondern lediglich immer wieder als ein solches forciert wurde. Zum anderen, dass es auch immer wieder sehr viele Paare gibt, die gemeinsam alt werden und dabei nicht unglücklich. Gerade diese, die Beispiele einer gelungenen Zweierbeziehung, lässt Karig unerwähnt. Statt Lebensentwürfe zu zeigen, die auch funktionieren und unseren Horizont zu erweitern, grenzt er damit aus. Das ist unheimlich schade.

In guten wie in schlechten Tagen? Wie wir lieben will neue Wege neben der Monogamie zeigen.
Alles Mist?

Denn das Buch ist einem so lockeren, herrlich komischen Stil geschrieben, dass es mir großen Spaß gemacht hat, es zu lesen. Es war unheimlich interessant die Fakten kennenzulernen, die Karig nutzt. Denn auch wenn seine wissenschaftliche Arbeitsweise hier weder repräsentativ noch zureichend ist, wirft er interessante Fragen dabei auf. Das Denken um unsere Beziehungsstrukturen, ihre Gründe und Auswirkungen ist es, was mir dieses Buch immer wieder schmackhaft gemacht hat. Allein das Nachdenken darüber, warum viele von uns monogam leben, was Treue eigentlich bedeutet und was Toleranz in diesem Bereich heißt, war unheimlich spannend und lohnenswert.

Wie wir lieben – Vom Ende der Monogamie ist ein wirklich interessantes Buch zu einem Thema, das mit unserer Gesellschaftsstruktur erschreckend elementar verbunden ist. Es hat leider einige Schwächen in der Arbeitsweise und Argumentation. Lesenswert fand ich für mich es trotzdem, da es meine eigenen Überlegungen angeregt hat.

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10 Kommentare

  1. Hallo liebe Eva-Maria,

    letztendlich erinnere ich mich noch lebhaft an einen Autor, der die Dreiecksbeziehung in höchsten Tönen gelobt hat und die Paarbeziehung verteufelt hat.

    Ich denke, alles liegt im Auge des Betrachters …..vielleicht auch männlichen Betrachters hier…augenzwickern…und für mich persönlich kommt so eine Dreierbeziehung ohnehin nicht in Frage, weil ich da wohl zu spießig und normal bin…..

    Jeder soll so glücklich werden wie er/sie/es mag Hauptsache man schadet keinen anderen dabei .

    LG..Karin..

    1. Liebe Karin,

      da hast du absolut recht. In diesem Buch kommt manchmal der Gedanke auf, eine funktionierende monogame Beziehung könne nicht normal sein. Den Blick auf andere Modelle des Lebens zu richten, finde ich unheimlich wichtig. Wenn unsere Gesellschaft sich nicht mehr wandelt, geht sie unter.
      Dass du hier gleich einen männlichen Blick unterstellst, finde ich interessant. In den genannten Beispielen sind es oft die Frauen, die „mehr“ wollen. Ich persönlich glaube, das hat wenig mit dem Geschlecht zu tun, sondern mit einer generellen Einstellung zum Leben. Und da auch die stetig im Wandel ist, möchte ich eigentlich nicht von permanent monogam oder anders wie sprechen. Leben, Liebe, Veränderung, das alles kommt doch Hand in Hand.

      Danke für deinen Kommentar
      Eva

  2. Ich denke, dass die gesellschaftliche Prägung von Monogamie und offenen Beziehungen sich verändert bzw. verändern sollte. Die Ehe ist immer noch das Leitbild der monogamen Beziehung schlechthin. Alles ist „vorbelastet“ vom religiösen Bild von Paaren. Offene Beziehungen werden durch die Jahrhunderte lange Betrachtung vom Familienbild durch die religiöse Brille immer noch als unnatürlich angesehen. Die Meinung, dass Monogamie eigentlich die unnatürliche Form für eine Beziehung ist, ist einfach die andere Extreme. Extreme erscheinen wahrscheinlich interessanter oder glaubwürdiger als differenzierte, vielschichtige Darstellungen.

    1. Vielleicht nicht glaubwürdiger Nora, aber provozierender, aufrüttelnder. Und das funktioniert doch immer wieder 🙂

  3. Bestimmt ein schönes Buch, um wunderbar konträr zu diskutieren. Ich liebe das!

  4. Hallo,
    auf das Buch wurde ich auch vor einer Weile aufmerksam, war mir aber immer noch ein wenig unsicher. Das Thema finde ich durchaus interessant und ich mag es auch sehr, andere Blickwinkel zu betrachten. Gerade auch dann, wenn sie gesellschaftlich nicht so sehr anerkannt sind.
    Ich glaube aber, dass die von dir aufgeführten Kritikpunkte mir nicht so sehr gefallen würden. Deswegen rutscht das Buch auf meiner Wunschliste jetzt auch erstmal wieder ein wenig nach unten.
    Danke also für diese lesenswerte Rezension 🙂
    LG
    Julia

    1. Liebe Julia, das kann ich gut verstehen, ich hatte mir auch mehr erhofft. Danke für deinen Kommentar.

  5. Klingt für mich nach einem interessanten und kontroversen Thema. Ich kenne das Buch selbst nicht, aber deine Rezension erweckt den Anschein, dass der Autor seine eigene Theorie entwickelt hat, für die er Beweise und Belege sucht, dabei aber Wechselwirkungen oder andere Effekte außer Acht lässt. Daher bin ich mir nicht sicher, ob ich dieses Buch dann noch lesen möchte.

    1. Ich glaube eigentlich nicht, dass er seine eigene Theorie entwickelt, sondern sich anhand bestehender Argumente entlanghangelt. Die einzelnen Punkte für sich sind dabei durchaus gut aufgebaut, nur in der kompletten Struktur fehlt der Zusammenhalt und der analytische Blick von außen. Unzulängliche Begründungen werden nicht als solche entdeckt, sondern schlicht so stehen gelassen, wie sie die jeweiligen Studien aufgestellt haben. Das macht das Buch eher zu einer Sammlung, als zu einer eigenen Aussage. Aber natürlich ist auch das ein großer Schwachpunkt.

  6. […] Weitere Rezensionen findet ihr u. a. auf Die Liebe zu den Büchern, Lohnt das Lesen und Schreibtrieb. […]

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