Lasst uns übers Lesen reden – Interview mit Sarah Leyli Rödiger

Heute starte ich mit meiner neuen Interviewreihe „Lasst und übers Lesen reden“. Ich freue mich sehr, dass Sarah Leyli Rödiger die erste dabei ist. Sarah habe ich im April auf einem Seminar in Bonn kennengelernt. Sie promoviert in Rechtswissenschaften und engagiert sich sehr für Menschenrechte. Das finde ich wirklich beeindruckend und einfach nur großartig. Außerdem ist sie ein sehr sympathischer Mensch und war sofort bereit, mir meine Fragen zu beantworten. Ein kleiner Abstecher zu Bücher mit gesellschaftlichen und historischen Themen, den ich sehr genossen habe.

(Das Foto stammt von Pexels / Pixabay.de)
Schreibtrieb: Ich bin ja ein total buchverrückter Mensch. Mein Mann dagegen kommt einfach nicht zum Lesen, meine Nachbarin findet Lesen langweilig. Die Welt ist bunt, auch was Bücher angeht. Was bedeutet Lesen für dich?

Sarah: Meine Mutter hat mich während ihres Studiums ab und zu als Kind mit in die Universität genommen. Dort habe ich die vielen Bücher immer bewundert. Zuhause habe ich selber gerne und viel gelesen. Insbesondere durfte ich als Kind länger wachbleiben, wenn ich gelesen habe. Das war damals Ansporn genug, abends sämtliche Bücher zu lesen. Inzwischen lese ich die meiste Zeit für die Ausarbeitung meiner rechtswissenschaftlichen Doktorarbeit. Das bringt mir Spaß, da ich auch privat gerne Bücher zu politischen Themen lese. Insofern überschneidet sich mein „Beruf“ und mein „Hobby“. Lesen kann ich daher stundenlang und langweilig wird mir dabei nie.

Schreibtrieb: Wie toll, dass du als Kind schon mit an der Uni warst. So mache ich das mit Keule, Nudel und Knopf auch. Und die drei sind schon richtige Bücherwürmchen. Viele Menschen werden vor allem in der Kindheit mit Büchern konfrontiert. Bei den Großeltern, in der Arztpraxis oder im Kindergarten – nicht zuletzt im eigenen Kinderzimmer. Welches Buch aus deiner Kindheit hat dich am meisten geprägt?

Sarah: Mich haben einige Bücher geprägt, die ich kürzlich an meinen jüngeren Bruder weitergegeben habe und die er gerade mit viel Freude liest. Ich kann mich gut an das Buch Die Brüder Löwenherz von Astrid Lindgren erinnern. Bei dem Buch geht es um den Tod, aber vor allem auch um die Geschwister und ihren Mut. Nach ihrem Tod leben sie im Land „Nangijala“. Dort kämpfen beide auf ihre Art gegen den „Tyrannen Tengil“ und unterstützen den Widerstand. Für mich war das Buch daher sehr spannend. Aber auch Bücher wie Momo oder Pünktchen und Anton waren Klassiker, die ich in meiner Kindheit gerne gelesen habe.

Schreibtrieb: Momo war auch eines meiner liebsten Kindheits-Bücher. Ich finde es toll, wie das Buch den Zeitdruck, den wir uns selbst machen, aufgreift. Bücher mit Bezug zu gesellschaftlichen Themen liebe ich noch heute sehr. Welchen Stellenwert hat deiner Erfahrung und Meinung nach Lesen allgemein in unserer Gesellschaft.

Sarah: Nach wie vor hat Lesen einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Lesen ist vor allem für Bildung wichtig und ermöglicht uns, Dinge zu verstehen und diese kritisch zu hinterfragen. Und das gilt für Menschen mit und ohne akademischen Hintergrund. Für alle Menschen sind die durch Lesen gewonnen Perspektiven von großer Bedeutung und prägen das Leben. Umso wertvoller sollte es sein, dass allen Kindern und Erwachsenen ermöglicht wird zu Lesen. Der hohe Stellenwert zeigt sich daher in den öffentlichen Bücherhallen und Lesekreisen z.B. in den Volkshochschulen oder Vereinen.

