Lasst uns übers Lesen reden – Interview mit Isabel Mackensen

Mit Menschen ins Gespräch kommen, am liebsten über Bücher und Literatur. Gerade halte ich an der Uni ein Seminar zum kreativen Schreiben und merke, wie viel Spaß und Begeisterung alle darin finden können. Auch mit Isabel Mackensen habe ich übers Lesen gesprochen. Isabel ist Bundestagskandidatin und morgen entscheidet sich, ob sie gewählt wird. Ich mag ihre Begeisterung und finde es gut, wenn junge Menschen sich politisch engagieren. Zu oft wird Politik von Menschen über 50 für Menschen über 50 gemacht. (der Vollständigkeit halber möchte ich erwähnen, das Isabel für die SPD kandidiert. Hier werden keine Wahlkampfthemen etc. behandelt, sondern die gleichen Fragen meiner Interviewreihe. Wählt was ihr wollt, aber bitte wählt morgen, wenn ihr nicht schon per Briefwahl eure Stimme abgegeben habt)

Schreibtrieb: Ich bin ja ein total buchverrückter Mensch. Mein Mann dagegen kommt einfach nicht zum Lesen, meine Nachbarin findet Lesen langweilig. Die Welt ist bunt, auch was Bücher angeht. Was bedeutet Lesen für dich?

Isabel: Lesen stellt für mich immer eine Auszeit zum hektischen Alltag dar. Leider bin ich im letzten Jahr – und vor allem in den letzten Wochen – aufgrund des Wahlkampfs sehr selten dazu gekommen, ein Buch in die Hand zu nehmen, da ich entweder unterwegs war, Anfragen beantwortet habe oder todmüde ins Bett gefallen bin. Das muss sich auf jeden Fall wieder ändern.

Schreibtrieb: Viele Menschen werden vor allem in der Kindheit mit Büchern konfrontiert. Bei den Großeltern, in der Arztpraxis oder im Kindergarten – nicht zuletzt im eigenen Kinderzimmer. Welches Buch aus deiner Kindheit hat sich am meisten geprägt?

Isabel: Der Xaver und der Wastl – ein Buch, das meine Oma meinem Bruder und mir immer wieder vorlesen musste. Es geht dabei um zwei Jungs aus der Stadt, der eine wohnt unter dem Dach, da ist es immer sehr warm und der andere im Keller, da tropft es bei Regen immer rein. Bei einem Spaziergang finden sie eine verlassene Bauarbeiterhütte. Sie schaffen es, die Erlaubnis zu bekommen, diese benutzen zu dürfen, richten sie ein und schaffen sich ihr eigenes kleines Reich in der Natur. Ich fand die Geschichte so toll, weil die Jungs aus quasi nichts, aus etwas, was für andere keine Bedeutung mehr hatte, für sie alles gemacht haben.

Schreibtrieb: Welchen Stellenwert hat deiner Erfahrung und Meinung nach Lesen allgemein in unserer Gesellschaft.

Isabel: Einen sehr hohen. Die meisten Menschen, die ich kenne, lesen trotz vieler alternativer Unterhaltungsmöglichkeiten nach wie vor gerne. Und auch in den Bildungsplänen nimmt Literaturarbeit immer noch – zum Glück – einen hohen Stellenwert ein.

Schreibtrieb: Ich glaube, Lesen ist der sicherste Weg zu Bildung, aber auch zu Empathie und Toleranz. Darum sollte Lesen weiter gestärkt werden. Wie denkt du, könnte das funktionieren?

Isabel: Der Grundstein wird hier, wie bei fast allem, in der Kindheit gelegt. Wer von klein auf Bücher vorgelesen und den Spaß daran aufgezeigt bekommt, sich in Personen hineinzuversetzen und in Geschichten fallen zu lassen, wird diese Begeisterung höchstwahrscheinlich auch in späteren Jahren fühlen. Hier sind also sowohl die Eltern, als auch die Kitas, Grundschulen und weiterführenden Schulen gefragt. Dabei liegt es auch an engagierten Pädagoginnen und Pädagogen, einen guten Ausgleich zwischen Wissensvermittlung auf der einen und der Förderung von Freude und Interesse auf der anderen Seite herzustellen.

Schreibtrieb: Welches Buch hast du zuletzt gelesen. Und wie hat es dir gefallen?

Isabel: Das Albani Psalter – ein Buch über eine Eremitin und einen Abt in England. Ich finde die Beschäftigung mit dieser Zeit, in der der Glaube und die Kirche über allem Stand faszinierend. Liegt aber vielleicht auch an meinem Geschichtsstudium, bei dem ich mich im Hauptstudium auf die mittelalterliche Geschichte spezialisiert habe.

