Sechster Dezember: Lorelai allein im Sack

Lorelai seufzte. Der Tag war lang gewesen – zu lang. Und kurz – zu kurz. Sie streckte ihre Pfoten über eines der bunten viereckigen Papierdinger, hinter denen sie es sich gemütlich gemacht hatte und gähnte. Die Frau musste in der Küche stehen und kochen, ein Zimmer, aus dem Lorelai vertrieben wurde, sobald sie auch nur eine Pfote hinein setzte. Dabei roch es darin immer so herrlich, dass Lorelai das Wasser im Mund zusammen lief. Das ein oder andere Mal, wenn der Junge die Tür offen gelassen hatte, hatte sie es auch geschafft, hier und da mal genauer nachzuschauen und ein paar Krümel zu finden. Aber nicht heute.
Heute war sie früh geweckt worden. Der Mann war durch das Haus geschlichen, ohne Licht, was Lorelai verwundert hatte. Wenn er sonst aufstand, machte er immer Licht an. Doch heute blieb er im Dunkeln, bis er den Raum erreicht hatte, in dem das brummige Ding stand, an dem er immer saß. Dort hatte er in Schubladen gewühlt, Kartons hervorgezogen und buntes, raschelndes Papier. Ein Heidenlärm war das gewesen, zumindest für Lorelai, die bis dahin gemütlich in ihrem Korb im Wohnzimmer geschlummert hatte. Nur lag das Wohnzimmer direkt neben dem Brummer-Raum. An Schlaf war da nicht mehr zu denken.

Lorelai gähnte noch einmal und legte ihren Kopf auf die Vorderpfoten. Kaum war der Mann mit dem Geraschel fertig gewesen, war auch die Frau heruntergekommen und in der Küche verschwunden. Bald hatte es süß im ganzen Haus gerochen, dass es Lorelai fast schlecht wurde. Schlimmer aber war, dass die Kinder mittlerweile wach waren. Der Mann hatte sich vor die Flimmerkiste gesetzt, der Junge war erst bei ihm geblieben, hatte sich dann aber zum dem kleinen Kind gesellt. Zusammen hatten sie mit bunten Würfeln herumgeklappert, gerufen, geschrien, waren hin und hergelaufen, bis die Frau mit ernstem Gesicht gekommen war.
„Haben die Kinder überhaupt schon gefrühstückt?“, fragte sie und der Mann hatte verneint. Das hätte er besser wissen müssen. Nun sollte er die Kinder einfangen, während die Frau ihnen eine gräuliche Pampe auf den Tisch stellte. „Haferflockenbrei“ nannte sie das. Und obwohl er nicht wirklich gut aussah, wusste Lorelai aus Erfahrung, dass er mit Milch gemacht war und sie hatte inständig gehofft, dass das kleine Kind auch heute den ein oder anderen Löffel würde fallen lassen.
Am Mittag, als das kleine Kind wieder ins Bett musste – Lorelai beneidete es regelrecht darum – war die alte Frau gekommen und hatte den Jungen mitgenommen. Doch die erhoffte Ruhe war nicht eingetreten. Stattdessen hatte die Frau angefangen aufzuräumen, umzustellen. „Lorelai, du stehst im Weg“, hatte sie mehr als einmal gesagt. Als dann das kleine Kind wieder aufgewacht war und die Frau auch noch die tosende Einsaugmaschine angestellte hatte, war es Lorelai zu viel gewesen. Sie war geflüchtet. Die Küche war zu, der Keller auch, die Schlafzimmer sowieso. Einzige Möglichkeit war das Brummer-Zimmer gewesen, doch der Mann war glücklicherweise zu beschäftigt damit, das kleine Kind dazu zu bringen, ein Butterbrot zu essen. Lorelai war einfach hineingehuscht und hatte sich im erstbesten versteckt, was sie gefunden hatte. Einem Sack.
Der Sack hatte auf dem Boden gelegen, daneben ein rotes Päckchen mit Stoff, in den Lorelai aber keinen Eingang gefunden hatte. Also war sie durch die Öffnung des Sacks gekrochen, hatte sich an den raschelnden Päckchen vorbeigedrückt. Ganz hinten fand sie ein Plätzchen, gerade groß genug für sie. Sie kugelte sich ein und hoffte, der Lärm würde irgendwann noch ein Ende nehmen.„Miau“, machte Lorelai kläglich. Und noch einmal „Miau“. Niemand hörte sie. Wie auch. Die Einsaugmaschine wurde durch das Wohnzimmer geschoben und als die Frau scheinbar fertig war, machte sie sofort Musik an. Sie Musik des Grauens, doch noch, Lorelai war sich sicher, war es nicht soweit. Aber trotzdem brummte es in ihrem Kopf. Im Nebenzimmer hüpfte das kleine Kind auf und ab, nannte es „tanzen“ und konnte gar nicht mehr genug bekommen. Lorelai seufzte.