Schreibtrieb: Aber leider müssen alle diese Stellen immer wieder um ihr Geld kämpfen. Ich glaube auch, Lesen ist der sicherste Weg zu Bildung, und gleichzeitig zu Empathie und Toleranz. Darum sollte Lesen weiter gestärkt werden. Wie denkst du, könnte das funktionieren?

Sarah: Ein guter Weg sind Veranstaltungen für Kinder. In Hamburg gibt es immer öfter Veranstaltungen, bei denen Kindern vorgelesen wird. Dabei werden Bücher mit gesellschaftspolitischen Hintergrund ausgewählt. Zum Beispiel Geschichten zu Geflüchteten und Fremdenfeindlichkeit. Das fördert Empathie und Toleranz bereits von Klein auf. Außerdem sind wie gesagt, öffentliche Bücherhallen ein guter und (kostenloser) Weg alle zu erreichen.

Schreibtrieb: Ich denke da immer an meine Nachbarin, die vor ihrem Sohn meinte, Lesen wäre langweilig. Bei uns hat die Grundschule ihre eigene kleine Bücherei, in die die Schüler regelmäßig mit der Klasse gehen. Trotzdem finde ich es schade, wenn diese Nähe zu Literatur und Bildung „fremdbetreut“ funktionieren muss. Auch die Erwachsenen sollten mehr lesen. Welches Buch hast du zuletzt gelesen. Und wie hat es dir gefallen?

Sarah: Als letztes habe ich das Buch Furchtbare Juristen. Die Unbewältigte Vergangenheit der deutschen Justiz von Ingo Müller gelesen. Ich hatte schon länger vor es zu lesen. Dann hat ein Dozent an der Universität darauf verwiesen. Das Buch hat mir wieder verdeutlicht, welche wesentliche Rolle Juristen bei der Begehung von NS-Verbrechen und der Nichtaufarbeitung dieser Verbrechen gespielt haben. Dabei kommen ganz viele Namen vor, die für das systematische Unrecht verantwortlich waren, was echt erschreckend ist. Das Buch hat mich dazu bewegt, auch kritisch über das Fach Rechtswissenschaft nachzudenken. Es zeigt ein sehr schlimmes Kapitel von deutschen Juristen auf und macht deutlich, dass auch die rechtswissenschaftliche Fachliteratur nicht mehr die Namen von diesen Juristen tragen sollte.

Sarah Leyli Rödiger war schon als Kind oft an der Uni (Foto: Sarah Leyli Rödiger)
Schreibtrieb: Das klingt wirklich interessant. In Die Weiße Rose von Miriam Gebhard, das ich erst kürzlich gelesen habe, geht die Autorin auch kurz auf den juristischen Ablauf und die Menschen dahinter ein. Ich finde es wichtig und gut, dass diese Themen immer noch aufgegriffen werden. In der Literatur werden allgemein gerne gesellschaftliche Probleme aufgegriffen und behandelt. Aber sie kann auch den falschen Weg einschlagen. Gewaltverherrlichung, Sexismus, Rassismus – das alles finden wir immer wieder. Wie sollten wir damit umgehen?

Sarah: Literatur ist ein Abbild der gesellschaftlichen Entwicklungen. Ich persönlich verzichte darauf, bestimmte Bücher finanziell zu unterstützen und kaufe sie nicht. Dennoch ist es meines Erachtens wichtig, sich an der Diskussion zu beteiligen und den eigenen Standpunkt deutlich zu machen. Das geht heute über Blogs oder soziale Medien gut.

Schreibtrieb: Blogs und soziale Medien sind ein gutes Thema. Unsere Welt entwickelt sich, Vieles wird elektronisch, Umweltfaktoren werden immer wichtiger. Glaubst du, Bücher wird es auch in Zukunft noch geben?

Sarah: Ich bin mir sicher, dass es Bücher in Zukunft noch geben wird. Für mich macht es einen großen Unterschied, ob ich ein Buch in den Händen halte oder etwa auf dem Laptop bzw. Tablet lese. Ich lese zum Beispiel keine elektronischen Bücher, sondern nur gedruckte Bücher. Ich denke auch, dass Bücher einen enormen Wert als Quelle für nachkommende Generationen haben. In der Bibliothek ist es doch toll, Bücher aus dem 19. Jahrhundert zu lesen. Außerdem ist es schön, die eigenen Bücher zu verleihen und weiterzugeben. Es wäre sehr schade, wenn es stattdessen nur noch elektronische Bücher in Zukunft geben würde.