Schreibtrieb: In der Literatur werden gerne gesellschaftliche Probleme aufgegriffen und behandelt. Aber sie kann auch den falschen Weg einschlagen. Gewaltverherrlichung, Sexismus, Rassismus – das alles finden wir immer wieder. Wie sollten wir damit umgehen?

Isabel: Aufgrund der Meinungsfreiheit in Deutschland – kann man einen Großteil dieser Literatur nicht verbieten, deshalb müssen wir uns gesamtgesellschaftlich mit ihr auseinandersetzen.

Schreibtrieb: Unsere Welt entwickelt sich, vieles wird elektronisch, Umweltfaktoren werden immer wichtiger. Glaubst du, Bücher wird es auch in Zukunft noch geben?

Isabel: Davon bin ich überzeugt. Auch im Zeitalter der Digitalisierung kann nichts das Gefühl ersetzen, ein Buch in Händen zu halten und sich in fremde Welten allein mit seiner Vorstellungskraft zu träumen.

Isabel Mackensen (Foto: Isabel Mackensen)
Schreibtrieb: Was magst du persönlich am Lesen oder was kannst du nicht leiden? Was bedeutet Lesen für dich?

Isabel: Es ist toll sich in frühere Zeiten, fremde Länder oder auch in andere Wesen hineinzuträumen. Für mich ist Lesen Entspannung und ein Geschenk bei dem ich richtig zur Ruhe kommen kann.

Schreibtrieb: Verrätst du mir auch dein (aktuelles) Lieblingsbuch?

Isabel: Das Regierungsprogramm der SPD – Spaß 😊 ich habe mir die Känguru-Chroniken von Marc-Uwe Kling zugelegt und diese lese ist gerade immer wenn es die Zeit zulässt.

Schreibtrieb: Und am Schluss meine liebgewonnenen Assoziationsfragen. Antworte schnell und entscheide dich spontan für
  1. Film oder Buch: Buch
  2. Kaffee oder Tee: Tee
  3. Gedruckt oder elektronisch: gedruckt
  4. Couch oder Bett: Bett
  5. Bild oder Wort: Bild
Schreibtrieb: Vielen Dank für deine Zeit, liebe Isabel. Der kritische Umgang mit Literatur ist einer, der in Zeiten der reinen Unterhaltungsnachfrage schnell verloren geht.

weitere Interviews der Reihe: mit Sarah Leyli Rödiger

Hat euch das Interview gefallen? Wie findet ihr denn die Idee, mal nicht (ausschließlich) Autoren und Blogger, sondern „ganz normale Menschen“ zu interviewen. Ich würde die Reihe gerne so regelmäßig, wie möglich weiterführen und freue mich über eure Anregungen. Und wenn ihr auch mitmachen wollt, sagt einfach Bescheid.

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6 Kommentare

  1. Hallo und guten Tag Eva-Maria, 
    also mir hat das Interview im Großen und Ganzen gefallen  „Lasst uns übers Lesen reden –  mit Isabel Mackensen“
    Einiger Knackpunkt….so normal finde ich Isabel Mackensen gerade als  Bundestagskandidatin eigentlich nicht….denn ich kenne da zumindest niemand in meinem Bekanntenkreis. Aber egal …..mein persönliche Einwände hier . 
    Genauso wie manche Statement wo ich schon finde, da kam die Politikerin  schon rüber. 
    Die Eltern, als Wegbereiter für Bücher….schön wäre es….meistens haben die Eltern, weil beide berufstätig überhaupt keine Zeit mehr dazu und ihnen fehlt einfach die Lust und Kraft nach einem harten Arbeitstag….wieso gibt es deshalb auch für Kids schon Hörbücher….ebenso die Kita hat dafür keine Zeit mehr….deshalb nimmt man ja auch gerne Lesepaten von den Schulen…meine Jungs haben das selber eine Zeitlang gemacht und schnell gemerkt…die Kids im Kindergarten freuen sich wirklich darauf, wenn sie zum Lesen kommen. Auch wenn gerade am  Gymi es bei der Buchbehandlung ein bestimmtes Mitsprecherecht gibt mittlerweile regt das ab einem bestimmten Alter nicht mehr zu Lesen an. Außerdem gibt es viel zu wenig Bücher, die auch Jungs mal interessieren könnten….meist sind sie doch eher auf Mädels und Frauen zu geschnitten oder? 
    So das war meine Meinung dazu. 
    LG…Karin…und einen schönen Wahlsonntag. 
    Mit freundlichen Grüßen

