Sungs Laden von Karin Kalisa

Bei C.H. Beck erscheint heute Sungs Laden von Karin Kalisa. 250 Seiten dick, spielt mitten in Berlin und liefert punktgenau zu den Ferien ein wenig Vietnam in Deutschland.

Nach dem Schneeballprinzip führt im Kiez eines zum anderen. Angefangen bei einer alten Puppe, über bunte Stoffe, Kegelhüte, spontane Brücken und eine fremde Sprache schaukelt sich in der Hauptstadt die Begeisterung für Vietnam hoch, zieht ihre Kreise, bei Lehrerinnen und alleinerziehenden Müttern, in der Stadtverwaltung und den kindlichen Reichen kleiner Prinzessinnen, in der Erinnerung vietnamesischer Vertragsarbeiter und der Neuentdeckung der eigenen Abstammung. Etwas zu schön um wahr zu sein und etwas zu ernst, um seicht zu bleiben.

Der Stil der unterschiedlichen Episoden, den Karin Kalisa nutzt, finde ich sehr schön. Zwar werden so zahlreiche Nebenhandlungen aufgegriffen, die sich nicht alle zu Ende erzählen lassen, doch so wird auch das Bild der Geschehnisse bunter, runder und umfangreicher. Einiges bleibt offen, mag der Phantasie der Leser überlassen sein, oder der Andeutung der Autorin. Denn der Mittelpunk der Geschichte gehört Sungs Laden, Sung selbst, seiner Mutter, seiner neuen Auseinandersetzung mit Vietnam. Und gerade hier wird der Roman interessant, aber für meinen Geschmack nicht tief genug.

Erfährt der Leser über den Hintergrund von Sungs Mutter auch etwas DDR-Geschichte – von der vietnamesischen mal ganz abgesehen – ist Sung ein relativ wandelbares Blatt. Obgleich er als Jugendlicher seiner vietnamesischen Herkunft lieber den Rücken zu kehrte, übernimmt er nach dem Tod des Vaters dessen Laden und heiratet eine Immigrantin aus Vietnam. So zwischen völliger Fremde zur Kultur seiner Familie und der Fremdzuschreibung, die er immer wieder erfährt, die ihn nur noch mehr zum „Vietnamesen“ macht, wird schnell klar, dass Sung in dieser Hinsicht nicht zu sich gefunden hat. Das wird in liebevollen Episoden zwar aufgedeckt, aber nur so, dass es einer leichten Unterhaltung keinen Abbruch tut. Das Ende ist dementsprechend überspitzt.

So erfährt der Roman aus meiner Sicht eine Hin-und-Her-Gerissenheit zwischen Identitätsfindung und der Faszination des Exotischen mitten in der deutschen Hauptstadt, die gut getroffen ist, gute Laune macht, ein bisschen nach Urlaub klingt und ein bisschen nach Heimat. Als Utopie im Klappentext entlarvt macht der Roman um direkte Ausländerfeindlichkeit eher einen Bogen, erwähnt sie mehr, als dass sie Thema werden kann. Indirekt aber ist sie schnell sichtbar, gerade in der Faszination und Befremdung, die von „den Vietnamesen“ ausgeht, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, wenn nicht dort geboren sind. Ein Gedanke hier und da wird darauf verschwendet, der aufmerksame Leser mag sich noch mehr machen. Ein Ansatz zumindest.

Ein lockeres Vergnügen, dass Raum zum Denken lässt, zur Reflexion, aber aus meiner Sicht durchaus Stellen hat, die dann doch zu leicht geworden sind. Als Strandlektüre oder Hängemattenbuch dennoch eine gute Wahl – es muss ja nicht immer ernst und schwer sein.

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1 Kommentar

  1. Ah, hier ist sie, die Rezension. Sehr schön, macht mich schon gespannt auf das Buch. Hatte bisher keine Zeit aber ich hatte mir das Buch voller Vorfreude gekauft und musste es leider zur Seite legen. Mal sehen, ob ich deine Meinung teile.
    Liebe Grüße, monerl

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