Schreibrieb: Tatsächlich habe ich das Gefühl, dass nach dem ersten ebook-Ansturm die Nachfrage an gedruckten Büchern wieder zunimmt. Was magst du persönlich am Lesen oder was kannst du nicht leiden? Was bedeutet Lesen für dich?

Sarah: Mir gefällt am Lesen, zu sehen, wie Menschen Geschichten durch ihr Schreiben erzählen. Es ist spannend, wie unterschiedlich das sein kann. Wie du sagst die Welt ist bunt und Bücher sind es auch. Es bringt daher auch Spaß manchmal ein Buch auf einer anderen Sprache zu lesen. Weniger gefällt mir, dass ich teilweise für meine Arbeit nur spezifische Stellen von Büchern lese. Gerne würde ich mir die Zeit nehmen und das Buch dann vollständig lesen.

Schreibtrieb: Ich habe auch weniger Zeit zum Lesen, als ich gerne hätte und gerade bei intensiven Sach- und Fachbüchern ist das sehr schade. Verrätst du mir auch dein (aktuelles) Lieblingsbuch?

Sarah: Mein aktuelles Lieblingsbuch ist die Biographie Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht von Ronen Steinke. Auch das Buch befasst sich thematisch mit der Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Es geht allerdings ganz wesentlich um die Person Fritz Bauer, die ich sehr inspirierend finde. Das Buch ist für Nichtjuristinnen und Nichtjuristen gut lesbar und spannend. Das sagt sogar mein größerer Bruder, dem ich das Buch geschenkt habe und der sonst nicht ganz so viel liest.

Schreibtrieb: Und am Schluss meine liebgewonnenen Assoziationsfragen. Antworte schnell und entscheide dich spontan für

a. Film oder Buch: Buch
b. Kaffee oder Tee: Tee
c. Gedruckt oder elektronisch: Gedruckt
d. Couch oder Bett: Couch
e. Bild oder Wort: Wort

Schreibtrieb: Vielen Dank Sarah für dieses sehr interessante Interview. Ich finde es immer wieder toll, wie vielseitig Leser sind und wie weit unser Buchmarkt reicht.

 

Hat euch das Interview gefallen? Wie findet ihr denn die Idee, mal nicht (ausschließlich) Autoren und Blogger, sondern „ganz normale Menschen“ zu interviewen. Ich würde die Reihe gerne so regelmäßig, wie möglich weiterführen und freue mich über eure Anregungen. Und wenn ihr auch mitmachen wollt, sagt einfach Bescheid.

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5 Kommentare

  1. Liebe Eva,
    das ist eine ganz tolle Idee! Es gibt nicht nur Autoren und Blogger. Die Lesen zwar auch aber es ist auch absolut interessant Menschen kennenzulernen, die wir auf der Straße, beim Bäcker… oder eben auf einem Seminar begegnen und wie sie zum Lesen stehen. Deinen Beitrag werde ich in meine „Kreuzfahrt durch die Buchbloggs“ aufnehmen.
    GlG vom monerl

  2. Liebe Eva-Maria,
    vielen Dank für dieses Interview! Ich mochte vor allem – Zitat: –
    „Insbesondere durfte ich als Kind länger wachbleiben, wenn ich gelesen habe. Das war damals Ansporn genug, abends sämtliche Bücher zu lesen.“
    Vielleicht könnte ich mir das als Tipp in Sachen Erziehung mitnehmen. 😉 Ist doch mal eine sehr gute Idee. 🙂
    Hab ein schönes Wochenende!
    Liebste Grüße,
    Frauke

    1. Unser Großer darf auch noch im Bett lesen 😊 das funktioniert sehr gut und er liebt es 😉

  3. Tiphaine Somer Elin

    LIebe Eva-Maria,
    mir gefällt das Interview auch und dein Ansatz Menschen zu befragen, die Bücher „einfach nur lesen“. Dass sie sich hier bei dir äußern dürfen, ist fü mich superspannend – ich möchte unbedingt jedes dieser Interviews lesen … Danke, dir 🙂

  4. […] ist es in unserer Gesellschaft. „Lasst uns übers Lesen reden“ und das ist das erste Interview mit Sarah Leyli […]

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