Realismus und Naturalismus – weder realistisch noch natürlich

Der Kaiser und der Knecht
Marx und Engels (Foto: omeloc / pixabay.de)
Marx und Engels (Foto: omeloc / pixabay.de)

Die gescheiterte Revolution von 1848 – wann haben die Deutschen schon mal erfolgreich revoltiert – führte zu einer so richtig miesen Stimmung bei den Autoren. Die Hoffnungen waren zerschlagen. Wilhelm I herrschte als König von Preußen quasi über ganz Deutschland, Otto von Bismarck Ministerpräsident. 1871 wurde der König zum Kaiser und Bismarck steigt zum Reichskanzler auf. „Zuckerbrot und Peitsche“ ging über das Volk nieder. Außenpolitisch war Bismarck eher zurückhaltend, Frankreich wurde als Erbfeind isoliert, Kolonialansprüche aus Deutschland gab es nur wenige. Die Arbeiterschaft wurde durch die Industrialisierung als vierter Stand aufgenommen, dem Proletariat. Armut, Kinderarbeit, Hunger waren der Alltag. Marx und Engels schrieben das kommunistische Manifest.

Realistisch?
Der Schimmelreiter: mystisch angehauchter Vetreter des Realismus (thes26800 / pixabay.de)
Der Schimmelreiter: mystisch angehauchter Vetreter des Realismus (thes26800 / pixabay.de)

Die Literatur aber zog sich sehr zurück. Nachdem der Vormärz noch den Weberaufstand 1844 literarisch in aller erdenklichen Form wieder gegeben hatte, wurden die Realisten stumm. Warum? Der poetische Realismus wollte die Realität verarbeiten, aber durch Verklärung in Ironie und Humor. Auf Stilmittel wurde oft verzichtet, eine harmonische Einheit zwischen Innerem und Äußerem sollte herrschen. Darum wählten die Realisten auch eher bürgerliche Umgebungen für ihre Werke aus und kritisierten Bildungsferne und Ungenauigkeiten. Realistisch war das nicht unbedingt, denn gerade die gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen fanden kaum Eingang in die Literatur. Historische Themen waren beliebt, auch literarisch historische. So griff Keller beispielsweise Shakespeares Romeo and Juliett auf und Storm gab seinem Schimmelreiter historische Grundlagen.

Natürlich!
Die Industrialisierung verschlechterte für viele den Alltag (Foto: jrperes / pixabay.de)
Die Industrialisierung verschlechterte für viele den Alltag (Foto: jrperes / pixabay.de)

Auch der Naturalismus wollte die Wirklichkeit abbilden, behauptet er zumindest. Während aber der Realismus das Negative ausblendet, beharrt der Naturalismus auch hier auf Details. Der Fokus auf dem Äußeren lässt aber wenig Platz, noch Inneres darzulegen. Also wollte der Naturalismus genau das, was der Realismus so vehement darbot. Demnach sind dies regelrechte Gegenströmungen, die sich kritisieren und versuchen, gegenseitig aufzuheben. Die elenden Zustände der Arbeiter wurden im Naturalismus aufgegriffen. Literatur sollte die Natur mit dem möglichst geringen Einfluss des Autors darstellen, bis hin zur phonetischen Beschreibung von Geräuschen. Auch der Sekundestil, die genaue Wiedergabe zeitlichen Voranschreitens, ist Merkmal der Naturalisten. Jede Handlung sollte in der Literatur den gleichen zeitlichen Raum einnehmen, wie auch in Wirklichkeit: das zeitdeckende Erzählen.

Aber weder Realismus noch Naturalismus kamen ohne Kritiker aus. Beide bildeten nur ab und boten keine Verbesserungsmöglichkeiten. Damit waren die Zeitgenossen gerade wegen der tendenziell negativen Situation in Politik und Gesellschaft schnell unzufrieden.

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