Lorelai allein, zu Hause

Lorelai streckte sich aus und gähnte. Der Tag war zu lang, er war zu kurz und schrecklich langweilig. Sie runzelte die Nase und sprang auf. Der Laminatboden war erschreckend kalt nachdem die Sonne auf Lorelais Füße geschienen hatte, während sie schlief. Sie zuckte zusammen und schüttelte sich. „Miau.“ Lorelai streifte im Vorübergehen die Duploburg des Jungen. Ein Stein fiel herunter und Lorelai hüpfte ein Stück auf die Seite. „Miau.“ Der Junge war seltsam. Er rannte ihr manchmal hinterher, versuchte sie zu fangen, mit klebrigen Händen und schriller Stimmer. Oder er legte sich zu ihr, vergrub den Kopf in ihr Fell und atmete heiße Kinderluft in ihr Gesicht. Sie wusste, er war noch klein, wusste nicht, wie es anders ging. Aber es nervte sie, den halben Tag damit verbringen zu müssen, vor einem Kind wegzurennen.

Dagegen war es am Morgen furchtbar langweilig. Die Sonne wanderte schwerfällig über den Himmel, alles war still, die Wohnung war leer. Hier gab es keine Mäuse, die Fenster waren zu und ließen keine Fliegen rein. Lorelai gähnte nochmals und sah schon aus der Ferne, dass kaum noch Futter da war. Sie knabberte die letzten Stückchen und grummelte vor sich hin. „Miau.“ Das Leben bestand nur aus Extremen. Dem Kind am Nachmittag, der Stille am Vormittag. Das Futter war leer oder voll. „Miau.“ Lorelai schubste die Schlafzimmertür auf und sprang über die Betten. Der Wäscheschrank war offen und mit einem Sprung lag sie auf den Socken, den Duft frischgewaschener Kleider einatmend. Es war schon erbärmlich langweilig. „Miau.“ Schnell hatte sie sich an den Wäscheduft gewöhnt und der Rausch blieb aus. Bald würde das Kind kommen, doch noch war es nicht da. Nicht einmal darauf konnte sie sich verlassen.

Der Nachmittag fing immer unterschiedlich an. Zu anderen Zeiten. Mal früher, mal später. „Miau.“ Sie würde es hören, wenn unten die Haustür aufging und der Junge mit kleinen, festen Kinderschritten die Treppe hochrennen würde. Er würde „Lorelai“ rufen, und die Mutter würde die Tür aufschließen. „Hallo Katze“, würde sie sagen und weiter arbeiten. Am Computer, in der Küche, Wäsche wegräumen, Bücher lesen, schreiben, immer wieder schreiben. „Miau“, würde Lorelai sagen, und endlich gehört werden. Dann würde der Junge sie jagen, mit ihr spielen wollen und sie würde flüchten. Endlich Bewegung. Sie ging zurück ins Wohnzimmer und suchte den Boden um den Sitz des Jungens nach Essen ab. Da lag immer etwas Käse oder Wurst, Brotkrümel und Keksstücke. Sie schleckte den Boden ab. „Miau.“ Noch immer war es still. Zu still. Lorelai stieß nochmal gegen die Duploburg, doch die anderen Teile steckten fest. Sie setzte sich davor und haute gegen den Turm. Die Steine blieben trotzdem stecken. Sie haute noch einmal drauf und der oberster Stein flog ab und Lorelai auf die Nase. „Miau!“ Sie sprang zurück und verzog sich beleidig hinter die Couch. Da hörte sie aus dem Treppenhaus kleine kräftige Schritte. Na endlich. In Windeseile war Lorelai an der Tür und tat betont gelangweilt. „Miau.“

©Eva-Maria Obermann

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