The Love Song of Miss Queenie Hennessy – Rachel Joyce

Nein, ich habe bisher nicht die Pilgerreise von Harold gelesen, sondern mich stattdessen gleich auf die dazugehörige Geschichte von Queenie mit 368 Seiten gestürzt, die Blogg dein Buch im Original von Penguin Books (random house) verteilt hat. Daher ging ich ganz ohne Vorwissen und auch ohne besondere Erwartungen heran.
Queenie fristet ihre letzten Tage im Pflegeheim, als sie Harolds Brief erreicht. Zunächst ist sie geschockt. Harold hat sich zwar auf den Weg zu ihr gemacht, aber zu Fuß durch ganz England, während sie jeden Tag sterben könnte. Sie hat Angst, ist einsam und trägt die Last der Vergangenheit. Eine neue Pflegerin bringt sie dazu, ihre Geschichte aufzuschreiben und Harold in einem weiteren Brief alles zu beichten. Von da an schreibt Queenie jeden Tag. Ihre Hand und ihr Auge entzünden sich, doch das hält sie nicht ab. Sie muss Harold erzählen, was mit David passiert ist und welche Schuld sie mit sich herum trägt. Dabei lüftet sie auch die Geschichte um ihre tiefe, unerfüllte Liebe zu Harold und ihrem Charakter. Je mehr Queenie sich in ihren Brief hineinsteigert, umso mehr steigert sich das ganze Pflegeheim in Harolds angekündigten Besuch. Die Bewohner sind aufgeregt, eine Pinnwand für Harolds Postkarten wird aufgestellt. Doch nach und nach sterben Queenies letzte Freunde und sie allein bleibt, um Harold begrüßen zu können. Ob er ihren Brief bekommen hat, kann sie letztlich nicht sagen, doch viel wichtiger ist es für sie, aufgeschrieben zu haben, was ihr Leben lang unsagbar blieb.
Der Roman hat mich umgehauen. Leise und einfach kommt er daher, erzählt eine Liebesgeschichte, eine tragische Begegnung, das Ende eines vertanen Lebens und die Schuld auf Queenies Schultern, die sie sich selbst andichtet. Was so locker und leicht anfängt und mit einer präzisen Erzählweise auf die Klimax hinarbeitet, ist gefüllt mit kleinen Geschichten, der Parallelität von Queenies Geschichte mit Harold und David und ihren letzten Tagen im Pflegeheim. Es geht dabei weniger um das, was am Ende geschieht, denn das ist jedem Leser klar (selbst wenn er Harolds Teil der Geschichte nicht kennt). Viel wichtiger, wie in einer antiken Tragödie, ist das wie. Das oberflächliche Mauerblümchen Queenie entwickelt dabei eine Dynamik, eine innere Kraft, die sie zu Schöpferin eines beeindruckenden Gartens macht, die sie das Schicksal hinnehmen lässt, wie es sich auch zeigt.
Es geht aber, natürlich, auch um das Loslassen vom Leben selbst. Queenie muss loslassen, muss mit ihrem Leben abschließen und das Ungesagte erzählbar machen, wenn auch nur in ihrer eigenen Vorstellung. Ja, es ist eine Liebesgeschichte, aber keine übliche, keine alltägliche und gerade deswegen eine realistische. Es gibt viele Andeutungen, was gewesen sein könnte, viele Eventualitäten, die eben nicht der erzählten Geschichte angehören (können). Die Schatten der anderen Kranken und die tragische Floskel, dass der Bestatter am nächsten Morgen angerollt kommt, macht die Flüchtigkeit des Lebens, der Begegnungen und des Schicksals klar. Schuld und Scham werden aufgegriffen und nebeneinandergestellt, wobei klar wird, dass beides doch aus dem Inneren eines selbst entsteht und derjenige schnell der „dritte Blick“ wird, der einen Schamkomplex möglich macht.
Der Stil ist dabei auf der einen Ebene einfach, dahinter aber tiefgreifend und beeindruckend. Ich bin froh, das Buch im Original gelesen zu haben, die Übersetzung wird nie in der Lage sein, an diese Vielschichtigkeit heranzukommen und Queenies Geschichte so nachdrücklich und einfach zu erzählen. Eine absolute Empfehlung!

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1 Kommentar

  1. Gut das ich deine Rezi jetzt gelesen habe, seit Wochen grübele ich schon darüber nach, mir das Buch zu kaufen 😀

    P.S. Ich würde mich freuen, wenn du bei mir mal vorbeischaust. Vor kurzem habe auch ich meinen ersten Roman veröffentlicht und suche dafür noch Buchblogger. Ich würde mich jedenfalls freuen 🙂

    Liebst,
    Marie

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