Als es klingelte, dachte sie schon, es hätte endlich ein Ende. Doch weit gefehlt. Statt nur den Jungen zu bringen, blieb die alte Frau da. Auch der alte Mann kam, der andere Mann auch. Lorelai hörte ihre unterschiedlichen Stimmen und duckte sich zurück.
„Wo ist denn die Katze“, fragte der alte Mann und Lorelai hielt den Atem an.
Aber niemand kam und sah nach ihr. Bald wurde es stiller und am Geklimper des Bestecks erkannte Lorelai, dass sie wohl zusammen am Tisch saßen. Sie atmete auf – und schlief ein.
Ein plötzlicher Ruck ließ sie zusammenfahren. Der Sack wurde angehoben, mit allem, was darin war. Sie krallte sich an den Stoff, die Päckchen vielen auf sie, es raschelte und klimperte. Lorelai war starr. Er Sack wippte auf und ab, sie stieß immer wieder an etwas – oder jemanden. Mühsam versuchte sie die obere Hälfte des Sacks zu erreichen, um nicht immer wieder Päckchen auf den Kopf zu bekommen. „Miau“, rief Lorelai, doch im selben Moment machte jemand ganz nah bei ihr.
„Ho ho ho. Wart ihr auch brav gewesen?“
Wo war sie da nur hineingeraten. Das kleine Kind fing plötzlich laut zu schreien an, während der Junge ein lautes „Ja“ vernehmen ließ. Die Frau versuchte das Kleine zu beruhigen, doch das Geheul wurde immer lauter und durchdringender. Irgendwie konnte Lorelai das Kind gerade gut verstehen. Ihr war auch nach Heulen zu Mute. „Miau“, versuchte sie es wieder, aber das kleine Kind war zu laut und schien alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Sack wurde unsanft wieder abgestellt, aber da Lorelai nun schon etwas höher gekommen war, landete sie ungeschickt, aber einigermaßen abgefedert auf den Päckchen. Nur raus kam sie immer noch nicht. Der Sack war zugemacht worden.

„Miau“, rief Lorelai noch einmal in Panik.
„Das war doch die Katze“, sagte der Junge, der das Geheule des kleinen Kindes nicht so interessant fand, wie die Großen.
„Miau“, machte sie wieder.
Es wurde leiser. Das Kleine schluchzte noch, wollte wohl aber auch lauschen.
„Miau“, rief Lorelai und hoffte.
„Oh mein Gott“, flüsterte die Frau und im nächsten Moment machte jemand den Sack auf.
Lorelai atmete auf, sprang heraus und wurde geblendet. Neben ihr, den Sack noch in der Hand, stand der Mann – ganz eindeutig – aber in den seltsamen roten Sachen, die vorhin neben dem Sack gelegen hatten. Er hatte sogar weiße Haare vors Gesicht gebunden. Davor waren der Junge, die Frau mit dem Kleinen auf dem Arm, die alte Frau, der alte Mann und der andere Mann. Sie sahen sie ungläubig an.
„Lorelai“, sagte die Frau dann sanft. „Was hast du denn da gemacht.“
„Ganz klar, die Katze im Sack“, sagte der andere Mann und alle lachten.
Lorelai war nicht nach Lachen zumute. Sie flüchtete in ihren Kratzbaum und drehte den Anwesenden den Rücken zu. „Arme Katze“, hörte sie noch, doch es hatte ihr gereicht. Dieser Tag war ja fast so schlimm, wie das Grauen selbst. Und das stand ihr noch bevor.

©Eva-Maria Obermann

Was wäre schon ein Adventskalender ohne Lorelai? Für mich gehört sie mittlerweile zur Vorweihnachstzeit wie Plätzchen und Gewinnspiele. Apropos.
Heute könnte ihr bei mir eine Ausgabe von Marian Keys „The Woman tho Stole my Life“ gewinnen (gebraucht). Einfach diesen Beitrag heute, 06.12.2014, zwischen 00:01 und 23:59 Uhr kommentieren und ihr seid im Lostopf. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Viel Spaß und bis morgen.

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3 Kommentare

  1. Hallo Eva,
    eine sehr schöne Leseprobe.Lorelai kannte ich noch gar nicht, doch was ich hier gelesen habe gefällt mir sehr.
    LG Rose

  2. Hallo liebe Eva,

    ich wünsche Dir auch hier nochmal alles Liebe
    und Gute zur Geburt,
    einen schönen Nikolaustag

    und ganz liebe Grüße

    Jutta

  3. Hallo.
    Ich bis wieder , das Buch wäre genau das richtige für meine mon zur Weihnachten sie liest sehr gerne mariam Keyes.
    Darum würde ich gerne in den ltopd hüpfen auch ja
    Meine Lesezeichen sind angekommen vielen Dank dafür auch für den lieben Brief:)
    schönen Nikolaus noch

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