    1. Liebe Karin, das sehe ich tatsächlich anders. Erstens ist auch eine Politikerin nicht abnormal, sondern menschlich und kennt die gleichen Strukturen, wie andere auch. Auch darauf soll die Reihe aufmerksam machen.
      Zweitens sind Eltern natürlich ein wichtiger Zugang zu Literatur. Ich bin selbst berufstätig, genauso wie mein Mann, und unsere Kinder kommen viel mit Literatur in Kontakt. Auch im Kindergarten wird bei uns viel gelesen und wann immer ich frage, was ein anderes Kind zum Geburtstag möchte, heißt es auch Bücher. Und ja, auch von den Kindern selbst. Genauso kenne ich sehr viele Bücher, die „Jungs“ interessieren. Tatsächlich ist es so, dass viele Jugendbücher eher darauf abzielen, weil Mädchen nahe gelegt wird, das auch mitlesen zu können. Typische „Mädchenbücher“ können gleichzeitig genauso von Jungs gelesen werden. Warum auch nicht? Ich wüsste kein Thema, das in „Mädchenbüchern“ aufkommt, das nicht genauso für Jungs von Bedeutung ist. Gleiches gilt für Erwachsenenliteratur. Dass die Frau die Romanze und der Mann den Krimi liest ist ein Klischee, das ich als Gedanke kenne, aber nicht bestätigen kann. Vielleicht ist es eher unsere Vorstellungen von Geschlechterstereotypen, die da aufkommt. Und das hier Veränderung wünschenswert ist, ist ein guter Knackpunkt. Statt in Büchern nach Geschlecht zu denken, würde ich solche Konstrukte lieber aufbrechen. Und statt arbeitende Eltern gleich als überfordert zu betrachten, sollten wie die Organisation und das bewusste Miteinander dabei stärken. Mal davon abgesehen, dass Hörspiele und Hörbücher auch etwas für sich haben.
      LG
      Eva

  2. Hallo Eva-Maria,

    nun eine Politikerin ist klar nicht abnormal nur, weil sie halt gerne eine Politikerin ist. Aber ihre Wortwahl ist doch ganz andere …..oder?

    Hat die Dame Kinder und ist sie voll berufstätig, denn von diesen Fällen habe ich gesprochen…
    Vielleicht gehörst Du und Dein Umfeld zur löbliche Ausnahme.

    Selbst meine Schwägerin selber Kindergärtnerin sei vielen Jahr sagt….Lesen, da ist sie froh wenn die Lesepaten kommen….weil sie so viele andere Dinge, jeden Tag tuen muss mit den Kids …..gerade die Motorik lässt bei vielen Kindern mittlerweile zu wünschen übrig..Problemkinder, Sprache usw. .

    Weil lieber konsumiert wird …statt agiert wird.

    An Jungs bzw. jungen Erwachsenerbücher wäre ich gerne interessiert ….in welche Richtung es gehen sollte mal so als Beispiel…tschick von Wolfgang Herrndorf…O.K.

    LG…Karin…

    1. Ich persönlich Isabels Wortwahl „normal“, aber natürlich hat sowas mit dem eigenen Umfeld zu tun. Sie ist voll berufstätig, hat keine eigenen Kinder.
      Erfahrungen variieren. Nur weil ich viele Menschen kenne, die mit ihren Kindern lesen und auch im Kindergarten die Erfahrung gemacht habe, dass dort auf Bücher viel Wert gelegt wird, kann an der Situation und Wahrnehmung liegen. Aber dass es solche Fälle gibt, macht klar, dass die Realität nicht so düster ist, wie viele befürchten. Wichtiger wäre zu überlegen, wie die Situation verbessert werden kann. Mit Unterstützung für Familie und bessere Bezahlung/ Entlastung für Erzieher*innen.

      LG Eva

  3. Hallo Eva- Maria,
    mir fällt es immer schwer Menschen da ihre Meinung ab zu nehmen, wenn sie keine eigenen Erfahrung gesammelt haben….z.B. auch sind da Pfarrer, die bei Eheproblem oder in der Partnerschaft helfen wollen.
    Bei uns lief auch alles gut, aber die Zeiten haben sich geändert. Und was mir meine Schwägerin und auch mein Sohn erzählt haben klingt schon sehr düster und zeigt in welcher Schieflage wir uns da schon befinden…..
    Die sich gerade in Großstädten auch noch verschärft.
    Unsere Politiker kenne doch die Lage auch und welche Versuche wurden unternommen…man hat mal versucht als Schlecker pleite ging….im Schnellverfahren aus Verkäuferinnen Erzieherinnen zu machen.
    Nichts gegen Verkäuferinnen, aber die Ausbildung von Erziehern dauert fast 5 Jahre.
    LG…Karin…

    1. Liebe Karin.
      Dieser Eindruck kann sehr unterschiedlich sein. Ich kann ihn, wie gesagt, aus meinem Umfeld und meiner Erfahrung nicht bestätigen. Für mich ist das eher ein Klischee, dass die eigentlichen Probleme der Ignoranz von Arbeitgebern hinsichtlich Familienfreundlichkeit verdrängt.

      LG
      Eva

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